Nur ein paar Jahre in der Zukunft: Die Ölknappheit der westlichen Staaten hat sich nach einem Bürgerkrieg in Saudi-Arabien verschärft und im alten Europa beginnt man sich zusehends mit dem Bau von massiven Grenzbefestigungen gegen die unliebsamen Einwanderer aus ärmeren Ländern abzuschotten. Aber auch innerhalb Deutschlands driftet die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinander, entstehen in den großen Städten die ersten Straßenlager mit den Verlierern des Kapitalismus. Inmitten dieser Entwicklung versuchen die Mitglieder der bürgerlichen Familie Kuper ihren jeweils eigenen Weg zu finden. Die eher unpolitische Studentin Laura (Bernadette Heerwagen) möchte sich mit ihrer großen Liebe Hans (Daniel Brühl) vor allem den Wunsch nach einem Kind erfüllen, sieht sich dabei aber ungeahnten Hindernissen ausgesetzt. Ihre Schwester Cecilia (Johanna Wokalek) führt dagegen an der Seite des charismatischen Konstantin (August Diehl) ein auch sexuell ausschweifendes und aufregendes Leben, wird von diesem jedoch immer tiefer in die terroristische Szene der Untergrundorganisation "Schwarze Stürme" gezogen. Während die Eltern sich entzweien und der jüngere Bruder zum Soldaten wird, eskaliert die Situation um die beiden Schwestern schließlich zu einer Frage von Leben oder Tod.
Es ist ein ziemlich episches Konstrukt, das Regisseur und Drehbuchautor Lars Kraume hier präsentiert, und man darf schon ein wenig überrascht sein, was sich der Filmemacher nach seinem Kammerspiel "Keine Lieder über Liebe" jetzt für ein gewaltiges Thema vorgenommen und auch konsequent umgesetzt hat. Da geht es mal eben um die Schilderung einer nicht allzu phantastischen globalen Entwicklung der nächsten 10-12 Jahre und deren Auswirkung auf das Leben der Menschen, exemplarisch festgemacht am Schicksal einer Familie, in der sich die unterschiedlichsten Archetypen und Lebensentwürfe versammeln. Schon alleine für dieses Vorhaben und den Mut, mit so einem Thema einen Anstoß zum Nachdenken und Diskutieren zu liefern, ist man ja geneigt den Hut zu ziehen und sich darüber zu freuen, dass eben auch so etwas mal ab und zu gewagt wird.
Doch der Film verdient sich seine Meriten nicht nur durch ein grundsätzliches Wohlwollen gegenüber seinem Wagemut, sondern besitzt erfreulicherweise auch einiges an Qualität. Die Schauspielerleistungen sind durch die Bank exzellent, ob in kleineren Nebenrollen (Susanne Lothar, Jürgen Vogel) oder bei den Hauptfiguren, wo vor allem August Diehl als mitunter fast schon dämonisch agierender, radikalisierter Weltverbesserer und Johanna Wokalek als von ihm verführte, zwischen Moral und "Missionserfüllung" hin- und hergerissene Cecilia sehr interessante und vielschichtige Aufgaben gestellt bekommen. Am Ende lastet der Film jedoch auf den schmalen Schultern von Bernadette Heerwagen, die in ihrer ersten großen Kinohauptrolle den Zuschauer als einzige halbwegs erkennbare Identifikationsfigur an die Hand nimmt und auch als Erzählerin fungiert. Heerwagen meistert diese Aufgabe mit der Darstellung einer sowohl zerbrechlichen wie auch sehr entschlossenen Figur, deren auf den ersten Blick etwas naive Einstellung zu den vor sich gehenden Veränderungen sich schließlich als die erfolgversprechendste Überlebensstrategie erweist.
Lars Kraume legt den Schwerpunkt seiner Geschichte auf sein Quartett von Hauptfiguren und konzentriert sich in erster Linie auf deren wechselndes Verhältnis zueinander, während die gesellschaftliche Umwälzung eher im Hintergrund abläuft. Vieles wird dabei überhaupt nicht direkt thematisiert, sondern lediglich durch kurze Radio- und Fernsehausschnitte mitgeteilt, auch die dem heutigen Betrachter natürlich sofort ins Auge stechenden Anomalitäten wie Zeltlager auf den Straßen oder Luftschiffe am Himmel sind den Figuren keine Erwähnung wert - was nur natürlich ist, denn sie leben ja täglich in dieser Welt und haben sich bereits daran gewöhnt. So bleibt allerdings das gesamtgesellschaftliche Panorama bewusst etwas diffus und man hätte sich an der einen oder anderen Stelle schon noch ein wenig mehr an Exposition gewünscht.
Zudem entpuppt sich der Beginn des Films als etwas zu bedächtig und schwerfällig, wenn nach einem sehr neugierig machenden Auftakt erst einmal ein paar Jahre in der Zeit zurückgesprungen wird. Andererseits ist dieses Vorgehen für die Entwicklung der einzelnen Charaktere allemal sinnvoll, denn nur so nimmt man an deren späteren dramatischen Schicksal dann auch entsprechend emotional teil. Und hochdramatisch und spannend wird es dann in der Tat in der letzten halben Stunde, in welcher die Geschehnisse eskalieren.
Zu einem echten Science-Fiction- oder gar Actionfilm wird "Die kommenden Tage" aber auch dann nicht und bleibt dies mit der Darstellung seiner glaubwürdigen Utopie bis zum Schluss nur in Ansätzen, was ihn dann doch stark vom ansonsten thematisch vergleichbaren "Children of Men" unterscheidet - obwohl sich auch hier am Ende verschiedene Parteien um ein Kind streiten. Wie ambitioniert der Autor und Regisseur an seine Geschichte herangeht, zeigt sich auch noch einmal am ambivalenten Ende des Films, das sich der Erwartungshaltung des Zuschauers einerseits zwar verweigert, dafür aber wiederum viel Stoff für Diskussionen liefert. Und wenn dann beim Abspann "Wir sind Helden" ihr tief trauriges "Bring mich nach Hause" singen, reift die Erkenntnis, soeben einen verdammt starken deutschen Film gesehen zu haben.
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