Die Stille nach dem Schuss

Originaltitel
Die Stille nach dem Schuss
Jahr
1999
Laufzeit
101 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Larissa Vassilian / 19. März 2011

Der Film

ÜberfallDeutschland in den 70er Jahren. Eine Gruppe Jugendlicher bricht in Banken ein und raubt Geld. "Enteignungsaktionen" nennen sie diese Überfälle, alles geschieht nur, um dem Kapitalismus zu trotzen. Aber aus der heiteren Anarchie wird bald bitterer Ernst: Um Gerechtigkeit walten zu lassen, sehen Rita Vogt (Bibiana Beglau) und ihre Freunde - alle Anfang 20 - keinen anderen Ausweg mehr als den Terrorismus. 
In der Tagesschau werden von nun an regelmäßig Fahndungsaufrufe gesendet. Ritas Foto taucht in Westdeutschland auf Plakaten auf. Also setzen sich die jungen Erwachsenen ins Ausland ab. Aber ob in Paris oder Beirut, nirgends scheinen die Terroristen wirklich sicher. Das einst so lustige Zigeunerleben wird zur ständigen Flucht voller Mißtrauen. Die Nerven liegen blank, Rita schießt einen Polizisten an. Die Lage scheint immer auswegloser, und dann bleibt nur noch eine Möglichkeit: Untertauchen in der DDR. Das aufregende aber kriminelle Leben gegen das eines braven Musterbürgers eintauschen. Ein nicht sehr verlockender Gedanke. 
UmarmungWeil aber auch ihre Liebe zu Andi (Harald Schrott) zu Ende ist, nimmt Rita das Angebot an. Mit Hilfe der Staatssicherheit, personifiziert in Erwin Hull (Martin Wuttke), beginnt für sie dort eine neue Existenz. Rita führt das normale Leben der Arbeiterklasse, lernt ihre neue Biografie auswendig, ändert ihren Namen. Und sie schließt eine Freundschaft mit ihrer alkoholsüchtigen Kollegin Tatjana (Nadja Uhl). 
Aus Angst, erkannt zu werden, muss Rita dann aber erneut untertauchen. Ihre dritte Identität annehmen. Und da lernt sie einen Mann kennen: Den Studenten und Rettungsschwimmer Jochen (Alexander Beyer). Er will sie mitnehmen nach Moskau. Doch dann wird Rita von ihrer Vergangenheit eingeholt, es ist das Jahr 1989 - die Mauer fällt, die DDR hört auf zu bestehen. Und somit gibt es auch keinen Schutz mehr für die Terroristen.

HaueAuch wenn die Namen RAF und Stasi in diesem Schlöndorff-Film nie auftauchen, ist klar, worum es hier geht. Die Geschichte ist wahr, sie fand vor über zehn Jahren ihr Ende. Gerade für die Kinogeneration zwischen 14 und 25 jedoch wird der Film ein Kapitel deutscher Geschichte porträtieren, das weitgehend an ihnen vorübergegangen ist: Die Zeiten der RAF wurden nicht im Geschichtsunterricht durchgenommen. Und gerade hier hakt es im Film einige Male: So einfach man der Geschichte auch folgen kann, versteht man den tieferen Sinn doch nur mit einem gewissen Maß an Grundwissen, das wohl leider nicht alle Besucher haben. Und das merkt Schlöndorff auch bei der Münchner Vorpremiere, als ihm einige Fragen gestellt werden, mit denen er nicht gerechnet hat, wie zum Beispiel "Warum hat die Stasi die Terroristen versteckt?" Dass es da um eine Mischung aus Faustpfand und "Feind des Feindes" ging, wird nicht näher erläutert.
Ganz klar dagegen ist die Tatsache, dass der Zuschauer sofort Sympathie empfindet für Rita. Sie ist stark und verletzlich zugleich, hat Ideale und erlebt Enttäuschungen. Und dieses Mädchen steckt man in die graue, triste DDR.
Es ist ein bedrückendes Bild, das da gezeichnet wird. Von jungen Menschen, die wenn nötig auch über Leichen gehen. Schlöndorff wird seither wieder auf seine politisch motivierten Filme der 70er-Jahre angesprochen, wie "Die verlorene Ehre der Katharina Blum". Und doch ist es diesmal etwas anderes: Der Film wirkt oft wie eine Karikatur des Ostens, der Stasi, der Biederkeit. Da fahren Mädels mit Trabbis gegen Bäume, klauen Alkohol und leben in Plattenbauten. Wenn man den Film allerdings nicht als Dokumentation sieht, sondern ihn eher als Anstoß versteht, mehr über diese Zeit nachzulesen, dann hat "Die Stille nach dem Schuß" sein Ziel durchaus erreicht.


Die Filmemacher über "Die Stille nach dem Schuß"

Ein ganzes Kapitel deutscher Geschichte will Volker Schlöndorff in seinem neuen Film "Die Stille nach dem Schuß" zeigen. Auf einigen Festivals und bei Vorpremieren war der Film über die westdeutschen RAF-Terroristen, die bis zur Wende in der DDR versteckt wurden, schon zu sehen. So auch im Münchener City-Kino, wo Schlöndorff mit seinen zurückhaltenden Hauptdarstellern Bibiana Beglau und Alexander Beyer nach der Vorführung Rede und Antwort stand. 
Insgesamt wurde "Die Stille nach dem Schuß" mit einem sehr jungen Team aus Babelsberg und Umgebung gedreht, erzählt Schlöndorff. Und: Er habe die Hauptrollen unbedingt mit Unbekannten besetzen wollen. Doch die Suche gestaltete sich schwierig. Kurz bevor er ernsthaft daran dachte, namhafte Schauspieler zu engagieren, besuchte Schlöndorff die Theaterproduktion Disco Pigs in Berlin, und da sah er sie: Bibiana Beglau. Die 28jährige sei eine Wiedergeburt der Angela Winkler, schwärmt Schlöndorff, und er habe sich sofort in sie verliebt. Rein platonisch, versteht sich. Und so bekam die natürlich und schüchtern wirkende Bibiana die Hauptrolle der Terroristin Rita Vogt. In die Figur konnte sie sich gut hineinversetzen. Immerhin habe die Rita etwas, woran sie selbst glaube: "Sie steht morgens auf und denkt, sie kann vielleicht ein bißchen was bewegen in der Welt", so Bibiana.

Alexander Beyer (bekannt aus "Sonnenallee") habe man bei einem Open Call Casting entdeckt, und auch er scheint für Schlöndorff die perfekte Besetzung des Geliebten von Rita Vogt zu sein. "Das sieht man sofort, er sieht zum Verlieben aus. Man nimmt ihm aber auch ab, dass er Atomphysiker sein könnte", so Schlöndorff mit einem Augenzwinkern. Er sah sich zur Vorbereitung auf die Dreharbeiten mit Bibiana Dokumentarfilme und DDR-Hitparaden an.
Die Hauptfigur Rita Vogt ist stark angelehnt an die ehemalige RAF-Terroristin Inge Viett, die bis 1997 im Gefängnis saß. Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase hatte sie im Knast besucht und Interviews mit ihr geführt. Der große Unterschied: Viett war damals bei ihrer Verhaftung schon über 40 Jahre alt, die Darsteller in Schlöndorffs Film sind Anfang 20. "Sie haben das Leben noch vor sich, das wollten wir zeigen", erklärt der Regisseur.
Zu dem entstandenen Film hat sich Inge Viett "halb bis ganz ablehnend" gezeigt, so Schlöndorff. Es gab urheberrechtlliche Querelen, die allerdings mittlerweile geklärt sind. Viett kritisierte, Schlöndorff habe ihre Lebensgeschichte geplündert, ohne die Stoffrechte zu erwerben. Dass Viett sich nicht korrekt porträtiert sind, findet Schlöndorff verständlich. "Sie hat es gelebt, ich habe es nur inszeniert". Und: "Ich glaube nicht an True Stories. Wenn man einen Spielfilm macht, muss man lügen - um der Wahrheit willen", erklärt er. Nicht umsonst erscheint am Ende des Filmes der klassische Satz: "Alles ist so gewesen. Nichts ist genau so gewesen". Man habe nicht Inge Viett porträtiert, sondern viele RAF-Terroristen in einer Rolle zusammengefasst, heißt es. Vietts Urteil über den Film ist klar: Sie bezeichnete ihn als "erschreckend schlecht", als "albern und unseriös".
Auch wenn Schlöndorff sich mit seinen Filmfiguren nicht identifizieren kann, verbindet ihn doch etwas mit diesen Menschen. "Ich hätte den Film nie gemacht, wenn ich nicht die Bewunderung für diese Menschen hätte", sagt er.
Neben dem Terrorismus ist ein zweites Thema nicht zu übersehen: Die DDR. Schlöndorff zeigt eine DDR, wie sie Wessis wohl kaum gekannt haben. Er zeigt das Alltagsleben in den Plattenbauten, das triste Arbeitsleben in Fabriken, die Grillfeste der Stasi. Oft wirken die Details überzeichnet und klischeehaft. Der Film wirkt nahezu museal, denn diese Welt - so meint man - gibt es seit zehn Jahren nicht mehr. "Einerseits hat sich alles geändert. Aber es gibt noch alles, wenn man sucht", erklärt Schlöndorff. Keine Sekunde des Films sei im Atelier entstanden, man müsse nur ein wenig unter der Oberfläche kratzen, und schon finde man alte Dekorationen und Menschen wie früher. Zum Beispiel die Firma Modedruck Gera oder die Wagonbaufirma Halle, die in ihrer altmodischen Scheußlichkeit fast schon wieder sympathisch wirken. Dazu noch eine große Prise Stasi-Spitzelei, Armut, Dreck und Biederkeit. Schlöndorff spricht vielen Zuschauern aus der Seele, wenn er sagt: "Ich hätte in diesem Staat nicht leben wollen und bin froh, dass er weg ist."
Bei der Berlinale 2000 bekam der Film als offizieller Wettbewerbsbeitrag den "Silbernen Bären" für die Hauptdarstellerinnen Bibiana Beglau und Nadja Uhl sowie den Preis für den Besten Europäischen Film. 

Bilder: Copyright

10
10/10

wunderschöner film. musste heulen :) bibiana spielt großartig. einer der wenigen filme, die die ddr-atmosphäre "echt" eigenfangen haben

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10
10/10

Bewerten kann man diese Arbeit nicht - man kann sie herausragend finden oder ablehnen. Ich finde sie herausragend! Die Unterschiedlichkeit der Menschen und des Menschen in sich selbst kam ganz glasklar heraus, ebenso wie die Unfähigkeit damit zurecht zu kommen. Eine wirklich andere Art sich mit der Geschichte auseinander zu setzen. Bravo!

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