Die Kinderbuch-Verfilmung "Der Zauberer von Oz" von 1939 gehört in Amerika zu den bekanntesten und populärsten Filmen überhaupt. Seine Geschichte von der armen Farmertochter Dorothy, die mit ihrem Hund Toto von einem Wirbelsturm aus dem heimischen Kansas hinfort getragen wird ins bunte Wunderland Oz ("Toto, I think we're not in Kansas anymore!") und sich dort über die yellow brick road mit ihren neuen Freunden (der Vogelscheuche ohne Gehirn, dem Blechmann ohne Herz und dem Löwen ohne Mut) aufmacht in die Emerald City, die Wicked Witch of the West besiegt und schließlich enthüllt, was genau das Geheimnis des titelgebenden Zauberers ist, gehört in den USA zur nationalen Folklore wie hierzulande die Märchen der Gebrüder Grimm. Während ein Deutscher bei "Somewhere over the rainbow" wahrscheinlich als erstes an Techno und Marusha denkt, denkt der Amerikaner an die unschuldige junge Judy Garland, die eben dieses Lied in eben diesem Film als Dorothy berühmt machte. Dass quasi jeder Amerikaner diese Geschichte kennt, muss man wissen um zu verstehen, was dieser Film hier soll. Und warum man ihn eigentlich als Fortsetzung der letzten Verfilmung von "Alice im Wunderland" betrachten kann, auch wenn beide Werke inhaltlich nichts miteinander zu tun haben.
Die Erfolgsformel, die sich die produzierenden Disney-Studios hier zusammengerührt haben, ist nämlich in beiden Fällen vollkommen identisch: Man nehme eine bestens bekannte und allseits geliebte Vorlage (Stichwort: "built-in audience") mit einer schön eskapistischen, familienfreundlichen Reise in ein buntes Fantasieland, lege sie mit viel Trickserei visuell spektakulär neu auf (natürlich mit 3D-Zuschlag), adele das Ganze, indem man sich einen bekannten Fantasy-Regisseur einkauft - und fertig ist der garantierte Kassenerfolg, den man Anfang März in den Kinos startet, wenn es noch keine Konkurrenz durch andere Blockbuster gibt. Es ist ein fast schon zynisch durchkalkuliertes Konzept, bei dem die größten Verlierer einerseits die zahlenden Zuschauer sind, die sich davon auch noch rumkriegen lassen, und andererseits der Regisseur mit dem großen Namen, der sich für so eine Nummer ausverkauft. Denn ebenso wie sich bei "Alice im Wunderland" der Meister des Skurrilen Tim Burton weitestgehend disneyfizieren ließ, ist es hier Horror- und Fantasy-Ikone Sam Raimi ("Spider-Man 1-3"), der den Gehaltsscheck einsteckt und dafür jedwede Spur einer eigenen Handschrift sausen lässt. Erbärmlich.
Anstatt - wie bei "Alice" - eine Quasi-Fortsetzung der berühmten Vorlage zu inszenieren, entschied man sich beim "Zauberer von Oz" nun für ein Prequel und erzählt somit hier die Vorgeschichte des besagten Zauberers, also wie er zu dem wurde, was er ist als Dorothy den Vorhang lüftete. Um auch das zu erklären: Im Film von 1939 wird sehr ehrfürchtig über den mächtigen Zauberer gesprochen, der das Land Oz regiert, doch am Ende enthüllt Dorothy, dass es sich bei diesem 'mächtigen Magier' tatsächlich nur um einen hutzeligen alten Mann handelt, der sich hinter einem Vorhang versteckt und von dort mit simplen Trickmaschinen bloß Illusionen aus Schall und Rauch erzeugt. Im neuen Film nun ist die Hauptfigur ein junger, selbstverliebter und egoistischer Jahrmarkt-Zauberer namens Oscar Diggs - Spitzname: Oz (James Franco) - der wie einst bzw. später Dorothy im ländlichen Kansas des frühen 20. Jahrhunderts von einem Wirbelsturm erfasst und nach Oz transportiert wird. Dort begegnet er den Hexenschwestern Evanora (Rachel Weisz) und Theodora (Mila Kunis), die Oscar für eine fleichgewordene Prophezeiung und einen mächtigen Magier halten (oder das zumindest behaupten) und ihn mit der Aussicht auf einen unermesslichen Schatz dazu anstiften, ihre Gegenspielerin Glinda (Michelle Williams) auszuschalten.
Der Film beginnt in Schwarz/weiß und einem Bildformat, das nur die halbe Leinwand füllt. Nicht irritieren lassen, das ist Absicht, und eine Referenz ans Original, das im drögen Kansas ebenfalls in schwarz/weiß begann und mit der Landung in Oz in knallbuntes Technicolor umschaltete. Ebenso macht es dieser Film, doch bevor es endlich bunt wird, scharrt das Publikum bereits ungeduldig mit den Füßen - denn schon der Eröffnung fehlt es hier an Rhythmus und Tempo, ein Mangel, der sich über die nächsten zwei Stunden nicht mehr legen wird. Tatsächlich fragt man sich hier mit einiger Berechtigung, warum eine derart flach angelegte Geschichte, bei der alles kinderfreundlich dialogisch ausbuchstabiert wird und die wenigen Wendungen hundert Meilen gegen den Wind zu riechen sind, auch noch derart langsam ausgerollt werden muss. Die ganze Inszenierung ist so träge und behäbig, man könnte die Laufgeschwindigkeit auf eineinhalb-faches Tempo hochpitchen und es würde einem immer noch nichts entgehen.
Das fördert natürlich ganz enorm die Breitmachung extremer Langeweile, und leider gibt es nichts, was dem entgegen wirkt. Hier scheint alles nach dem Prinzip zu gehen "So einfach, das es der Kleinste versteht, und so langsam, dass sich der Älteste nicht erschrickt". Disney-Familienkino von seiner schlimmsten Seite, so flach und simpel, dass auch die an sich durchaus renommierten Darsteller absolut nichts damit anfangen können. James Franco chargiert am Rande zum Klamauk wie ein eingebildeter, unterbelichteter Grinsekater und bleibt durchweg unsympathisch. Kunis und Weisz machen es auch nicht viel besser und bleiben gänzlich an der Oberfläche kleben - mehr als das haben ihre Figuren aber sowieso nicht zu bieten. Von vornherein aufgegeben hat dafür Michelle Williams, die mit konsequent festgefrorenem Glubschaugen-Gesichtsausdruck gar nicht erst versucht, so etwas wie Nuancen in ihr Spiel zu bringen. Man sieht den Schauspielern ihr Bewusstsein dafür, in was für einem seelenlosen Murks sie hier agieren, durchweg an.
Man könnte hingehen und an diesem Film zumindest seine optischen Schauwerte loben, die 3D-Effekte und die Umsetzung der bunten Welt von Oz. Doch selbst das alles wirkt im Vergleich uninspiriert und lieblos, zu offensichtlich will man hier versuchen, einen auf "Avatar" zu machen und kriegt nicht mal überzeugende 3D-Welten hin, geschweige denn sonst irgendwas, was das Adjektiv "einfallsreich" verdient hätte. Selten war ein Fantasy-Film so fantasielos.
Und wer den Originalfilm kennt, der darf sich sogar noch ein bisschen darüber aufregen, dass diese "Fantastische Welt von Oz" in direkter Relation zum "Zauberer von Oz" überhaupt keinen Sinn macht. Damals zeigte sich nach Dorothys Rückkehr nach Hause nämlich, dass die Bewohner von Oz allesamt Abstraktionen der echten Menschen in Dorothys Umgebung waren, eine kindliche Fantasieversion ihrer realen Lebenswelt - am Ende war also alles vermutlich nur Einbildung. "Die fantastische Welt von Oz" spielt ansatzweise mit demselben Gedanken, z.B. da Michelle Williams auch in der realen Welt zu Beginn auftaucht, und Oscar Diggs in der Zauberwelt ein verkrüppeltes Mädchen wieder zum Laufen bringen kann, wozu er in der Realität nicht in der Lage war. Doch wenn Oz am Ende des Films hinter dem Vorhang landen soll, wo Dorothy den Zauberer später findet, dann kann er nicht in die reale Welt zurückkehren, ist ergo auch nicht in einer Vorstellungswelt - aber ist doch eigentlich nur ein Teil von Dorothys Vorstellungswelt aus dem alten Film. So verdreht sich "Die fantastische Welt von Oz" in halbgarer Treue zum Original in sein eigenes Paradoxon und scheint am Ende selbst vergessen zu haben, dass er überhaupt damit gespielt hat. Aber vielleicht baut man bei Disney auch einfach nur darauf, dass das Publikum die Sache schon nicht so eng sehen wird.
Gerade weil die Vorlage in den USA derart berühmt und heiß geliebt ist, wird dieser neue Film trotz zu erwartender, miserabler Kritiken ein Riesenerfolg werden - zumindest in Amerika. Dass ihm die Magie, Vielschichtigkeit und epische Größe seines Vorgängers völlig abgeht und er das Andenken dieses ewigen Hollywood-Klassikers geradezu beschmutzt, wird daran auch nichts ändern. Wer mit seiner Familie in diesen Film rennt, liest vorher keine Kritiken. Einziger Trost: Dieses herzlose Machwerk wird nach der DVD-Auswertung schnell in Vergessenheit geraten. Den "Zauberer von Oz" werden sich die Amerikaner auch in Jahrzehnten noch ansehen.
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