Spielwütig, ja geradezu besessen von den Brettern, die die
Welt bedeuten, muss man wohl schon sein, um den steinigen Weg vom
Schauspiel-Talent zum potentiellen Star auf sich zu nehmen. Doch
bis dorthin ist es sehr weit, und die kommende Darsteller-Garde
muss gemeinhin erst durch die Mühlen der Schauspielschulen
und über die hohen Hürden der harten Aufnahmeprüfungen.
Vier junge Menschen hat Regisseur Andres Veiel im Zeitraum von 1996-2003
für diesen Dokumentarfilm begleitet. Von der Aufnahmeprüfung
an der Elite-Schauspielerschmiede ‚Ernst Busch' in Berlin bis
zu den ersten Engagements war seine Kamera ein Teil ihrer Ausbildung
und ihres Alltags. Einfühlsam, unaufdringlich, unterhaltsam.
Die angenehm authentische Antwort auf die mediale Super-Star-Hysterie.
Doch
wirkt selbst die Auswahl von Veiels vier Helden ein wenig wie das
berechnende Typen-Casting der Superstar-Shows. Da wäre die
hübsche Karina Plachetka, der klassische Gewinnertyp und sichere
Sympathieträger. Dann die ernste Constanze Becker als nachdenklicher
Gemütsmensch voller Selbstzweifel. Wenn es um ihren Wunschberuf
geht, kennt sie keine Kompromisse: "Es muss ehrlich, wahrhaftig
... muss von mir kommen. Wenn ich mich dafür engagiere, dann
ist es eben auch nur das. Und daneben kann es nichts anderes geben!"
Als dritte Figur erleben wir den schroffen, ‚ungeschliffener
Diamant'-Typ Prodromus Antoniades, der weder Selbstzweifel noch
Kompromisse zu kennen scheint. Für ihn steht fest: "Spielen
ist eine existentielle Notwendigkeit." Und schließlich
die etwas naive Stephanie Stremler als ebenso beklagenswertes Pechmariechen
wie bewundernswerte Ausnahmekämpferin: Ihre Eltern halten die
Schauspielerei für eine unseriöse und finanziell unsichere,
ohnehin nur vorübergehende Träumerei. Obendrein attestiert
man ihr, nach etlichen Ablehnungen, einen Sprachfehler und
eine motorische Störung. Aber sie gibt nicht auf, denn: "Je
größer die Angst, desto größer ist auch der
Mut, die Angst zu überwinden." Und gerade die Niederlagen,
die scheinbare Aussichtslosigkeit des Wunsches Schauspielerin zu
werden, machen ihren leidenschaftlichen Kampf, und damit auch den
der anderen Drei, noch deutlicher. Insbesondere Stephanies jahrelanges
Durchsetzungsvermögen, ihre Standhaftigkeit, Eigeninitiative
und Obsession für den Beruf stehen stellvertretend für
den Ehrgeiz aller.
Mit seiner Terrorismus-Dokumentation "Black Box BRD" präsentierte
Andres Veiel im Jahr 2001 den richtigen Film zum richtigen Zeitpunkt
und traf genau den Nerv der Zeit. Die Langzeitstudie über Schauspielschüler
wird es etwas schwerer haben. Wer hätte damals, zu Projektbeginn,
schon ahnen können, dass Dokumentationen wie Pilze aus allen
TV-Kanälen schießen würden. Von den inflationären
Star-Suchen ganz zu schweigen. Doch "Die Spielwütigen"
konnten bereits die diesjährigen Berlinale-Zuschauer von ihrem
tränen-, traumata- und triumphreichen Weg ins (Berufs-)Leben
überzeugen: Veiel gewann für seine Dokumentation den Publikumspreis.
Die Mundpropaganda wird seinem einfühlsamen wie beindruckenden
Psychogramm über vier Menschen, die nichts sehnlicher wollen
als Schauspieler zu werden, sicherlich wieder ihren gebührenden
Raum zwischen den Multiplex-Kinos erobern.
Zurecht,
denn der einstige Psychologie-Student Veiel beweist mit seinem Doku-Psychogramm
einmal mehr ein sensibles Händchen. Zum einen, weil er der
renommierten ‚Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch'
einen Spiegel vor ihr verstaubtes Gesicht hält: Antiquierte
Begrifflichkeiten (siehe "Elite") und selbstgefällige
Dozenten, die nach ihnen leben, scheinen Veiel ein Dorn im Auge.
Zum anderen gibt er, angenehm anders als in so manchen TV-Dokus,
seine Objekte der dokumentarischen Begierde nie der Lächerlichkeit
preis. Auf naheliegende Effekthascherei kann er getrost verzichten
- von ein paar unnötig stimmungsheischenden Klavierklängen
einmal abgesehen. Veiel bleibt teilnehmender Beobachter der behutsam
zurückhaltenden Art. Statt klatschsüchtigem Seelen-Strip
enthüllen sich die Probleme und Emotionen der vier Figuren
unaufdringlich, mit kleinen Gesten, mit großen Augen oder
unterdrückten Frust-Anzeichen. Zwischendurch haben sich alle
vier Hauptdarsteller mit Regisseur Veiel gefetzt und wollten sogar
die Mitarbeit am Projekt aufkündigen: Die Kritik und die Entwicklung
im Studienalltag und dann noch die sporadische Beobachtung durch
die Dokumentation war oftmals sicher zuviel. Wer lässt sich
schon gerne in so intimen und verwundbaren Momenten in die Seele
schauen, wie sie diese Menschen fast täglich erlebt haben.
Doch das spricht nur für die Intensität des Films.
Der
Skizzenhaftigkeit ihrer Biografien, ihrer Motivation und ihrer Höhen
und Tiefen mag zunächst Struktur fehlen. Doch die bruchstückhafte
Puzzle-Methode macht durchaus Sinn. Sozusagen nebenbei entwickelt
man zunehmend Mitgefühl für das ungleiche Quartett. Man
lacht über die größenwahnsinnige Schnaps-Idee von
Prodromus, in New York sofort Karriere zu machen - aber nur, weil
er gleichzeitig selbst über sein verrücktes Vorgehen lacht.
Man versteht Karinas angeknacksten Idealismus, wenn sie sich bei
der Begutachtung der frischgebackenen Schauspielabsolventen zwischen
der Schar bundesdeutscher Theater-Intendanten so vorkommt wie auf
einer Frischfleisch-Versteigerung.
Der Nachspann erklärt uns, dass alle auf einem vielversprechenden
Weg zu einer beachtlichen Karriere sind. Einzig ‚durchgefallen'
bei diesen "Spielwütigen", ist die Hochschule ‚Ernst
Busch'. Deren arrogante, hämische bis verletzende Methoden
erinnern in ihrem Motivationstalent bisweilen eher an die Bundeswehr
denn an eine kreative Kaderschmiede. Für manch potentiellen
Bewerber mag diese "Schauspielen-ist-kein-Zuckerschlecken"-Darstellung
ein heilsamer Schock sein. Umgekehrt gilt aber auch: Wer sich davon
abschrecken lässt, gehört eben nicht zur verrückten
Liga der "Spielwütigen". Ein Schauspieler ist ein
Schauspieler ist ein Schauspieler ....
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