Cha Cha Real Smooth

Land
Jahr
2022
Laufzeit
107 min
Genre
Regie
Release Date
Streaming
Bewertung
7
7/10
von Matthias Kastl / 16. Juni 2022

Ach, wenn man Erfolg nur planen könnte. Getreu diesem Motto hat sich AppleTV+ mit „Cha Cha Real Smooth“ auch dieses Jahr wieder den Sieger des Publikumspreises auf dem prestigeträchtigen Sundance Film Festival gesichert. Das hat letztes Mal ja auch einfach zu gut funktioniert, als man dank Vorjahressieger „CODA“ als erster Streaming-Anbieter den Oscar für den besten Film einsacken konnte. Ob das nun auch klappen wird ist allerdings eher fraglich. Jungregisseur Cooper Raiff gelingt zwar ein durchaus sympathischer Indie-Film, der für sein Publikum gerade im Schlussdrittel eine erfrischend ehrliche Interpretation von Begriffen wie „Seelenverwandtschaft“ oder „die große Liebe meines Lebens“ bereithält. Doch leider kommt die Hauptfigur an manchen Stellen etwas sperriger als nötig daher, was die emotionale Wucht der Geschichte dann doch ein wenig ausbremst.  

Eher auf die Bremse als das Gaspedal tritt auch das Leben unseres Protagonisten. Andrew (Cooper Raiff persönlich) wohnt nach dem College mit 22 Jahren noch immer zusammen mit seinem kleinen Bruder David (Evan Assante) in einem Zimmer daheim bei seiner Mutter (Leslie Mann, „Die Schadenfreundinnen“, „Immer Ärger mit 40“). Nebenbei jobbt Andrew in einer Fast-Food-Kette und scheint nicht wirklich große Pläne für seine Zukunft schmieden zu wollen. So entdeckt er eher aus Zufall sein Talent für die Moderation von Bar-Mizwa-Partys, wobei er sich dort mit seiner direkten und eigenwilligen Art nicht nur Freunde macht. Dass er sich auf einer der Feiern liebevoll um die junge autistische Lola (Vanessa Burghardt) kümmert, lässt aber zumindest das Herz von deren Mutter Domino (Dakota Johnson, „Mann unter Feuer“, „A bigger Splash“) höherschlagen. Auch Andrew fühlt sich zu Domino hingezogen, doch hat die Liebe hier angesichts des Altersunterschieds und der unterschiedlichen Lebenssituationen wirklich eine Chance?

„Natürlich!“ hört man es laut aus Hollywood herüberschallen. Doch „Cha Cha Real Smooth“ ist ein waschechter Indie-Film und dort gibt man sich ja in der Hinsicht gerne etwas lebensnäher. Und so fällt die Antwort auf diese Frage hier auch deutlich komplexer aus und es ist die wohl größte Stärke des Films, dass die Idee der großen Liebe fürs Leben hier auf sehr erfrischende Weise kritisch unter die Lupe genommen wird. Überhaupt ist alles hier ein wenig komplizierter, denn fast jede Figur hat mit ihren ganz persönlichen Dämonen zu kämpfen. Andrews Mutter ist manisch-depressiv, Lola wird wegen ihres Autismus gehänselt und Domino wird von Depressionen heimgesucht. Unsere Hauptfigur wiederum ist spürbar überfordert damit, irgendeine zukunftsweisende Entscheidung zu treffen. Abgefedert wird das alles ein wenig von einem deutlich leichtfüßigeren Nebenplot, bei dem Andrew seinen kleinen Bruder mit gut gemeinten Flirttipps versorgt.


Auf dem Papier wirkt das alles schon ein bisschen wie am Reißbrett für Indie-Filme entworfen, doch glücklicherweise fühlt es sich nie so wirklich danach an. Das liegt vor allem daran, dass dem Film immer wieder wundervolle kleine und sehr intim wirkende Momente zwischen den Figuren gelingen und gerade die Nebenfiguren eigentlich durch die Bank gut funktionieren. Immer wieder setzt der "Cha Cha Real Smooth" hier gefühlvoll kleine Zweiergespräche in Szene, bei denen sich zum Beispiel Andrew mit seiner Mutter oder Domino zum emotionalen Gedankenaustausch trifft. Dabei balanciert man oft erfolgreich zwischen tiefgründigen Fragen und leichtem Humor und vermeidet es stets unnötige künstliche Konflikte zu schüren – das Leben ist ja so schon kompliziert genug.


Das alles ist wirklich ganz nett anzuschauen, doch irgendwie fühlt es sich auch etwas distanziert an. So richtig emotional mitnehmen kann der Film einen lange Zeit nur bedingt. Das wiederum liegt an der Hauptfigur, deren Auftreten und Wirkung vor allem in der ersten Hälfte irgendwo zwischen "leichtfüßig charmant" und "befremdlich irritierend" schwankt. So ganz greifbar ist Andrews Persönlichkeit nicht und seine durchaus eigenwillige Art lässt einen schon eine gewisse Zeit lang zumindest spekulieren, ob da nicht doch eine deutliche düstere Seite in ihm schlummert.

Gerade wenn Andrew abends für Domino auf deren autistische Tochter aufpassen darf, raubt dies den gemeinsamen Szenen zwischen Andrew und Lola doch spürbar die Leichtigkeit. Dazu gesellt sich noch die Tatsache, dass sowohl optisch als auch vom Auftreten her Andrew deutlich älter wirkt als er eigentlich laut Drehbuch sein sollte. So etwas mag bei anderen Filmen nur eine Randnotiz sein, hier aber wird es zu einem echten Problem, da der Film gerade den Altersunterschied zwischen Andrew und Domino immer wieder thematisiert und als Hindernis positionieren will.

Natürlich, eigentlich sollte man sich ja darüber freuen hier keinen glattpolierten Protagonisten serviert zu bekommen. Aber es lässt sich einfach nicht von der Hand weisen, dass Andrew gefühlt auch immer eine kleine dunkle Wolke mit im Schlepptau hat, die den Film vielleicht etwas interessanter machen mag, für das wichtige emotionale Band zum Publikum aber eher ein Hindernis darstellt.

Vielleicht hätte sich Cooper Raiff mit seiner Rolle als Regisseur und Drehbuchautor zufrieden geben sollen, denn diese beiden Aufgaben erfüllt er mehr als überzeugend. Was sich dann glücklicherweise im letzten Drittel auch noch einmal deutlich zeigt, wo der Film jede Menge guter Entscheidungen trifft und endlich auch eine emotionale Punktlandung hinlegt. Die Art, wie die große Frage des Films hier aufgelöst wird, ist genauso erwachsen wie berührend und regt dazu an auch die eigenen Entscheidungen in seinem Leben noch einmal Revue passieren zu lassen. So schafft der Film es trotz seiner Schwächen Eindruck zu hinterlassen – und das ist ja am Ende doch wichtiger als irgendwelche Goldstatuen.

Bilder: Copyright

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