Adonis „Donnieˮ Johnson arbeitet in einer Finanzfirma in Los Angeles, findet aber nur Erfüllung in Boxkämpfen, die der Autodidakt in irgendwelchen windigen Spelunken in Tijuana absolvieren muss. Das Boxen liegt Donnie im Blut, denn sein Vater ist niemand anderes als Apollo Creed, der ehemalige Boxchamp, der erst Rocky Balboas erbitterter Rivale und dann sein Freund und Mentor wurde, bevor ihn ein Kampf gegen die russische Kampfmaschine Ivan Drago aus dem Leben riss. Zu dem Zeitpunkt war Donnies Mutter, eine Geliebte Apollos, mit ihm schwanger. Donnie hat also seinen legendären Vater nie kennengelernt. Als er aber eine wirkliche Profikarriere als Boxer wagen will, wendet er sich an eine noch lebende Legende: den immer noch in seinem kleinen italienischen Restaurant "Adrian's" in Philadelphia vor sich hin wurstelnden Rocky Balboa (Sylvester Stallone). Wie Rocky findet Donnie Liebe in Form seiner Nachbarin Bianca (Tessa Thompson). Und wie Rocky einst gegen seinen Vater, bekommt er bald unvermittelt eine Chance, sich gegen einen Titelträger einen Namen zu machen...
Was will man im Jahre 2016 von einem „Rockyˮ-Film? Will man überhaupt noch einen „Rockyˮ-Film, 40 Jahre nach dem Original? Und war es nicht eigentlich dann doch auch gut nach dem letzten Abenteuer von „Rocky Balboaˮ, das zwar mit Sentimentalität und zurückgenommenem Stil punkten konnte, jedoch gleichfalls nie kaschieren konnte, wie albern die Idee war, dass ein 60-jähriger Ex-Boxer gegen einen nur halb so alten Konkurrenten auf dem Höhepunkt seiner Fähigkeiten bestehen kann? Zumindest letztere Idee scheint auch von Stallone mittlerweile akzeptiert, denn in diesem Reboot, der sowohl thematisch als auch im Titel den uns bisher unbekannten illegitimen Sohn von Balboas altem Gegner und dann Kumpel Apollo Creed in den Mittelpunkt stellt, ist Slys Balboa wirklich nur noch als Trainer unterwegs und zum ersten Mal lässt Stallones Eitelkeit es zu, Rocky wirklich als alten Mann zu spielen. Dennoch, die Frage darf man schon stellen: Will und braucht man im Jahr 2016 einen neuen Aufguss der „Rockyˮ-Saga?
Und die Antwort, wir nehmen es gleich vorweg, ist: Braucht man nicht, will man nicht, nimmt man aber dann doch gerne mit, wenn denn ein Reboot einer solchen Saga so stilsicher und gut gemacht ist wie hier. „Creed – Rockys Legacyˮ war ja hauptsächlich auch nicht wegen Stallone interessant, sondern wegen dem Duo aus Regisseur Ryan Coogler und Hauptdarsteller Michael B. Bordan, die sich zwei Jahre nach Cooglers beeindruckendem Dokudramadebüt „Fruitvale Stationˮ wieder zusammen taten. Und diese erneute Kollaboration ist vor allem deshalb gelungen, weil Coogler sowohl in dem mit Aaron Covington geschriebenen Drehbuch als auch in seiner Inszenierung nichts falsch macht. Allerdings kann man auch ein wenig kritisch anmerken, dass Coogler und Co. nicht gerade massive Risiken eingegangen sind. Denn „Creedˮ bestätigt nochmals den Trend, der 2015 die sogenannten Reboots nachhaltig auszeichnete, nämlich den Hang zum Remix- und Fanservice-Verfahren.
Auch hier nimmt man hauptsächlich bekannte und beliebte Zutaten der Filmreihe und mischt sie zusammen, abgeschmeckt mit einem sehr guten Hauptdarsteller und Stallone in einer seinem Alter und Status deutlich mehr entsprechenden Nebenrolle. Letztere Taktik hat sich ja schon insofern ausgezahlt, als dass Stallone für seine durchaus rührende Darstellung hier gerade mit dem Golden Globe als bester Nebendarsteller ausgezeichnet wurde und sich wohl auch Chancen auf den Oscar ausrechnen kann. Aber wie gesagt: Sonderlich mutig ist „Creedˮ nicht, auch wenn er zumindest für sich verbuchen kann, dass „Rockyˮ die meisten der hier sattsam vorhandenen typischen Ingredienzen des modernen Boxerfilms quasi erfunden oder zumindest populär gemacht hat und „Creedˮ als dessen spiritueller Nachfolger sich demnach diese mehr aneignen kann als etwa der letztjährige „Southpawˮ. Und ganz falsch liegt Coogler damit insofern nicht, als dass sich zum Showdown tatsächlich ein, naja, „Rockyˮ-Feeling einstellt, das andere Boxerdramen eben nicht haben.
Dies mag auch daran liegen, dass „Rockyˮ ja schon immer pure Mythologie und Metapher war: Zu gut, um wahr zu sein, aber auch eine zu gute Geschichte, um sie nicht möglichst wahrhaftig zu erzählen. Auch die zentrale Idee ist nach 40 Jahren dieselbe geblieben: Der eigentliche Gegner ist nicht der Koloss in der anderen Ringecke, sondern die Reflektion im Spiegel, ein Bild, dass Balboa und der Film hier in einer Szene tatsächlich wörtlich nehmen. Und so folgt „Creedˮ auch der diesem Bild unterfütterten Idee, dass der junge, wütende Adonis Creed erst einmal seine eigenen Ängste und Unsicherheiten überwinden muss, um dann im Boxring eine Chance zu haben. Glaubwürdig wird diese recht simple Psychologie natürlich erst mit der entsprechenden Leistung des Darstellers, und da hat man hier natürlich richtig gelegen. Dass Michael B. Jordan nach dem katastrophalen „Fantastic Fourˮ-Flop mit einem seinen Fähigkeiten sehr viel mehr entsprechenden Film zurückkommen würde war klar, erfreulich, dass dies schon so schnell passiert und wir alle den eben genannten Film ganz schnell wieder vergessen können. Jordan gibt seine Figur wie fast alle aus seiner bisherigen Filmographie als netten, manchmal auch großspurigen Typen, unter dessen Oberfläche eine bisweilen nur wenig gezügelte Wut brodelt. Wenn jemand die Mythologie der „Rockyˮ-Reihe in die nächste Dekade oder so tragen soll, dann hat man mit Jordans Creed eine gute Wahl getroffen.
Obwohl es auffällt, wie konventionell „Creedˮ eigentlich ist, so muss man dem Film dabei auch zugute halten, dass er deutlich subtiler zu Werke geht als andere Kollegen. Bestes Beispiel ist der Einsatz von Stücken aus dem legendären Originalscore von Bill Conti. Während der ersten Hälfte, die sich eben hauptsächlich um Adonis dreht, Rapstücke auf dem Soundtrack überwiegen, so hören wir zum ersten Mal vertraute „Rocky"-Musik, als Balboa vor Mickys altem Boxsaal steht. Es sind nur drei oder vier auf dem Piano gespielte Noten, die man hört – zu wenig, um plakativ zu sein, aber doch genug um Fans der alten Reihe ein Lächeln abzuringen. Und so geht es dann mit gezielt und geschickt eingesetzten Verweisen weiter, bis dann zum Beginn der 12. und letzten Runde wie im Original „Going The Distanceˮ einsetzt. Da ist man dann auch als Kritiker gewillt, diese geschickte Manipulation zu schlucken und Creed mitanzufeuern. So einfach, aber auch so schön kann sentimentalitätsgesteuerte Manipulation sein. Und der Jugend von heute werden die kleinen Schmankerl eh nichts sagen, aber auch nicht weh tun.
„Creedˮ ist für die „Rockyˮ-Reihe tatsächlich ein Neuanfang, quasi wie im Film selbst eine Fortführung des Familiengeschäfts unter neuem Namen, aber mit pensioniertem Boss, der auf alles noch ein wohlwollendes Auge wirft. „Creedˮ ist eine Art spirituelle Neuauflage des Original-Rockys und Coogler hat gut daran getan, sich dicht ans Original anzulehnen anstatt an die zusehends unglaubwürdiger werdenden Fortsetzungen. Damit ist „Creedˮ dann zwar keine Ausgeburt an kreativem Ausdruck, aber ein sehr gelungener Neuanfang für die wie ihr Held doch sehr in die Jahre gekommene Reihe. Und „Creedˮ heißt ja im Englischen nichts anderes als Glaubensbekenntnis. Von daher: Ja, wir glauben an Michael B. Jordan und seinen Adonis Creed. Wir glauben an Ryan Coogler und seine zukünftige Karriere. Wir glauben, dass Sylvester Stallone bei Ego-Zurücknahme und Rollenauswahl wie hier einen Platz als ernstzunehmender (Nebenrollen-)Schauspieler hat. Und wir glauben, dass man diesem „Creedˮ im Ernstfall auch bei einer zweiten Runde auf der großen Leinwand zugucken will. Steht da nicht noch eine Revanche gegen den ihn am Anfang des Films verprügelnden Tony Wheeler aus? Eben.
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