Doppelmord

Originaltitel
Double Jeopardy
Land
Jahr
1999
Laufzeit
105 min
Genre
Release Date
Bewertung
4
4/10
von Frank-Michael Helmke / 1. Januar 2010

„Doppelmord“ ist ein Film, der mich als Kritiker vor ein Problem stellt. Für gewöhnlich gebe ich ohne größere Bedenken den Inhalt der ersten 20-30 Minuten eines Films wieder, da so ausreichend Informationen geboten werden, worum es in einem Film geht, andererseits aber die entscheidenden Handlungspunkte verschwiegen bleiben und der Film für den potentiellen Zuschauer spannend bleibt (solange er es denn überhaupt ist). Das Problem besteht nun darin, daß es in „Doppelmord“ genau EINE gute Idee gibt. Diese EINE gute Idee ist der Aufhänger für den ganzen Film, wird weiterhin im Trailer breitgetreten und vom Film selbst schon nach 25 Minuten offen gelegt. Wenn ich jetzt nichts dazu sage, brauche ich eigentlich gar nichts zum Inhalt schreiben. Da es aber ohne Wissen über diese EINE gute Idee sowieso keinen Grund gibt, diesen Film zu sehen, gehe ich das Risiko einfach mal ein.

„Doppelmord“ ist schon mal eine völlig unpassende Titelübersetzung. Im fünften Verfassungszusatz der Vereinigten Staaten heißt es: „No person shall be subject for the same offense to be twice put in jeopardy of life or limb.“ Zu deutsch: Keiner Person kann für das selbe Verbrechen zweimal der Prozeß gemacht werden. Ist das Verfahren eingestellt, dann war es das. Im Juristen-Englisch nennt sich das „Double Jeopardy“ (so der Originaltitel), und hat dementsprechend nichts mit einem zweifachen Mord, sondern mit einer wiederholten Anklage zu tun.

Interessant wird dieser Verfassungszusatz für Libby Parsons (Ashley Judd). Die war einmal glücklich, mit einem liebevollen Ehemann, einem Wonneproppen von Sohn, einem tollen Haus an einem idyllischen See, und sowieso jeder Menge Kohle. Doch eines Tages macht sie mit ihrem Ehemann einen Segelausflug mit dem neuen Boot (ihr Statement dazu: „Schatz, das können wir uns doch gar nicht leisten!“ wirkt ob des Hauses im Hintergrund mehr als lächerlich). Und als sie am Morgen aufwacht, ist das ganze Boot von Blutflecken übersät und auf Deck liegt ein Messer. Achja, und ihr Ehemann ist verschwunden. Libby wird nach einem Indizienprozess wegen Mordes verurteilt und wandert in den Knast. Vorher bittet sie ihre beste Freundin Angie, ihren Sohn zu adoptieren. Doch irgendwann verschwindet Angie mitsamt dem Kind spurlos. Als Libby sie per Telefon in San Francisco ausfindig macht, kriegt sie mit, wie ihr Kleiner „Daddy!“ ruft, anschließend ist die Leitung tot. Zur allgemeinen Nicht-Überraschung erfreut sich ihr Gatte Nick bester Gesundheit und ist mit ihrer Freundin durchgebrannt. Eine inhaftierte Ex-Anwältin erzählt Libby daraufhin vom „Double Jeopardy“-Paragraphen, denn sie kann jetzt ganz legal ihren Ehemann umbringen. Schließlich wurde sie bereits dafür verurteilt.

So, und das war auch schon der Clou. Das Problem mit diesem Film ist allerdings, daß er aus seiner EINEN guten Idee (ich kann es nicht oft genug betonen) einfach nichts macht. Als Libby nach sechs Jahren in den offenen Vollzug kommt, büchst sie natürlich sofort aus, sehr zum Leidwesen ihres zuständigen Bewachers Travis Lehman (Tommy Lee Jones). Allerdings ist ihr Motiv nicht etwa Rache an ihrem Mann, sie will nur ihren Sohn wieder haben. Als verzweifelte Mutter macht sie sich auf die Suche nach der neuen Identität ihres Göttergatten, Travis stets auf ihren Fersen.

„Doppelmord“ hat in den USA über 100 Millionen Dollar eingespielt, und das stellt einen wirklich vor ein Rätsel. Was kann so viele Leute motiviert haben, sich diesen Film anzusehen? Tommy Lee Jones und seine Popularität seit „Auf der Flucht“ in allen Ehren, aber so viel Anziehungskraft hat er dann doch nicht. Und Ashley Judd machte bisher lediglich dadurch Schlagzeilen, daß sie bei der Oscar-Verleihung 1998 ohne Unterwäsche über die Bühne schritt. Es kann eigentlich nur an der besagten EINEN guten Idee gelegen haben: Der Aufhänger wurde großräumig breitgetreten, und die Leute liefen ins Kino in der irrigen Annahme, ein Film mit so einer Grundidee muß ja ähnlich gut weitergehen. Ersteinmal: Die Grundidee ist absolut nicht neu (schließlich steht dieser Zusatz schon seit über 200 Jahren in der Verfassung) und wurde schon in wesentlich besseren Geschichten verwurstet. Und zum zweiten: Nein, der Film geht nicht ähnlich gut weiter.

Im weiteren Verlauf passiert nichts, mit dem man nicht gerechnet hätte, Überraschungen bleiben aus und damit auch jegliche Spannung. Das führt nur dazu, daß man sich zusehends Gedanken über die innere Logik macht, und da hapert es hinten und vorne. Zum Beispiel: Nachdem Libby im Gefängnis die schreckliche Wahrheit herausbekommen hat, fängt sie an zu trainieren. Sie stämmt dicke Hanteln und läuft in strömendem Regen durch den Gefängnishof (by the way: Hallo Klischee!). Im weiteren Verlauf des Films wird sie einmal vor jemandem wegzulaufen versuchen, und einmal eine schwere Last stemmen müssen. Es gelingt weder das eine noch das andere. Wozu also dieser ganze Workout-Quatsch?

Völlig unerklärt bleibt auch der Charakter von Nick, Libbys Ehemann: Am Anfang des Films wirkt er richtig sympathisch, und es ist offensichtlich, daß die beiden sich wirklich lieben. Die Motivation für seine Tat ist daher schon stark an den Haaren herbeigezogen, und im weiteren Verlauf wird es nur noch schlimmer, denn das bleibt natürlich nicht die einzige Untat. Wie aus so einem lieben und fürsorglichen Gatten so ein skrupelloses Schwein werden konnte, das versucht der Film erst gar nicht zu erklären. Jedenfalls nicht glaubwürdig.

Es gibt auch einige gute Szenen in „Doppelmord“, für die vornehmlich Tommy Lee Jones verantwortlich zeichnet. Obwohl sein Charakter auch zu einhundert Prozent aus Klischees besteht, gelingt es ihm vom ersten Auftritt an, eine gewisse Eigenständigkeit und Realitätsnähe in seine Figur zu bringen. In diesen Momenten erkennt man, was für ein guter Schauspieler Tommy Lee Jones ist, und in diesen Momenten tut es auch besonders weh, daß sein Talent für so einen Schmarrn verheizt wird.

Das schlimmste an „Doppelmord“ ist allerdings, daß er aus seinem Aufhänger wirklich gar nichts macht. Libby hätte (angeblich) die legale Möglichkeit, ihren Mann zu erschießen. Da das aber gar nicht ihr Ziel ist (und man das auch zu keinem Zeitpunkt glaubt), muß man ernsthaft die Frage stellen, warum dieser Film überhaupt seinen (Original-)Namen trägt. Als Zuschauer, der von diesem Aufhänger ins Kino gelockt wurde, würde ich mich jedenfalls ordentlich verarscht fühlen.

Es gibt nur eine Sache, die „Doppelmord“ sehr schön demonstriert: Wenn du heutzutage zu verschwinden versuchst, dann ist dein größter Feind das Internet. Mehr hat dieser Film absolut nicht zu sagen.


7
7/10

Ich verstehe den Rezensenten nicht. Gerade an den unbeantworteten Fragen die der Film aufwirft kann man die Realität messen. Im wahren Leben ist man hinterher oft auch nicht viel schlauer. Es gibt wesentlich unglaubwürdigere Filmplots. Für mich war es ein gelungenes, unterhaltsames und realistisches Filmerlebnis ohne allzu reisserische Inszenierung. Naja, wenn ich es mir recht überlege glaube ich nicht das man sich z.B. eher die Hand abreissen kann als die Handschelle bei der Aktion auf der Fähre... Aber wenn man das so im Detail analysieren will kann man die meisten Filme völlig zerreissen.

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