
Für das kleine Mädchen namens Hushpuppy (Quvenzhané Wallis) ist es einfach die Welt, in der sie lebt, und eine andere kann sie sich auch gar nicht vorstellen. Die Bewohner nennen ihre Heimat „Bathtub“, sie leben, sterben und feiern auf dieser kleinen, von Sümpfen und wildem Wasser umgebenen Insel und von der Welt und den Menschen hinter dem großen Damm wollen sie nicht viel wissen und diese auch nicht von ihnen. Doch allen ist klar, dass bald eine große Flut kommen wird, nach der sich vieles, wenn nicht alles ändern könnte. Da ihr Daddy (Dwight Henry) sie zwar liebt, aber nicht mehr ganz gesund und daher nicht immer Herr der Lage ist, muss Hushpuppy für sich selbst sorgen, als der Tag des Umbruchs schließlich kommt. Aber das wird sie schon schaffen, denn sie hat ja gelernt wie der Kreislauf der Welt ist, in der einst die mächtigen Auerochsen herrschten. Wenn das Eis bricht und die gewaltigen Wesen zurückkehren, dann hat Hushpuppy jedenfalls keine Angst.
Es müssen wohl die Bewohner der Bayous in Louisiana, südlich von New Orleans sein, deren Leben und Sterben wir in „Beasts of the Southern Wild“ beobachten, doch so ganz sicher darf man sich da nicht sein. Denn die Welt, die sich vor den Augen des Zuschauers entfaltet, ist eine sehr fremde und geheimnisvolle, geschildert und beschrieben aus der Sicht eines achtjährigen Kindes. Es könnte auch eine schreckliche apokalyptische Endzeitvision sein, aber so erscheint es vermutlich nur den „zivilisierten“ Vernunftmenschen aus den großen Städten. Für die Bewohner ist ihr „Bathtub“ dagegen die selbstverständlichste, natürlichste Umgebung überhaupt, der schmutzige Fluss ihre Lebensader und tatsächlich: Der herben Schönheit und Magie, der von der Kamera eingefangenen visuellen Pracht kann man sich auf Dauer kaum entziehen, wird hier doch das Leben genauso gefeiert wie das unvermeidliche Sterben, wird der nahende Sturm mit einer wilden Party begrüßt, wird danach zwar getrauert, aber weitergemacht und nur Wenige entscheiden sich daraufhin die Gemeinschaft zu verlassen – glücklich sehen sie dabei nicht aus. Wer bleibt, passt sich an, so wie es immer war, und was die plötzlich auftauchenden Menschen in den weißen Anzügen mit ihren merkwürdigen Geräten wollen und für „das Beste“ halten, das spielt nicht wirklich eine Rolle und ist auch keinesfalls akzeptabel. Obwohl hier niemand wirklich im klassischen Sinne "böse" ist, meint man beim Auftauchen und Benehmen der Städter sich selbst im Spiegel zu erkennen - und das ist kein angenehmes Gefühl.
Die Bilder sind grandios verfremdet, die Naturgewalten furchteinflößend, doch mittendrin steht diese Mädchen und nimmt uns spielerisch an die Hand. Sie ist keine Schauspielerin bisher, genauso wenig wie der Mann, der ihren Vater darstellt und eigentlich Bäcker ist – aber beide sind ganz großartig (die Originalfassung wird empfohlen).
Wenn sich ein Kollektiv zum Filmemachen zusammentut, sich „Court 13“ nennt und ankündigt Geschichten von „echten“ Menschen, die am Rande stehen auf die Leinwand zu bringen, Filme für das Volk zu machen und dabei ausdrücklich dem gesunden Menschenverstand zu trotzen, dann darf man zunächst durchaus erst einmal skeptisch die Stirn runzeln als abgeklärter Realist, schließlich hat man doch alles schon mal irgendwie gesehen. Nach dem Betrachten von “Beasts of the Southern Wild“ darf man es dann allerdings nicht mehr, sondern nur noch in Staunen und allergrößten Respekt verfallen, denn genau das was angekündigt wurde, wird hier auch geliefert, und aus bescheidenen Mitteln etwas Großes, Berührendes geschaffen. Und das schon beim ersten Versuch, der eher wirkt wie die Essenz einer langen Filmographie, meint man doch sowohl den Irrsinn eines Terry Gilliam oder die Naturbesessenheit eines Terence Malick zu erkennen – und irgendwo schauen auch bestimmt gleich noch Spike Jonzes „Wilde Kerle“ um die Ecke.
Der große Preis der Jury von Sundance, die goldene Kamera in Cannes und so ziemlich jede andere Festival-Auszeichnung bis hin zum Fantasy-Filmfest legen beeindruckend Zeugnis ab von der Wucht, mit der dieser kleine, aus dem Nichts gekommene Film das Publikum dieses Jahr bereits verblüfft hat. Moment, „Fantasy Filmfest“, also handelt es sich doch um einen Genre-Beitrag? Ja, wenn man die urzeitlichen Monsterwesen berücksichtigt, die sich hier ein Stelldichein geben; Nein, wenn man sie wie all das andere Unwirkliche hier als reine Fantasieausgeburten eines Kindes begreift. Völlig egal aber letztendlich, wenn man erst einmal mittendrin ist in dieser faszinierenden, wenn auch mitunter bitteren und traurigen Ode an das Leben. Oder eben ganz einfach: In einem Film wie noch keiner war.
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