Crossing the Bridge - The Sound of Istanbul

Jahr
2005
Laufzeit
90 min
Regie
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Moritz Piehler / 30. Juni 2010

Was kommt nach einem Riesenerfolg, gerade einem so kontroversen wie es "Gegen die Wand" war? Das mag sich Fatih Akin gefragt haben, zumal man meinen könnte, er hätte zu seinem Heimat-Thema Türkei und interkultureller Identitätsfindung mittlerweile alles gesagt. Selbst einen sehr persönlichen TV-Dokumentarfilm über seine Eltern hat der Hamburger Deutsch-Türke mit "Wir haben vergessen, zurückzukehren" vor fünf Jahren vorgelegt.
Die Antwort auf die Eingangsfrage ist: Ein unpersönlicher Dokumentarfilm. Eine musikalische Reise nach und durch Istanbul, über die Brücke zwischen den Kontinenten Asien und Europa. Akin wagt sich mit seinem aktuellen Werk "Crossing the Bridge", das außer Konkurrenz bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes laufen wird (wo der Regisseur in diesem Jahr selbst in der Jury sitzt), erneut an das Genre des Dokumentarfilms, diesmal für die große Leinwand.

Schon bei der Erwähnung einer Doku kommen Gedanken auf an 3sat, Arte und endlose Monologe aus dem Off. Aber trotz der Beibehaltung klassischer Dokumentarfilm-Elemente ist "Crossing the Bridge" ein sehr interessanter und kurzweiliger Ausflug in die türkische Kultur geworden, der Einblicke in die musikalische Dichte dieser Mischbatterie der Kulturen gibt und neugierig auf die Stadt macht. Die Idee dazu entstand bei den Arbeiten zu "Gegen die Wand", als Alexander Hacke - der Bassist der "Einstürzenden Neubauten" - auf der Suche nach Musikern für die Filmmusik in Istanbul unterwegs war.
Entstanden ist daraus eine Reise durch alle Musikrichtungen, durch Hinterhöfe, Plätze, Studios und natürlich Teestuben. Hacke, der als Protagonist und Erzähler und manchmal auch als Musiker mit seinem bärtigen Big Lebowski-Look durch die Straßen Istanbuls streift, begegnet Musikern jeder Coleur von Rock bis Schlager. Harten Gangstarappern (Ceza), die türkische Wortkaskaden herausschießen wie Hagelschauer, trotzdem aber ihre Vorliebe und Anerkennung für die klassischen Liebesschlager der Sängerin Sezen Aksu gestehen. Rauen Straßenmusikern, wie den Jungs von Siyasiyabend, die mit ihrer Musik den Leuten ihres Milieus nah sein wollen. Selim Sesler, der auch beim Soundtrack von "Gegen die Wand" mitgewirkt hat, ist dabei und spielt im Roma-Viertel im Teehaus seine Klarinette, geachtet und getätschelt von den Umstehenden. Sogar der Film- und Musikstar Orhan Gencebay lässt sich von Hacke zu einer Live-Aufnahme in seinem tragbaren Studio überreden.
"Crossing the Bridge" könnte fast ein türkisches Bewerbungsvideo für die Aufnahme in die EU sein, so treffend wird hier die Vielfalt und die Vermischung von Orient und Okzident, die in Istanbul wohl einmalig ist, eingefangen. Die neue Offenheit am Goldenen Horn. Selbst die kurdische Sängerin Aynur singt ein wunderbares Klagelied in einem malerischen türkischen Bad auf Kurdisch - bis vor kurzem war es verboten, ihre Sprache zu verbreiten.
Fatih Akin hält sich raus aus dem Film, er begleitet lediglich mit der Kamera und mit den Augen eines Westeuropäers. Ein wenig fremdartig und doch faszinierend, bunt und manchmal etwas kitschig zeigt Akin die Stadt und ihre Musik in diesem großen Projekt. Er lässt sich von dem Tempo und der Vielfalt der Musik aber nie zu MTV-Schnitten hinreißen, sondern benutzt ruhige, fließende Bilder, die Zeit lassen, ein Gefühl für Istanbul zu entwickeln. Welches Gefühl das allerdings ist, bleibt offen - Akin gewährt genug Distanz, um jedem Zuschauer eine persönliche Meinung zu belassen. Darin findet sich die Ambivalenz zwischen Westeuropa und der Türkei dann doch wieder, und somit letztlich auch ein persönliche Aussage Akins.

Andreas Thiel, der den Film mitproduziert hat, erzählt von der "wahnsinnig lebendigen Musikszene" und davon, wie viel sie über den Charakter und die Identität der Stadt aussagt. Für Hacke aber bleibt bis zur Abreise die Stadt am Bosporus ein Geheimnis, deren Magie er nicht entschlüsseln konnte.


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