Die australische Regisseurin Gillian Armstrong hat ein besonderes Gespür für diese Geschichten über "little women", die durch die mehr oder weniger starken Stürme des Lebens sich zu ganz großen Frauen entwickeln. Wer erinnert sich nicht an "Betty und ihre Schwestern" (1994) oder die Liebe zwischen "Oscar und Lucinda"(1997); vor langer Zeit erzählte und doch zeitlose Geschichten über Frauen voller Mut, Angst, Freude und Trauer. Egal ob alltägliche oder außergewöhnliche Frau - sie alle müssen meist mit einem außergewöhnlichen Alltag zurecht kommen. Jede von Armstrongs weiblichen Figuren kämpft auf irgendeine Art und Weise, um das Überleben von Liebe, Freundschaft oder schlicht der gewohnten, kleinen Dinge des Lebens.
Und wieder spielt ein Krieg in einem ihrer Filme eine tragende Rolle: Vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges formen sich die ungewöhnlichen Zutaten, aus dem sich das Liebes -, Leidens- und Kampfmelodram der Schottin Charlotte Gray entspinnt, dass auf dem gleichnamigen Bestseller von Sebastian Faulks basiert. Sowohl der Roman als auch Armstrongs Film erzählen die Geschichte der jungen Charlotte Gray (Cate Blanchett), die sich 1943 in England in den Luftwaffenpiloten Peter Gregory (Rupert Penry-Jones) verliebt. Beide verleben eine Zeit der scheinbar unberührbaren Glückseligkeit in mitten des wütenden Krieges. Er erzählt ihr, dass er fliegt, weil es das einzige ist was er kann und nicht weil er ein Held sein will, und sie versucht ihm krampfhaft ein paar französische Wörter beizubringen (belässt es jedoch schnell bei den gleichnamigen Küssen). Als die Realität beide schließlich doch einholt und Peter zu einem gefährlichen Einsatz nach Frankreich geschickt wird, lässt sich Charlotte von der britischen Regierung für eine Mission zur Unterstützung der französischen Résistance im Untergrundkampf gegen die deutschen Besatzer ausbilden. An dem Tag, an dem sie Peters Rückkehr erwartet hatte, muss Charlotte erfahren, dass er seit seinem letzten Einsatz vermisst wird. Sofort drängt sie bei der Regierung auf ihren Einsatz - ohne jedoch zu verraten, dass sie sich auf die Suche nach ihrem als vermisst geltenden Geliebten machen will. Schließlich wird sie in einem kleinen Dorf in der südfranzösischen Provinz als Nachrichtenkurier eingesetzt. Dort lernt sie den Résistancekämpfer Julien (Billy Crudup) kennen und damit treffen zwei Charaktere aufeinander, die eine extrem schwierige Zeit auf sehr unterschiedliche Weise bewältigen und verarbeiten: "Sie hat sich entschieden, ihr Leben für jemanden, den sie liebt, aufs Spiel zu setzen. Dieser Grad an Leidenschaft und Gefühl erscheint Julien zunächst merkwürdig, denn alle Entscheidungen die er trifft, sind Entscheidungen seines Intellekts", erklärt Billy Crudup über die Beziehung zwischen den beiden Hauptfiguren. "Gleichzeitig fühlt er sich zu Charlotte hingezogen - und dass eine schöne Frau sprichwörtlich vom Himmel fällt, um ihm in seinem geistigen wie körperlichen Kampf zu helfen, steht natürlich kaum in einem seiner Bücher."
Während Charlotte von ihrer britischen Kontaktperson die Order erhält, gemeinsame Sache mit der Résistance zu machen, verstrickt sie sich und die Wiederstandkämpfer durch ihre geheimen Nachforschungen über Peters Verschwinden immer wieder in lebensgefährliche Situationen. Indes sich die Anzeichen verstärken, dass Peter umgekommen ist, wird Charlotte mehr und mehr in die riskante, nicht selten selbstmörderische Arbeit der Résistance hineingezogen - insbesondere in das Leben von Julien.
Armstrongs Film wollte ganz offensichtlich das Bild der unvergessenen Romanfigur Charlotte Gray nachzeichnen. Es sollte ein authentisches Liebesdrama werden, indem man Augenblicke entdeckt, die so oder so ähnlich einigen Frauen wahrhaftig wiederfahren sein mögen. Der Zuschauer sollte den schmerzlichen Reifungsprozess und den emotionalen Erkenntnisgewinn mit ansehen, den der Krieg bei den Menschen und auch bei Charlotte bewirkte.
Doch nichts davon passiert; in diesem Film steckt nichts von alldem - es entwickelt sich keine Liebesgeschichte, weil der eine Geliebte verschollen ist und der andere für die Résistance kämpfen muss, ehe er seinen Empfindungen freien Lauf lassen kann; es will und will auch kein Actionthriller daraus werden, weil man es leid ist, über Charlottes Ausbildungsszenen und dem stundenlangen Warten auf geheime Instruktionen auf Spannung zu hoffen. Und ein Selbstfindungsdrama will auch nicht so recht entstehen. Das eine Schottin als Résistancekämpferin durch französische Wälder kriecht, um ihren englischen Geliebten zu finden, das wollen wir ja alles noch hinnehmen. Aber wenn sie dann auch noch zur Jean D'Arc für jüdische Kinder wird, stellen wir gleichermaßen mit Charlotte fest: "Ich denke nicht, dass ich noch weiß, was ich hier tue." Besonders unglaubwürdig in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass Cate Blanchett immer makellos frisiert und geschminkt aussieht - möglicherweise gehörte es zu Charlottes Ausbildung entrückt, vollkommen und recht leidenschaftslos zu wirken; egal ob sie gerade mit dem Fallschirm in der Provence landet oder vor wütenden deutschen Besatzern durch ein idyllisches französisches Dorf flieht. Das Mrs. Blanchett aber ihre schauspielerische Kraft und vor allem ihr mimische Ausstrahlung dermaßen zurückschraubt, kann gerade der Zuschauer nicht glauben, der ihre enorme Ausdruckskraft und Vielfältigkeit in den unterschiedlichsten Filmen bewundern durfte ("Schiffsmeldungen", "Banditen", "Herr der Ringe").
Billy Crudup, der schon in "Almost Famous" und "Jesus' Son" zeigte, was er kann, überzeugt hier nicht in allen Instanzen: Zugegeben, er ist ein ziemlich glaubwürdiger Amerikaner in der Rolle eines Franzosen und diese komplexe Beziehung, eine Art unausgesprochene Liebe, die ihn mit seinem Vater (Michael Gambon) verbindet, würzt den Film mit dringend notwendigen emotionalen Spannungsmomenten. Doch darüber hinaus ist auch Mr. Crudup einfach nur gutaussehender, hin und wieder agierender Statist in einer kriegerischen Neufassung von "Warten auf Godot".
Das einzige, was wirklich entstand, und das ist das wahrhaft dramatische und traurige an "Charlotte Gray", ist ein lächerliches Kriegsfilmchen. In Tagen, in denen der "Achse des Bösen" auch immer verstärkter mit Kriegsfilmen aus dem terroristen- aber nicht propagandafreien Amerika entgegen gewirkt wird, freut man sich über jeden Streifen, der sich dieser Thematik von einer anderen Seite als der hurra-patriotischen nähert. Um so erschütternder ist es, wenn ein Film, der eigentlich dank einer guten Romanvorlage alle Vorraussetzungen für ein gutes Script und einen guten Film hätte, so absurde und vergessen geglaubte Figuren wie tumbe Nazischergen wieder hervorbringt, die offensichtlich nichts weiter beherrschen als marschieren, Befehle grunzen und bis Null zu zählen. Aber wenigstens durften die Deutschen in der Originalfassung des Films ihrer Muttersprache reden (im Gegensatz zu Englisch sprechenden Franzosen mit französischem Akzent!).
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