Anfang der 1940er Jahre lebt die jüdische Familie Frank in Amsterdam. Doch der Versuch dort wieder ein „normales Leben“ führen zu können, endet als die deutsche Armee auch die Niederlande besetzt. Als Margot (Stella Kunkat) einen Aufruf zur Deportation ins Arbeitslager erhält, beschließt die Familie unterzutauchen und versteckt sich fortan im bereits präparierten Hinterhaus von Vater Ottos (Ulrich Noethen) Firmensitz. Die 50 Quadratmeter Lebensraum werden weiter beengt, als auch noch die Familie van Daan sowie schließlich als Letztes der Zahnarzt Albert (Arthur Klemmt) in die Räume einziehen. Als „schwierigster“ Charakter innerhalb der Gruppe erweist sich dabei oft die erst vierzehnjährige Anne Frank (Lea van Acken), die sich nicht nur mit dem eingeschränkten Leben unter diesen Umständen, sondern auch mit den Menschen um sich herum sehr schwer tut. Anne beschließt, ihre Gedanken und Gefühle in einem Tagebuch festzuhalten und legt dieses nach einer gewissen Zeit so an, dass es für eine spätere Veröffentlichung geeignet ist.
So ist es dann auch gekommen, und selbst wer es nie selbst gelesen hat, dürfte doch vom „Tagebuch der Anne Frank“ zumindest schon einmal etwas gehört haben. Das junge Mädchen, dass 1944 im Konzentrationslager starb, entwickelte sich über die Jahrzehnte zu einem der bekanntesten Holocaust-Opfer, ihr Schicksal gehört in vielen Ländern zum Schulkanon und natürlich wurde ihre Geschichte auch schon mehrfach verfilmt. Allerdings bisher nicht in einer deutschen Produktion, und um dieses Vorhaben rankten sich dann im Vorwege auch einige unschöne Schlagzeilen, als ein entsprechendes Projekt des ZDF von der Erbengemeinschaft abgelehnt und dann letztlich auch wieder begraben wurde.
Der nun vorliegende Kinofilm ist dagegen mit der Unterstützung des Anne Frank-Fonds entstanden, der auch den Zugang zum Familienarchiv gewährte, was dazu führt, dass die Handlung hier über den Inhalt des Tagebuches hinaus geht und sowohl Einblick in die Zeit vor dem Abtauchen der Familie gewährt, als auch über den weiteren Verlauf nach der Entdeckung informiert. Nicht in jedem historischen Detail hinsichtlich des Verstecks und der zeitlichen Abfolge völlig akkurat, aber mit einer auf Originalzitaten aus ihrem Buch aufgebauten Erzählerin Anne Frank versucht der Film zu vermitteln, wie diese sich im Ausnahmezustand befindlichen Menschen über gut zwei Jahre versuchten, ein zumindest in Ansätzen normales Leben zu führen.
Ein Vorhaben, das nur zum Teil gelingt, sowohl der Familie als auch dem Film. Naturgemäß sind größere Zeitsprünge bei der Verdichtung einer Zeitspanne von zwei Jahren auf zwei Stunden unvermeidlich, doch gäbe es nicht die erläuternden Texteinblendungen, man würde nicht bemerken, dass von einer zur nächsten Szene oft Monate vergangen sind. Denn die Diskussionen und Konflikte werden dabei meist so ansatzlos weitergeführt, dass es sich auch um ein praktisch in Echtzeit aufgeführtes Theaterstück handeln könnte.
Es gibt hier genau eine Person, die sich entwickelt und verändert, und das ist die im Fokus stehende Anne. Sämtliche anderen Charaktere bleiben dagegen auch in dieser Extremsituation und angesichts nur geringer Hoffnung über Monate hinweg nahezu vollständig in ihren Eigenschaften und Manierismen verhaftet, so als wären sie einmal skizziert und dann mit dem Vermerk „fertig“ auf die Bühne gesetzt worden. Das aber steht im krassen Widerspruch zu der wechselnden Sichtweise, die Anne auf ihre Mitbewohner hat, denn die ist ständig (nachvollziehbaren) Schwankungen ausgesetzt. Vater Otto bleibt dagegen stets die kontrollierte Respektsperson, während Mutter Edith durchgehend hadert und in Frau van Daan scheint zu keinem Moment mehr zu stecken als eine unerträglich nervige Schreckschraube. Es ist sicher nicht die Schuld solch verdienter Mimen wie Ulrich Noethen oder Martina Gedeck, dass die aus ihren eindimensionalen Figuren nicht mehr herausholen können. Der Eindruck, dass man sich hier deutlich weniger Mühe gegeben und sich stattdessen ganz auf die Titelfigur konzentriert hat, drängt sich bedauerlicherweise auf.
Was diese betrifft geht die Rechnung aber immerhin auf, denn Lea van Acken beeindruckt bei ihrer schwierigen Aufgabe mit einer erstaunlichen Darstellung, die – bis auf ganz wenige, kurze Ausnahmen - durchgehend äußerst natürlich wirkt. Ihre Anne war in der Tat – das belegen der Inhalt und Schreibstil ihrer Aufzeichnungen – gleichaltrigen Mädchen intellektuell weit voraus. Sie war mit vierzehn Jahren bereits eine Meisterin in der Beobachtung und Beschreibung anderer Menschen, was sich schon in den Szenen zeigt, in denen sie sich noch frei unter anderen bewegen konnte. Unangepasst und frech lässt sie die weniger cleveren gerne auflaufen, wird dadurch zum „schwierigen“ Mädchen, das selbst unter den anschließenden belastenden Umständen eine kaum vorstellbare Selbständigkeit und einen eigenen Kopf entwickelt und in ihren Aufzeichnungen auch intime Momente nicht ausspart.
Diese Besonderheit der rhetorischen Brillanz und Schärfe, gepaart mit einer dennoch nicht zu übersehenden Verletzlichkeit ist vermutlich auch der Grund dafür, dass es eben genau die Aufzeichnungen dieser Anne Frank sind, die später so viel mehr Wirkung entfachten als die von vielen anderen Opfern. Und exakt diesen Aspekt kann der Film dank seiner Hauptdarstellerin (und eventuell dann doch auch dank der Konzentration auf diese) erfreulicherweise vermitteln, das „Besondere“ der Anne Frank lässt sich am Ende jedenfalls erahnen, nach dem Betrachten eines in den übrigen Aspekten sonst oft nicht nur sehr konventionellen, sondern - trotz des dramatischen Themas - oft auch ziemlich schwerfällig abgefilmten Kammerstückes. Ist dies also nun der endgültige und definitive Film zum Thema „Anne Frank“? Vermutlich nicht, sondern wieder nur eine Annäherung mit diversen Schwächen, aber eben auch einer großen Stärke.
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