Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück

Jahr
2015
Laufzeit
110 min
Genre
Release Date
Bewertung
4
4/10
von Matthias Kastl / 16. Februar 2016

Lena und Daniel erleben den PutschIm Jahr 1961 gründete der deutsche Sektenführer Paul Schäfer in Chile die Colonia Dignidad. Das wie eine Festung ausgebaute Siedlungs-Areal war vor allem während der Pinochet-Diktatur Schauplatz massiver Menschenrechtsverletzungen, deren Aufarbeitung sich teilweise noch bis heute hinzieht. Wenn am Ende des gleichnamigen Films Originalbilder des Areals und seiner ehemaligen Bewohner im Abspann erscheinen, kann man nicht anders als mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit, Wut und Ohnmacht auf diese bewegenden Zeitdokumente zu reagieren.

Das Problem daran: Dies sind Emotionen, die das vorangegangene Drama von Regisseur Florian Gallenberger nicht hervorrufen konnte. "Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück“ wirkt hölzern und unglaubwürdig, lässt jegliche intelligente Auseinandersetzung mit dem Thema vermissen und mutiert nach einer zumindest akzeptablen letzten halben Stunde in seinen Schlussminuten dann zu einem billigen Thriller mit erbärmlich manipulativem Happy End. So bekommen die darauf folgenden Originalbilder den faden Beigeschmack von billig erkauften Emotionen, die der Film knapp zwei Stunden lang nie wirklich hat wecken können.

Dabei sind es große Emotionen, welche die Geschichte überhaupt erst in Gang setzen. Die junge Stewardess Lena (Emma Watson, “Noah“, “Harry Potter“) nutzt im Jahre 1973 einen Zwischenstopp in Chile um ihren Freund, den dort lebenden deutschen Fotografen Daniel (Daniel Brühl) zu besuchen. Daniel unterstützt leidenschaftlich die Anhänger des sozialistischen Präsidenten Salvador Allende, der jedoch durch einen Militärputsch von General Pinochet gestürzt wird. Wie viele andere Unterstützer Allendes wird auch Daniel verhaftet und gelangt dann in die Fänge der berüchtigten Sekte Colonia Dignidad, in der politische Gefangene mit dem Segen Pinochets gefoltert werden. Lena nimmt all ihren Mut zusammen und tritt freiwillig in die Sekte ein um Daniel zu retten, doch spätestens als sie dem furchteinflößenden Sektenführer Paul Schäfer (Michael Nyqvist, “John Wick“, “Mission Impossible: Phantom Protokoll“) gegenübersitzt, wird ihr bewusst in welche große Gefahr sie sich hier begeben hat.

 

Am Tor zur Hölle - Colonia DignidadDie Ereignisse rund um die Colonia Dignidad, insbesondere ihre Rolle in der Zeit der Pinochet-Diktatur, sind ein bewegendes Kapitel deutsch-chilenischer Geschichte und damit eigentlich auch ein interessanter Ausgangspunkt für einen Kinofilm. Nicht nur deswegen, sondern auch wegen dem vorhandenen Talent vor und hinter der Kamera ist es so frustrierend, dass “Colonia Dignidad“ am Ende derart deutlich scheitert. "Ausgerechnet Gallenberger!" muss man dabei sagen, dem es in seinem letzten Film (“John Rabe“) doch so gut gelungen war, ein historisches Thema überzeugend aufzugreifen. Hier geht aber nun eine Menge schief und ein Großteil der Schuld muss der Oscar-Gewinner und Drehbuchautor auf seine Kappe nehmen – allen voran die Tatsache, dass sich die Welt, die der Film uns verkaufen will, nie so wirklich echt anfühlt.
 

Lena und DanielEine der Ursachen dafür liegt in der Rolle der beiden Hauptfiguren. Zum einen ist es schon ein wenig unglücklich, dass man kaum Chilenen zu Gesicht bekommt, die in der Pinochet-Zeit ganz besonders unter den Folterungen in der Colonia Dignidad zu leiden hatten, sondern die Handlung ausgerechnet einem deutschen Fotografen und einer ebenfalls europäischen Stewardess folgt. Noch schwerwiegender ist aber die Tatsache, dass man den beiden die bedingungslose Liebe nicht so ohne weiteres abnimmt – zu unterschiedlich erscheinen der kämpferische Revolutionär Daniel und die sehr zerbrechlich und puppenhaft wirkende Lena.

Ihr durchaus humorvolles und charismatisches erstes Treffen zeigt zwar, dass hier durchaus Potential bestanden hätte, aber der Film reißt beide dann doch zu schnell wieder auseinander, als das hier wirklich eine glaubwürdige Beziehung entstehen könnte. Dass beide dann für längere Zeit auf sich selbst gestellt sind, tut weder ihnen noch dem Film gut. So gibt sich Daniel als geistig zurückgeblieben aus um ungestört seinen Fluchtplanungen nachzugehen – ein mehr als fragwürdiger Einfall, der für ein paar unfreiwillige billige Lacher sorgt und der Figur in jeder Hinsicht schadet. Da kann dann auch ein Daniel Brühl nicht mehr viel ausrichten, so sichtbar er sich auch bemüht.

Bei allem Respekt vor ihrem Schauspieltalent muss man aber Emma Watson den größten Vorwurf machen – sie ist in jeglicher Hinsicht mit der Figur der Lena überfordert. Das Leiden von Lena und ihre innere Zerrissenheit bekommt Watson zu keiner Minute wirklich überzeugend transportiert. Das Puppenhafte und Oberflächliche ihrer Figur kann sie nie wirklich ablegen und man gewinnt nie das Gefühl, dass die dramatischen Ereignisse das Innenleben von Lena nun wirklich tiefgreifend beeinträchtigen. So wirkt sie stets wie ein Fremdkörper, der weder in der Colonia Dignidad noch in der Geschichte so richtig angekommen ist. Es hilft dabei auch nicht, dass sie aus einer Verhörszene nahezu unbeschadet hervorkommt und man irgendwie das Gefühl nicht los wird, dass der Film nur Angst hat seine hübsche Hauptdarstellerin zu verunstalten.
 

Paul Schäfer führt die SekteDoch es wäre unfair, die Hauptschuld nur an Watson oder der Charakterzeichnung der beiden Hauptfiguren festzumachen. Es ist auch ihr Umfeld, dass nie wirklich glaubwürdig gezeichnet wird. So gut wie alle Figuren in der Colonia Dignidad wirken austauschbar und oberflächlich, allen voran die klischeehafte Figur der Oberaufseherin Gisela, deren misslungene deutsche Synchronisation dann noch ihr übriges tut. Das ganze Gelände wirkt wie eine seelenlose Kulisse, in der weder durch die Darsteller noch durch die uninspirierte Inszenierung wirklich Atmosphäre aufgebaut wird. Der einzige Lichtblick ist der gut aufspielende Michael Nyquist, der dem Sektenführer Schäfer einen diabolischen Charme verleiht und in seinen Szenen dem Film zumindest ein bisschen Leben einhaucht. Doch gegen den Substanzmangel des Drehbuchs ist auch er oft machtlos. Nie gelingt dem Film eine wirklich intelligente Auseinandersetzung mit der Sekte, ihren Abläufen und den herrschenden Machtverhältnissen. Wer sich einen Blick hinter die Kulissen erhofft hat wird enttäuscht – stattdessen ist in “Colonia Dignidad“ alles Kulisse.
 

Vielleicht haben es die beiden Autoren ja selbst gemerkt, dass hier irgendwie der Drive fehlt. Nach dem man eine Stunde lang mehr schlecht als recht dem Leben der Sekte beigewohnt hat, verwandelt sich der Film dann nämlich in einen lupenreinen Ausbruchsthriller. Spätestens jetzt verabschiedet man sich von dem Versuch das Sektenleben authentisch darzustellen, aber vielleicht wäre diese Konsequenz ja von Anfang an ratsam gewesen. Denn auch wenn die Sequenzen rund um einen versteckten Tunnel nicht gerade vor Kreativität sprühen, kommt jetzt zumindest etwas Spannung auf - auch dank einer Inszenierung, die endlich aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht.


Doch gerade als man wieder ein bisschen seinen Frieden mit dem Film geschlossen hat, tackern die Macher ihm dann einen Showdown der billigsten Art an sein Ende. Wie hier auf äußerst plumpe und unrealistische Art versucht wird die Spannungsschraube auf Anschlag zu drehen ist leider ein kreatives Armutszeugnis. Interessanterweise erinnert das Ende inhaltlich stark an die Schlusssequenz von “Argo“ - nur eben ohne Spannung und Tiefgang.


Spätestens hier fällt dann auch endgültig die Maske des Films. Nein, so richtig interessiert die Geschichte der Colonia Dignidad anscheinend keinen. Stattdessen wirkt der Film nun schon fast verlogen in seiner Art und Weise, wie er die historischen Ereignisse für ein derart billiges Ende missbraucht. Dass direkt darauf auch noch die Originalbilder vom wirklichen Leben in der Colonia Dignidad gezeigt werden, erscheint einem schon fast wie Hohn. Colonia Dignidad bedeutet ja frei übersetzt “Stadt der Würde“ - eine Würde, die den Bewohnern jahrzehntelang nie zu teil wurde. Es ist ärgerlich, dass auch dem Film kein würdevoller Umgang mit dieser bewegenden Geschichte gelingt.

Bilder: Copyright

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