Detroit

Originaltitel
Detroit
Land
Jahr
2017
Laufzeit
143 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Frank-Michael Helmke / 5. November 2017

Bald zehn Jahre sind vergangen, seit Kathryn Bigelow in die Geschichte eingegangen ist als erste weibliche Gewinnerin des Oscars für die beste Regie (für ihr damaliges Kriegsfilm-Meisterwerk "The Hurt Locker"). Sie steht mit dieser Ehre nach wie vor alleine da, und zu einer permanent beschäftigten Filmemacherin hat sie ihr historischer Sieg leider auch nicht gemacht. "Detroit" ist erst ihr zweiter Film seit ihrem Oscar-Triumph, fällt stilistisch und thematisch in ganz ähnliche Kategorien wie sein direkter Vorgänger "Zero Dark Thirty" und lässt erahnen, wieso es eben locker vier bis fünf Jahre bis zu einem neuen Bigelow-Film dauern kann: Erneut widmet sich die Regisseurin hier gemeinsam mit ihrem nun Stamm-Drehbuchautor Mark Boal einer quasi-dokumentarischen Aufarbeitunge eines wichtigen zeitgeschichtlichen Themas. DetroitDas dauert sowieso schon mal lange, weil der offensichtliche Eigenanspruch von Bigelow und Boal auf möglichst große Faktentreue und -tiefe eine ausgiebige Recherchearbeit verlangt, und die braucht halt ihre Zeit. Und dann muss für so ein Projekt auch erstmal eine Finanzierung gefunden werden, denn Oscar-Preisträgerin hin oder her: Mit solch sperrigen und politischen Themen lässt sich an der Kinokasse nun mal kein großer Reibach machen. Da können sie noch so nah am Puls der Zeit sein.

Und das ist "Detroit" auf jeden Fall, auch wenn er Ereignisse aus dem Jahr 1967 dokumentiert. Denn Anlass und Thema der innerstädtischen Unruhen, welche die Industriemetropole wie so viele andere amerikanische Großstädte in jenem Jahr erschütterten, sind auch 50 Jahre später immer noch hochaktuell. Die zahlreichen Proteste der "Black Lives Matter"-Bewegung, die sich in den vergangenen Jahren in den USA an immer neuen Fällen skandalöser Polizeigewalt gegen Afroamerikaner entzündeten, sind ein Zeugnis davon, dass sich am inhärenten Rassismus der amerikanischen Gesellschaft trotz Bürgerrechtsbewegung und Barack Obama höchstens marginal etwas verbessert hat. 

DetroitMit "Detroit" arbeitet Bigelow nun einen der bekanntesten Skandale um Polizeigewalt gegen Afroamerikaner auf, der sich während den Rassen-Unruhen im Sommer 1967 im Algiers Motel in Detroit zutrug und drei Todesopfer forderte. Der dokumentarische Ansatz des Films wird dabei schon gleich zu Beginn deutlich, da Bigelow und Boal sich zum Einstieg als Erstes bemühen, knapp und prägnant den historisch-gesellschaftlichen Kontext zu erläutern, der zu diesen Unruhen führte: Die "great migration" der aus der Sklaverei befreiten schwarzen Bevölkerung aus den ländlich geprägten Südstaaten in die Industrie-Metropolen im Norden, auf der Suche nach Arbeit und einem neuen Leben, gepaart mit der Flucht in die Vororte der neuen weißen Mittelschicht, die im wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegsjahre zu genug Wohlstand kam, um sich den Traum vom Eigenheim mit Garten zu erfüllen. Dadurch wandelten sich die Innenstädte der großen Metropolen zu sozialen Brennpunkten, in denen sich die schwarze Bevölkerung immer wieder Schikanierungen durch die staatlichen Mächte ausgesetzt sah.

Wie das im Alltag konkret aussah und wie das 1967 dann zu gewaltsamen Ausschreitungen eskalierte, das fängt "Detroit" in seiner ersten halben Stunde in einer Art und Weise ein, das man sich wahrlich in einem Dokumentarfilm nach bester "Cinema Verité"-Manier wähnt. Eine sich stetig in Bewegung befindliche Kamera fängt an zahlreichen Standorten die sich langsam aufschaukelnden Spannungen ein und vermittelt auf sehr packende Weise ein extrem authentisches Gefühl für die Atmosphäre damals auf den Straßen. Dass man sich hier zunächst überhaupt nicht in einem gängigen Spielfilm wähnt, hat auch damit zu tun, dass "Detroit" in dieser einführenden halben Stunde überhaupt keine zentralen Figuren erkennen lässt - alles ist hier erst einmal Gesamtsituation, und nur nach und nach beginnen sich ein paar wiederkehrende Gesichter herauszuschälen, die sich dann im Folgenden als tragende Protagonisten der zentralen Ereignisse erweisen. 

DetroitFast beiläufig zirkelt "Detroit" schließlich immer enger um seinen eigentlichen Handlungsort, um sich dann in seinem zweiten Akt in ein Quasi-Kammerspiel zu verwandeln, das für sich genommen ein kleines Meisterwerk darstellt. Für fast eine Stunde folgt man hier in gefühlter Echtzeit den Ereignissen, die sich auf einem kleinen Flur des Algiers Motels und in zwei angrenzenden Räumen zutragen, während eine Handvoll Polizisten eine Gruppe von mehreren Schwarzen und zwei jungen weißen Frauen in Schach halten, drangsalieren, bedrohen, und mit rücksichtlosen Mitteln zu einem Geständnis zu zwingen versuchen. Die Tragik der Situation besteht darin, dass die Polizisten glauben, hier die Schuldigen für etwas vor sich zu haben, was tatsächlich überhaupt nicht passiert ist. Das Drama entsteht dadurch, dass sie die Unschuldsbeteuerungen aufgrund ihrer rassistischen Einstellungen nicht glauben und zu so ziemlich allem bereit sind, um die Sache "aufzuklären". Es ist eine beklemmende, erschütternde und stellenweise kaum erträgliche Situation, gerade deshalb, weil Bigelow und Boal alles tun, um ihre Zuschauer die Ausweglosigkeit und Angst der unschuldigen Opfer am eigenen Leib mitfühlen zu lassen. "Detroit" entwickelt in dieser zentralen Stunde eine atemberaubende Intensität, die niemanden kalt lassen wird, und es ist ein beeindruckendes Zeugnis von Bigelows Meisterschaft als Regisseurin, wie sie es versteht, die Anspannung in dieser klaustrophobischen Situation immer weiter anzudrehen, bis man es kaum noch ertragen kann. 

Großen Anteil an dieser beklemmenden, packenden Atmosphäre haben natürlich auch die Darsteller, die hier eine wahre Tour de Force aus permanenter Anspannung und panischer Angst abliefern müssen und dabei vor allem als Ensemble hervorragend funktionieren. Auch das Casting erweist sich hier als sehr klug, denn der Film weist ein paar bekanntere Gesichter auf (u.a. John Boyega aus den neuen "Star Wars"-Filmen und Hannah Murray aus "Game of Thrones"), die für Wiedererkennungswert sorgen, ohne sich jedoch zu sehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. DetroitAm effektivsten, auf eine sehr erschreckende Art und Weise, ist dabei die Besetzung von Will Poulter: Dem breiteren Kinopublikum ist sein Gesicht gut bekannt als einfältiger pubertärer Bengel aus dem Klamauk "Wir sind die Millers". Ausgerechnet diese harmlose Visage hier jetzt wiederzusehen als den zentralen Polizisten, der seinen Rassismus mit bequem zurechtgelegter Rechtfertigung und beängstigend gleichgültiger Gefühlskälte auslebt, ist stellenweise wirklich erschreckend - und darum als Besetzungscoup eben besonders wirkungsvoll.

"Detroit" vollendet seine Chronistenpflicht mit dem juristischen Nachspiel, das die damaligen Ereignisse zum vollendeten Skandal machte, und auf seine eigene Weise ähnlich schwer zu ertragen ist wie das vorausgehende gewaltsame Kammerspiel im Algiers Motel. Hier schlägt der Film dann auch den gefühlten Bogen zurück in die Gegenwart, in der ähnliche Polizeiskandale noch immer auf ähnliche Art und Weise ausgehen. Entsprechend verlässt man den Kinosaal mit einem Gefühl ohnmächtiger Wut im Bauch - ein Zeugnis davon, wie sehr die gezeigten Ereignisse auch 50 Jahre später noch hochaktuell erscheinen, und ein Zeugnis davon, welche Wirkungsmacht das herausragende inszenatorische Handwerk von Kathryn Bigelow besitzt. Es ist sicherlich nicht schwer, bei dieser Thematik ein Gefühl rechtschaffener Empörung beim Publikum zu wecken. Aber es gehört schon eine bemerkenswerte Meisterschaft dazu, dieselbe Wirkung mit minimalen manipulativen Mitteln und maximaler nüchterner Faktentreue zu erzielen. "Detroit" ist sowohl auf cineastischer wie auch auf journalistischer Ebene ein herausragendes Werk. 

Bilder: Copyright

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