Schon die ersten Minuten lassen dem Filmfreund das Herz aufgehen: Da ertönt doch tatsächlich die bekannte Titelmelodie des Original „Django“-Films von 1966 und kurz darauf zockelt Christoph Waltz mit kleinem Planwagen ins Bild und stellt sich einigen rauen Burschen als Zahnarzt Dr. King Schultz vor, gibt sich vornehm und redegewandt wie in seiner Oscar-prämierten Performance als Nazi Hans Landa in den „Inglourious Basterds“, nur um Sekunden später die Situation genauso lässig wie bleihaltig zu lösen. Er befreit damit den Sklaven Django (Jamie Foxx), welcher dem hauptberuflich als Kopfgeldjäger aktiven deutschen Doktor dabei helfen soll, ein paar steckbrieflich gesuchte Finsterlinge aufzuspüren. Anschließend wird das ungleiche Paar die Zusammenarbeit fortsetzen und sich daran machen, Djangos geliebte Ehefrau, die auf den wohlklingenden Namen Broomhilda von Shaft (Kerry Washington) hört, aus der Gewalt des brutalen Plantagenbesitzers Calvin Candie (Leonardo DiCaprio) zu befreien. Dabei wird es dann viel, wirklich sehr viel zu bereden geben und sich das finale Blutbad wohl trotzdem nicht vermeiden lassen.
Wie schon die letztlich künstlerisch und auch kommerziell als ziemlicher Triumph endenden „Basterds“, so war auch Quentin Tarantinos Folgeprojekt „Django Unchained“ wieder eines, das zunächst mit diversen Verzögerungen und Problemen zu kämpfen hatte. Als das Drehbuch dann nach gut drei Jahren endlich fertig war, stand aber recht schnell fest, dass Tarantino seine Entdeckung Christoph Waltz erneut besetzen und mit Samuel L. Jackson einen Veteranen seiner „Pulp Fiction“ und „Jackie Brown“-Zeit zurückholen würde, während er mit Jamie Foxx einen weiteren Oscarpreisträger für die Titelrolle verpflichten konnte. Als Zugaben gibt es dann noch einen Gastauftritt von Original-Django Franco Nero und Leonardo DiCaprio in seiner ersten echten Schurkenrolle, der allerdings genau wie Jackson erst in der zweiten Hälfte des Films auftaucht. Was schon darauf hindeutet, dass wir es hier mit einem Werk zu tun haben, das in zwei große und sehr unterschiedliche Teile zwar nicht gerade zerfällt, sich aber doch klar darin aufsplittet.
Das, was man im Vorfeld wohl erwartet hat, nämlich den Tarantino-typischen Mix aus Ehrung und Parodie eines von ihm verehrten Genres, das trifft in der Tat nur auf die erste Stunde zu, denn da sind sie vertreten, die bekannten Elemente des Italo-Westerns, die coolen und schmutzigen Revolverhelden inmitten der kargen und weiten Landschaft, die einst mit zuvor nicht gekannter Leinwand-Brutalität die Endphase des sauberen US-Westerns einläuteten. Doch weil sich auch dieses Sub-Genre nach einer kurzen Blütezeit schnell selbst überlebte und schließlich in die Persiflagen der „Hallelujah“- und „Nobody“-Filme mündete, kann man so etwas heute wohl einfach nicht mehr ganz ohne Selbstironie inszenieren. Und so durchzieht den Film von der bereits geschilderten Eröffnugsszene an ein allgegenwärtiger Humor, welcher die zahlreichen Leichen konterkariert.
Zuständig ist dafür in erster Linie natürlich Christoph Waltz, der zwar seit seinem ersten Tarantino-Auftritt diverse weitere Hollywood-Gastspiele absolvieren durfte, aber doch erst jetzt wieder Gelegenheit bekommt, seine ziemlich einmalige Kombination aus kultiviertem Mann von Welt und tödliches Verderben bringenden Killer zu erneuern. Geht der Humor dann mal nicht von Waltz Figur aus, funktioniert er auch prompt weniger gut, wie eine Szene zeigt, in der ein Mob aus Ku-Klux-Klan-artigen Attentätern daran scheitert, seine Kapuzen korrekt aufzusetzen. Diese Sequenz ist zudem die Einzige, bei welcher der Regisseur diesmal zum sonst von ihm gern genutzten Stilmittel der nicht-linearen Erzählweise greift und passt so von ihrer ganzen Tonalität leider nicht so recht zum Rest, was aber ein einmaliger Ausrutscher bleibt.
Neben Waltz, dessen Dr. Schultz hier wesentlich weniger „böse“ agiert als sein Oberst Landa, sondern vielmehr recht moralisch und sympthisch rüberkommt (und auch in der Originalfassung wieder ein paar nette deutschsprachige Bonmots parat hat), bleibt bei mehr als zweieinhalb Stunden Laufzeit jedoch auch genug Zeit für die Kollegen sich zu profilieren. Jamie Foxx legt seinen Django – mal abgesehen vom gelegentlich grellbunten Outfit – dabei eher leise und zurückhaltend an, umso überzeugender wirken daher dann dessen Gefühlsausbrüche, sei es beim Treffen mit seinen ehemaligen Peinigern oder beim Wiedersehen mit der Frau seines Herzens. Auch der zuletzt öfter mal des schauspielerischen „Ausverkaufs“ bezichtigte Samuel L. Jackson hat mit dem seinem weißen Herrn erstaunlich treu ergebenem Hausdiener Stephen endlich mal wieder eine interessante Rolle erwischt, die trotz recht kurzer Leinwandzeit alles andere als unwichtig ist.
Und dann haben wir da schließlich noch Leonardo DiCaprio als Erben eines kleinen Imperiums, für den Wohlstand, Besitz und die Freiheit, ohne Konsequenzen einfach das tun zu können was ihm gefällt, quasi eine Art Geburtsrecht darstellen. Nicht gänzlich ohne Charme agierend, wird durch DiCaprios Darstellung jedoch deutlich, dass dieser Calvin Candie nicht mehr als eine aufgeblasene, innerlich leere Hülle ist, die auf einer Art frühzeitlichem Disneyland lebt, ihre Kultiviertheit lediglich behauptet (so liebt er z.B. angeblich die französische Sprache, kann sie aber nicht sprechen und hat natürlich auch all die Klassiker in seiner umfangreichen Bibliothek nie gelesen) und sich die Zeit mit mörderischen Sklavenkämpfen vertreibt.
Der Moment, in dem dieser Calvin Candie zum ersten Mal auftritt und seinen Besuchern einen in seiner Brutalität nur schwer erträglichen, tödlichen Fight „Mann gegen Mann“ serviert, ist dann auch der, in dem der Film seine Tonart ändert und sich von der locker-amüsanten Italowestern-Hommage zu einer bemerkenswert harten und schonungslosen Schilderung der Auswüchse amerikanischer Sklaverei wandelt. Hier weckt Tarantino dann eher Erinnerungen an einen heute fast vergessenen Blockbuster der siebziger Jahre, denn Richard Fleischers „Mandingo“ behandelte damals das gleiche Thema auf ähnlich schonungslos-brutale, aber auch sehr populistische Art und wurde so zum großen Skandalfilm des Jahres 1975. Heute ist der Film, der damals auch in Deutschland mehr als drei Millionen Besucher in die Kinos lockte, dagegen selbst in englischer Sprache nicht auf einer offiziellen DVD erhältlich.
„Django Unchained“ begibt sich in ähnliche „Blaxploitation“-Gefilde, und wo man bis dahin noch ein durchgehendes Grinsen im Gesicht hatte, bleibt einem plötzlich das Lachen im Halse stecken, was natürlich einen ziemlichen Bruch bedeutet. Zwar bieten diverse Dialoge auch im weiteren Verlauf noch den einen oder anderen humorvollen Augenblick, doch liegt da dann schon eine neue Schwere über dem Geschehen. Allerdings auch eine knisternde Spannung, die sich schließlich nach einer ausführlichen Zusammenkunft zum Dinner entlädt, womit aber trotzdem noch lange nicht das große Finale eingeläutet wäre.
Letztendlich kann man Quentin Tarantino mit kritischer Distanz das Gleiche vorhalten wie dem Kollegen Peter Jackson bei seinem „Hobbit“. Denn hier wie dort ist der Mann auf dem Regiestuhl selbst der größte Fanboy und derart in sein Thema verliebt, dass er es bis zum Anschlag ausschlachtet, sich in immer weiteren Details verliert und nur mit Mühe überhaupt mal ein Ende findet. Tarantino lässt vor allem seine Dialogszenen erneut ausufern und präsentiert wieder das eine oder andere Blutbad zu viel. Doch benutzt er dafür immerhin keine Vorlage, die solch Ausschweifungen im Grunde nicht her gibt, sondern füllt seine eigene Geschichte durchaus mit Gehalt. Er schenkt uns dabei dann Genre-Filme, wie es sie heute eigentlich nicht mehr gibt und wie sie so halt auch kein anderer inszeniert. Das Ergebnis ist diesmal selbst eine Art "Bastard", aber trotzdem nicht weniger bemerkenswert. Und ziemlich aufregend.
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