"Die fetten Jahre sind vorbei" oder "Sie haben zuviel Geld!". Solche Parolen hinterlassen die "Erziehungsberechtigten" Jan und Peter bei ihren Einbrüchen in noblen Villenvierteln. In den Wohnungen richten sie dabei nur ein wenig Chaos an oder bauen lustige Möbelburgen, stehlen tun sie nichts. Es geht Ihnen nur um die Verunsicherung der Bonzen, ohne dass sie allzu große Hoffnung haben, diese mit ihren Aktionen tatsächlich zum Nachdenken bringen zu können. Die Freundschaft der zwei Unzertrennlichen wird jedoch bald auf eine harte Probe gestellt, als sich Jan in Peters Freundin Jule verliebt. Bei einer gemeinsamen nächtlichen Aktionstour gerät die Situation dann schnell außer Kontrolle. Der Hausbesitzer Hardenberg kommt unerwartet nach Hause und überrascht die Einbrecher. Da er Jule sogar erkennt, wird der Feind kurzerhand entführt und mit auf eine abgelegene Berghütte in den österreichischen Alpen genommen.
Dort gilt es für die Freunde dann gleich zwei Probleme zu lösen: Was machen Sie mit ihrer "Geisel", und wie wird Peter reagieren, wenn er vom Verhältnis der anderen beiden erfährt?
Hinter dieser, auf den ersten Blick gar nicht so aufregend klingenden, Prämisse verbirgt sich weit mehr als eines der altbekannten Teenagerdramen. Nach der unterhaltsamen ersten halben Stunde entwickeln sich die "Fetten Jahre" tatsächlich zu einem hochinteressanten Diskurs über den Zustand unserer Gesellschaft und darüber, warum jeder so ist wie er eben ist. Es steht für die jungen Rebellen nie ernsthaft zur Debatte, ihre Geisel wirklich umzubringen, auch wenn Sie ihn, im Gedenken an die Schleyer-Entführung der RAF, im "Volksgefängnis" willkommen heißen. Langsam reift in ihnen auch die Erkenntnis, dass sie diese ganze Aktion gar nicht aus politischen Motiven heraus rechtfertigen können, sondern eigentlich nur irgendwie ihren Arsch retten wollen.
Das hält aber keinen der vier Beteiligten davon ab, über ihre politischen Einstellungen leidenschaftlich zu diskutieren. Mit Hardenberg, der Verkörperung des kapitalistischen Feindes, erwächst ihnen dabei ein unerwartet schlagfertiges Gegenüber, welches sich nicht nur relativ schnell in die neue Situation fügt, sondern als ehemaliger 68er sogar Einiges an Verständnis für die jungen Wilden aufbringt. Es mag nun etwas klischeehaft klingen, wenn die Geisel sich mit ihren Entführern verbündet und dabei auch gleich noch Rudi Dutschke und die Spitzen der APO persönlich kannte. Doch diese Sorge ist unbegründet, denn eine wirkliche Verbrüderung findet trotzdem nicht stat,t und dieser Hardenberg ist auch die mit Abstand vielschichtigste und interessanteste Figur der Geschichte. Ganz große Klasse, wie es Burghart Klaußner gelingt glaubhaft zu vermitteln, wie sein Weg fast zwangsläufig vom linken Idealisten zum von äußeren Zwängen und Verpflichtungen getriebenen Biedermann führen musste. Und kaum ist er einem dann richtig sympathisch geworden, überrascht und verstört er das Publikum wieder mit seiner Handlungsweise. Es sind erstaunlich feine und zielsichere Sätze, die den Protagonisten hier in den Mund gelegt werden, so dass man eigentlich jedem grundsätzlich Recht geben könnte. Zumindest aber regt das Alles zum engagierten Diskutieren nach dem Film an, und das ist ja zweifellos eine der besten Auszeichnungen, die man einen Film überhaupt verleihen kann.
Dass "Die fetten Jahre sind vorbei" daher in diesem Jahr der erste deutsche Wettbewerbsbeitrag zum Filmfestival in Cannes seit vielen Jahren war, ist daher auch nur zu begrüßen - auch wenn ihm eine offizielle Auszeichnung dort leider verwehrt blieb. Ein intelligenter und bis zum Ende seiner mehr als zweistündigen Laufzeit stets spannender Film, in dem auch die drei Jungschauspieler durchweg sehr gute Leistungen abliefern (wobei wir gerade von Julia Jentsch demnächst als "Sophie Scholl" noch eine weitere Steigerung zu sehen bekommen werden). Unbedingt erwähnt werden muss aber noch der durchgehend trockene Humor des Films, der seine Thematik nie zu bierernst nimmt, um nicht auch noch immer wieder einen gelungenen Gag vom Stapel zu lassen, wenn z.B. Hardenberg und seinem Entführer Jan die Absurdität ihres plötzlichen "Vater-Sohn-Verhältnisses" bewusst wird. Dazu dann noch eine Prise sehr feiner, mit bedacht ausgewählter Musik (u.a. von Jeff Buckley) und die finale Erkenntnis lautet: Die fetten Jahre mögen zwar in mancher Hinsicht vorbei sein, dieser Film bildet aber ein sehr erfreuliches Dessert.
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