Seit seinem Oscar-gekrönten Meisterwerk "12 years a slave" von 2013 ist es um den Regisseur Steve McQueen auf der großen Leinwand deutlich ruhiger geworden. Abgesehen von dem großartigen Thriller "Widows" beschäftigte sich McQueen im letzten Jahrzehnt vornehmlich mit TV-Projekten und der mehr als vierstündigen (!) Dokumentation "Occupied City" über die Stadt Amsterdam und ihre Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg. Und auch McQueens neuer Film war nur kurz in ausgewählten Kinos zu sehen, bevor er nun seine Premiere auf AppleTV+ feiert - womit sich McQueen einreiht in die gefühlt monatlich länger werdende Riege an namhaften Regisseuren, deren neue Werke das exklusive Angebot eines Streaming-Anbieters schmücken.
"Blitz" erzählt über wenige, ereignisreiche Tage hinweg die Geschichte einer Mutter und ihres Sohnes im durch die Luftangriffe von Nazi-Deutschland zermürbten London. Die junge Rita (Saoirse Ronan) zieht ihren Sohn George (Elliott Heffernan) mithilfe ihres Vaters (Paul Weller) groß, und entscheidet, George zu seiner eigenen Sicherheit aus der bombardierten Hauptstadt wegzuschaffen. So wie zahllose andere Kinder soll George dem Staat anvertraut und aufs sichere Land verbracht werden. Nur dass George diese Trennung nicht mitmachen will, und nicht allzu lange damit fackelt, aus dem fahrenden Zug zu türmen und sich auf eigene Faust auf den Rückweg nach London zu seiner Mutter zu machen.
So verläuft "Blitz" den Großteil seiner Laufzeit auf zwei Handlungslinien. Zum einen die Odyssee von George zurück nach Hause, zum anderen die Erlebnisse von Rita, die in der Ausnahmesituation des Blitzkriegs ihren "normalen" Alltag fortzusetzen versucht, ahnungslos, dass ihr Sohn bereits aus der staatlichen Obhut geflohen ist. Der Film nutzt diese zwei Ebenen auf jeweils unterschiedliche Weise dafür, den Blitzkrieg aus der Perspektive seiner eigentlichen Opfer zu zeigen - der unbescholtenen und wehrlos ausgelieferten Zivilbevölkerung.
Und Steve McQueen, der in seinen Filmen oft genug die Erwartungshaltungen seines Publikums unterlaufen hat, bleibt sich auch hier treu. Denn wer spektakuläre Action-Sequenzen einschlagender Bomben, einstürzender Gebäude und verzweifelter Rettungstaten todesmutiger Heldenfiguren erwartet, der ist hier an der falschen Adresse. Die allnächtliche Bedrohung der Bomben zeigt sich hier vor allem durch ihr enervierendes, schwer zu lokalisierendes aber unentwegt näher kommendes Pfeifen, oder durch dumpfes Knallen und Erschütterungen, wenn der Film seine Figuren in die schützenden Tiefen von U-Bahnhöfen begleitet. Beinahe konsequent (und natürlich auch Budget-sparend) zeigt McQueen keine direkten Bombeneinschläge, sondern allenfalls das Davor und Danach. So gehört zu den beeindruckendsten Einstellungen des Films eine stille Luftaufnahme der Großstadt am Morgen nach einer weiteren Bombennacht.
McQueen nutzt dieses historisch-dramatische Tableau für ein Porträt der englischen Gesellschaft unter diesen außergewöhnlichen Umständen - und macht vor allem deutlich, dass die Kriegsumstände zwar einerseits natürlich dafür sorgten, dass die Gesellschaft viel enger zusammenrückte und ein besonderes Miteinander entstand, andererseits deswegen aber noch lange nicht ihre Schattenseiten verschwanden. Man mag im Krieg gegen ein faschistisches Regime sein, aber das heißt noch lange nicht, dass es in den eigenen Reihen nicht auch Fremdenhass und Rassismus gibt - wie immer wieder an den Reaktionen auf George deutlich wird, der einen afrikanischstämmigen Vater hatte. Und auch für skrupellose Opportunisten bieten die Wirren des Krieges so einiges an Gelegenheiten.
Die nicht zu leugnende Schwäche von "Blitz" besteht indes darin, dass all dem ein richtiger narrativer Drive fehlt. Die Handlung hat sehr episodischen Charakter und es gibt nur wenig strukturierenden Plot - auch der Odyssee von George fehlt eine klare Linie, da er schon recht schnell zurück in London ist und sich bald die Frage aufdrängt, was genau ihn jetzt eigentlich davon abhält, einfach nach Hause zu marschieren. Gerade angesichts eines immer noch funktionierenden öffentlichen Nahverkehrs.
So mäandert der Film gefühlt über weite Teile vor sich hin, wirkt gelegentlich etwas banal, deutet da und dort mal einen Subplot an, der dann doch irgendwie nirgendwo hinführt - und lässt, auch wenn das doof klingen mag, mit seiner konsequenten Erzählung aus der Perspektive der "einfachen Leute" ein wenig das Besondere vermissen. Da McQueen zumal niemand für viel Pathos oder überzogene Rührseligkeit ist, wird hier in der Mutter/Sohn-Geschichte auch nicht auf die Tränendrüse gedrückt. An sich natürlich löblich, aber man merkt halt auch, dass dem Film ein richtiger emotionaler Punch abgeht. Und Saiorse Ronan, die eigentlich seit Anbeginn ihrer Karriere in permanenter Wartestellung ist, wann sie endlich ihren hochverdienten ersten Oscar gewinnt, bekommt hier bedauerlich wenig Gelegenheit, schauspielerisch richtig zu glänzen.
Als stark inszenierte Momentaufnahme der historischen Situation des Blitzkriegs aus Sicht der Zivilbevölkerung hat "Blitz" definitiv seinen Wert, und gewinnt dem filmisch nahezu restlos abgegrasten Feld des Zweiten Weltkriegs noch eine weitere, kaum gezeigte Facette ab. Von weiteren Oscar-Ehren für einen Steve McQueen-Film ist "Blitz" aber weit entfernt.
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