Sie
gehört wohl zu den schlimmsten Erfahrungen, die eine
Familie
durchmachen kann: Die Scheidung. Anwälte, Besitzteilung
und
Sorgerechtverhandlungen gehören dann zum Alltag. Schmerz
und
Verzweiflung dieser Situation auf eindringliche Weise zu
vermitteln,
ohne dabei jedes sich bietende Klischee zu bedienen (wie
damals
"Kramer gegen Kramer"), das gelingt dem Regisseur und
Drehbuchautor Noah Baumbach mit "Der Tintenfisch und der
Wal"
nahezu reibungslos und überzeugend.
Die Familie, die im Mittelpunkt der Geschichte steht,
sind die
Berkmans. Vater Bernard (Jeff Daniels) war lange Zeit ein
äußerst
erfolgreicher Schriftsteller und ist jetzt auf der Suche
nach seinem
zweiten Durchbruch. Seine Frau Joan (Laura Linney) hat
erst kürzlich
eine Kurzgeschichte im New Yorker veröffentlicht und gilt
hinter
vorgehaltener Hand als eines der vielversprechendsten
Autorentalente.
An genau dieser Karrierediskrepanz zerbricht die Ehe der
beiden.
Bernard sieht keine Möglichkeit mehr, bei seiner Familie
zu
wohnen, wenn seine Frau erfolgreicher ist als er.
Unschuldige Zuschauer
in diesem Streit sind die beiden Söhne Walt (Jesse
Eisenstein),
16, und Frank (Owen Kline), 12. Sie werden mit ihrer
wirren und
konfusen Gefühlswelt allein gelassen. Wir befinden uns im
New
York von 1986 ...
Noah
Baumbach hat einen offenen und warmen Film voller Wahrheit
und lakonischem
Witz kreiert. Er hat mit dem Drehbuch eigene
Kindheitserinnerungen
verarbeitet und wurde für diesen mutigen Schritt sogar mit
einer Oscar-Nominierung belohnt. Diese persönlichen
Erfahrungen
sind es auch, die dem Film während der ganzen Laufzeit die
nötige eindringliche Authentizität geben. Zudem gelingt
es Baumbach und seinem Kameramann Robert D. Yeoman, mit
ihren 16-Millimeter-Bildern
die Atmosphäre der 80er Jahre perfekt einzufangen. Die für
ihre Rollen für den Golden Globe nominierten Daniels und
Linney
unterstreichen mal wieder, dass sie zu den ganz großen
Charakterdarstellern
Hollywoods gehören. In dem Minimalismus ihrer
Körpersprache
hinterfragen sie den Wert und den Sinn der Ehe nicht nur
in den
egozentrischen 80ern, sondern auch weit darüber hinaus.
Doch
die wahren Stars des Films sind die beiden Söhne. Beide
müssen
sich einem äußerst skurrilen Sorgerechtsplan ihrer Eltern
unterordnen. Der pubertierende Walt ist ganz seinem
hilflosen Liebesleben
überlassen. Sein Vater ist ihm in dieser Hinsicht leider
kein
all zu gutes Beispiel, und Walt passt sich schnell den
Gewohnheiten
seines Daddys an. Frank ist lieber in der Obhut seiner
Mutter und
geht weiter tapfer zu seinen Tennisstunden - selbst dann
noch, als
Joan eine Affäre mit seinem Tennislehrer anfängt. Die
Scheidung verarbeitet er, indem er anfängt zu fluchen, und
das macht er streckenweise so beeindruckend, dass er Ozzy
Osbourne
Konkurrenz machen könnte.
Es ist eine große Stärke des Films, dass man mitverfolgen
kann, wie sich die Kinder in dem psychisch belastenden
Prozess der
Scheidung entwickeln. Wenn Walt sich in eine Studentin
seines Vaters
verliebt oder einen Song von Pink Floyd bei einer
Schulveranstaltung
als seinen eigenen ausgibt, spürt man plötzlich auf eine
ganz eigenartige Weise die Verlorenheit, die in ihm
herrscht.
So ist der Film eine unglaublich bewegende Studie voller
witziger
aber auch tieftrauriger Momente. Dem Regisseur gelingt es
mit einem
eindringlichen Blick, die intime und für uns meist
verborgene
Gefühlswelt der Betroffenen einzufangen. Die
fragmentarische
Erzählweise verleiht dem verblüffend zarten Film eine
erstaunliche Anmut und Schönheit, und auf großartige
Art zeigt "Der Tintenfisch und der Wal", dass es viel
mehr bedeutet, eine Familie zu sein, als nur zusammen zu
wohnen.
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