Das Jahr der ersten Küsse

Jahr
2002
Laufzeit
100 min
Regie
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Frank-Michael Helmke / 1. Januar 2010

Tristan ist gebeutelt von den Wirren der Pubertät. Und das auch noch mitten in den eh schon grausamen Achtzigern, in denen Wachstumsschübe heimtückisch von Hochwasserhosen noch viel deutlicher gemacht wurden. Ein Jahrzehnt, in dem die Mode jeden pubertär aussehen ließ, denn viele Muster und Kombinationen lassen sich aus heutiger Sicht nur noch durch Hormonschwankungen erklären.
Tristan jedenfalls war damals 15 (gespielt von Max Mauff), heute ist er Anfang dreißig (gespielt von Oliver Korittke) und erzählt die Geschichte seiner großen Liebe, die 1985 ihren Anfang nahm. Seine Eltern planten derweil die Scheidung: Der Vater will nach England gehen, und so soll Tristan mit seiner Mutter in eine andere Stadt. Weg von seinen besten Freunden, unter anderem dem rundlichen Specki (Thomas Drechsel), dem äußerst präzise benannten Streusel (Michael Godde) und Tümai (Rebecca Hessing), der türkischen Klassensprecherin, die unfairerweise die beste in Deutsch ist. Und vor allem weg von Kerstin (Diane Siemons-Willems), die für ihn in dieser Zeit mehr als nur ein Kumpel wird: Tristan verliebt sich zum ersten Mal. Doch wie das so ist: Nur die smarten, akne-freien Jungs kriegen eine Freundin ab, während Tristan mit so ziemlich allem zu kämpfen hat, was die Pubertät an Problemen und Peinlichkeiten zu bieten hat.

Wie Florian Illies´ Buch-Erfolg "Generation Golf" ist "Das Jahr der ersten Küsse" vor allem eine Ansammlung von Erinnerungen an eine deutsche Kindheit in den Achtzigern. Teilweise wirkt der Film sogar wie ein persönliches Fotoalbum, in dem man längst vergessene Situationen wiederfindet und sich dabei ertappt, dass man in Floskeln denkt wie "Das waren noch Zeiten". In der Tat ist der Film essentiell mit seinem 80er-Hintergrund verwachsen, im Gegensatz zu den meisten anderen Projekten dieser Art (wie Adam Sandler's "Wedding Singer"), in denen das Jahrzehnt der New Age-Musik und U-Boot-Ausschnitte nicht mehr als einen Gag-Lieferanten darstellt. Wenn Tristan seinen ersten Stehblues zu "Your eyes" - dem Schmusefetzen aus dem 80er-Teenie-Klassiker "La Boum 2" - tanzt und Flaschendrehen auf einmal zu einer richtig aufregenden Sache wird, dann will man mit nostalgischem Lächeln dem Anfangs-Resümee des erwachsenen Tristan recht geben: Heute kommen die Teenies einfach viel schneller zur Sache. Und irgendwie geht damit auch eine Menge richtiges Pubertäts-Erlebnis flöten.
Doch so nah die Geschichte auch über weite Strecken an der hormongeschwängerten Realität von damals ist, so unvermeidlich ist das Aber, das sich aufdrängt. Leider driftet die Erzählweise von der rührenden Erinnerung in die Gegenwart ab, in der die Off-Stimme Korittkes ungeniert auf Tränen aus ist. Statt sich auf die sentimentale Kraft der kleinen Zeitreise zu verlassen (die auch bestens funktioniert), wird alles mit betretener Stimme nochmals hochstilisiert, und die Mini-Rahmenhandlung um den erwachsenen Tristan wirkt doch arg überzogen. Hier verspielt Regisseur Kai Wessel leider die starken Momente zugunsten von unnötigem Kitsch. Der Gipfel ist jedoch ein vollkommen überflüssiger "Was ist aus ihnen geworden"-Schluss, der in seiner Einfallslosigkeit nur noch peinlich ist und ein mehr als ärgerliches Ende für einen eigentlich richtig guten Film bildet.
Mit einer Clique von 10 Personen ist die Handlung etwas zu voll geworden, auch wenn alle Jungschauspieler überzeugen. Manche Figur kommt nicht über ihre anfängliche Zwei-Sätze-Charakterisierung hinaus, was nicht unbedingt weiter stört, allerdings stellt sich die Frage, ob es da denn nötig war, nur zur Bedienung eines weiteren Pubertäts-Typus eine ganze Figur einzubauen. Paradebeispiel Streusel: Der hat außer als typisches Pickel-Gesicht null Funktion, und ohne ihn hätte nicht wirklich was gefehlt. Generell jedoch beweist Autor Sathyan Ramesh ein hervorragendes Gespür für die Eigenarten und Besonderheiten seiner jugendlichen Figuren und bedient seine Stereotypen wesentlich glaubwürdiger und authentischer als die durchschnittlich klischee-überfrachtete Teenager-Posse.
Als unaufdringliche und unverhohlen nostalgische Zeitreise zurück in die 80er eine kleine Schatztruhe, als realitätsnaher Teenie-Film ein ziemlicher Volltreffer mit vielen ebenso ehrlichen wie komischen Momenten, eigentlich rundum gut. Bis halt auf diesen blöden, blöden Schluss. Wer jedoch das Kino verlässt, nachdem die Frage, von wem Tristan eigentlich seinen ersten Kuss bekam, endlich geklärt ist, hat einen richtig schönen Film gesehen. Und wer in den Achtzigern selbst mit sprießenden Pickeln und der ersten großen Liebe zu kämpfen hatte, für den ist "Das Jahr der ersten Küsse" ohnehin Pflichtprogramm. Jaja, das waren noch Zeiten …

Bilder: Copyright

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