Babylon - Rausch der Ekstase

Originaltitel
Babylon
Land
Jahr
2022
Laufzeit
189 min
Genre
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Matthias Kastl / 21. Januar 2023

Hollywood scheint es in diesen Monaten ja ein ganz besonderes Anliegen zu sein, uns an die Magie der etwas in Schieflage geratenen Institution Kino zu erinnern. Steven Spielberg gedenkt in "The Fabelmans" den Kinobesuchen seiner Jugend, Sam Mendes plündert seine Erinnerungen daran für sein Drama "Empire of Light" und Damien Chazelle ("La La Land", "Whiplash") bringt in "Babylon" nun die turbulenten ersten Schritte der Traumfabrik auf die große Leinwand. Und tatsächlich steckt in "Babylon" gefühlt all das drin was Kino sein kann – sowohl die guten als auch die schlechten Seiten. Eine Stunde lang ist der Film eine geradezu ansteckende und energiegeladene wilde Reise in eine andere Welt, die insbesondere Fans von Filmgeschichte in Verzückung geraten lässt. Darauf folgt dann allerdings eine dramaturgisch ziemlich misslungene zweite Hälfte, bei der die nun eher sinnlos als unterhaltend wirkenden Exzesse des Drehbuchs dem Publikum doch einiges an Durchhaltevermögen abverlangen.   

Ordentlich Durchhaltevermögen zeigt auf jeden Fall der Protagonist des Films, denn Manny Torres (Diego Calva) würde alles dafür tun, um in den 1920er Jahren einmal am Set eines Stummfilms arbeiten zu können. Noch größere Ziele hat sich derweil die lebenslustige Nellie LaRoy (Margot Robbie, "Suicide Squad", "I, Tonya") gesetzt, die fest davon überzeugt ist, dass für sie die Rolle eines berühmten Hollywoodstars schon reserviert ist. Die hat wiederum Jack Conrad (Brad Pitt, "Babel", "Once Upon a time in Hollywood") längst inne und so genießt er nur zu gerne die ausschweifenden und wilden Partys der Traumfabrik. Alle diese Figuren treffen in "Babylon" aufeinander und jeder wird auf seine Weise lernen, dass die Regeln der Filmindustrie für Einzelschicksale nur wenig Verständnis eingeplant haben.


Je erfolgreicher Regisseure und Regisseurinnen werden, desto mehr künstlerische Freiheit erkämpfen sie sich oft von ihren Produzenten. Allerdings tut das dabei meist vermittelte Bild des knausrigen und ganz auf Zielgruppen fixierten Produzenten als Gegner und Spaßbremse kreativer Freigeister dessen Funktion natürlich unrecht. Manchmal ist es nämlich einfach wichtig manchen Ideen konsequent die Grenzen aufzuzeigen. Der Verdacht, dass genau dies hier stellenweise versäumt wurde, drängt sich bei "Babylon" öfters auf. Allerdings hat diese Schläfrigkeit erst in der zweiten Hälfte für den Film negative Konsequenzen. In der ersten Stunde ist der irre Trip auf den uns Damien Chazelle hier einlädt dagegen ein wahres Freudenfest.

Mit frenetischer Energie stürzt er sich und uns in die Hochzeit des Stummfilms und zeichnet, genauso überdreht wie liebevoll, ein überspitztes Portrait der Traumfabrik in ihrer Pubertätsphase. Hemmungslos, freizügig und experimentierfreudig ging es damals nicht nur vor der Kamera zu, und so legt der Film dann auch gleich mit einer extravaganten Party samt Elefanten die Grundstimmung für das, was wir in den nächsten drei Stunden so erwarten dürfen. Das alles ist dabei mit soviel Tempo, Energie und Detailreichtum umgesetzt, dass man emotional mitgerissen wird und wie die Protagonisten kaum Luft zum Atmen bekommt. Exemplarisch dafür steht eine Sequenz in einem großen Außendrehset, bei dem die unterschiedlichsten Filmemacher auf engstem Raum ihrer Kreativität nachgehen und wir mit einer wilden Kamerafahrt mitten in diesen organisierten Wahnsinn hineingerissen werden.


Wie "Babylon" in dieser Sequenz dabei gerade den Pioniergeist und die Improvisationslust (oder nennen wir es besser Zwang) dieser frühen Filmemacher und Filmemacherinnen zum Leben erweckt ist schon ganz großes Kino. Es mag alles überspitzt sein, aber hier wird dieser Generation schon auf wundervolle Art und Weise ein genauso eindrucksvolles wie liebevolles Denkmal gesetzt. Dabei zeigt sich einfach mal wieder, dass Chazelle ein unglaublich gutes Händchen für Rhythmus und Tempo hat. Wenn der Film hier einmal Gas gibt, dann greift, wie schon bei "Whiplash" oder "La La Land", einfach ein Rädchen gekonnt ins andere.

Eines der geöltesten Rädchen in dieser Maschine ist dabei Margot Robbie, deren zwischen Leidenschaft und Wahnsinn pendelnde Figur in dieser ersten Stunde nichts anderes als elektrisierend ist. Immer wieder baut der Film dabei leicht überdrehte Gags ein, die meist auf herrliche trockene Art serviert werden. Viele dieser komödiantischen Szenen drehen sich dabei um Jack Conrad. Eine Rolle, die Brad Pitt nahezu auf den Leib geschrieben ist und die dieser genau mit dem richtigen Mix aus Charme und Coolness versieht. Mit anderen Worten, das alles ist am Anfang einfach ein Heidenspaß hier.


Auch wenn der Film nach einer Weile dann so langsam in etwas ruhigere und ernstere Gewässer schlittert, scheint erst mal noch alles in Ordnung. Vor allem diejenigen, die Filmgeschichte schon immer fasziniert hat, kommen weiter besonders auf ihre Kosten. So gibt es in Bezug auf die damalige Zeit immer wieder ordentlich Namedropping und viele kleine Anspielungen auf historische Personen oder Ereignisse, wie zum Beispiel den Skandal rund um den Stummfilmstar Roscoe Airbuckle – einer der Auslöser für die Einführung des berüchtigten Hays Codes, der dem amerikanischen Kino für lange Zeit moralische Daumenschrauben anlegen sollte. Oder es wird liebevoll gleich ein komplettes Set aus dem Film "The Hollywood Revue of 1929" nachgebaut, in dem damals zum ersten Mal der Song "Singin' in the Rain" auf Leinwand gebannt wurde. Dem gleichnamigen Musical aus dem Jahre 1952 fällt dann auch eine ganz besondere Rolle in "Babylon" zu – und das nicht nur, weil es inhaltlich einige deutliche Überschneidungen gibt.

Ständig gibt es hier also etwas zu entdecken und nach einer guten Stunde stellt man sich dann schon die Frage, warum diesem Film nur so wenig Liebe entgegenschlägt. Die Antwort verbirgt sich in den letzten zwei Dritteln und einem Qualitätsabfall, den man in dieser Wucht nun auch selten erlebt hat. Die Gründe dafür sind vielschichtig und haben vor allem mit der Dramaturgie und dem Drehbuch, und nur bedingt mit der Inszenierung oder den Darstellern zu tun.

Nach dem wilden Start entscheidet man sich die ganze Geschichte in eher ernstere und tiefgründigere Bereiche zu verlagern, doch je tiefer man hier gräbt desto mehr Hohlräume findet man. Statt sich auf wenige Konflikte zu konzentrieren, springt man eher unmotiviert und wild zwischen den Figuren hin und her. Das sind aber inzwischen ziemlich viele geworden, weil man unter anderem auch irgendwie noch das Schicksal von einigen Nebenfiguren, wie einem afro-amerikanischen Musiker und einer asiatischen Künstlerin, aufgreifen möchte. Deren Schicksale haben zwar durchaus dramaturgisches Potential, könnten aber alleine schon einen ganzen Film füllen. So bleibt es aber bei oberflächlich umgesetzten Kurzauftritten, die nicht wirklich überzeugen und dann auch noch den Stories der zentralen Protagonisten wichtige Zeit rauben.


Es rächt sich dabei ebenfalls, dass viele der Figuren sehr auf sich selbst bezogen sind und eigentlich kaum eine wirkliche Verbindung zu oder Chemie mit anderen aufbauen. Die Rolle des alles verbindenden Elementes sollte dabei eigentlich Manny zufallen, doch Diego Calva schafft es nicht diese Figur wirklich interessant zu gestalten. Sein Manny ist lange Zeit eine Art passiver Beobachter, und als er dann, sehr plötzlich und nur wenig nachvollziehbar, eine aktivere Rolle zugeteilt bekommt, ist diese lange so farblos gehaltene Figur denkbar ungeeignet um als emotionaler Anker zu agieren.

So jongliert "Babylon" lange Zeit einfach mit zu vielen unterschiedlichen Geschichten und auch Stimmungen und schafft es aufgrund des fehlenden Fokus nur stellenweise uns für die eigentlich durchaus interessanten Einzelschicksale zu erwärmen. Dass Chazelle im späteren Verlauf dabei auch ein wenig sein sonst so gutes Rhythmusgefühl im Stich lässt, wenn er zum Beispiel viel zu abrupt von ruhigen zu wilden Szenen wechselt, hilft auch nicht gerade.

Was dem Film aber so richtig seiner Energie beraubt ist die Entscheidung, die Story in eine immer düstere, ja geradezu deprimierende Richtung zu lenken. Spätestens wenn wir gemeinsam mit Manny einen sehr speziellen Ort besuchen stellt man sich schon die Frage, was die Macher wohl dazu gebracht hat zu glauben, dass diesem Film eine Runde "Torture Porn" doch ganz gut tun würde.

Überhaupt, hier hat gerade in der letzten Stunde keine der Figuren mehr irgendwie Spaß. Natürlich ist das beabsichtigt, weil man ja zeigen will wie verkommen die Glitzerwelt eigentlich ist. Es macht halt nur einfach keinen Spaß dabei zuzuschauen, da die Botschaft ziemlich schnell angekommen ist, sich hier aber gefühlt ewig hinzieht und in einer viel zu derb-abgedrehten Verpackung präsentiert wird. Und es passt halt einfach auch nicht zu dem leichtfüßigen Beginn, sondern eher in einen ganz anderen Film.


Ein paar kleine Lichtblicke hat "Babylon" aber immerhin im weiteren Verlauf noch für uns, wie ein durchaus berührendes Gespräch zwischen Conrad und einer Kolumnistin über das was von Schauspielern nach ihrem Tod zurückbleibt. Und am Ende feiert man mit uns gar noch einmal durchaus emotional die Magie des Kinos. Eine Sequenz, die durchaus bewegt aber auch sinnbildlich für das Problem des Films steht. So richtig passt die Abschlussbotschaft eigentlich nicht zu dem, was wir da gerade gesehen haben, und so funktioniert sie eigentlich nicht wirklich im sondern nur losgelöst von diesem Film.

Und so steht man als Rezensent dieses Films am Ende ein wenig vor einem Dilemma. Wie bewertet man ein Werk, das eine Stunde lang soviel richtig macht und dem etwas gelingt, nämlich echte Kinomagie, woran die meisten anderen Filme kläglich scheitern? Ein Werk, das aber dann auch so deutlich vom Kurs abkommt und sowohl den guten Willen als auch die eigene Geduld herausfordert. Die Antwort des Rezensenten darauf zeigt sich in der Wertung und damit auch die Meinung, dass große Höhen zumindest teilweise gravierende Schwächen aufwiegen können. Und darum wird hier trotz der frustrierenden zweiten Hälfte noch einmal ein Auge zugedrückt. Wer diese Ansicht nicht teilt und wen auch der ganze filmhistorische Hintergrund der Handlung eher kalt lässt, der muss kein Auge zudrücken, sondern darf stattdessen gerne eines oder zwei von selbigen in der obigen Wertung abziehen.

Bilder: Copyright

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