
Wir schreiben das Jahr 1976. Der Vietnamkrieg ist gerade mal ein Jahr beendet und noch ahnt niemand wie lange diese Erfahrung die amerikanische Seele traumatisieren wird. Der Regisseur Francis Ford Coppola befindet sich nach dem Oscar- und Geldregen für seine beiden "Der Pate"-Filme auf einem frühen Höhepunkt seines Schaffens. Niemand wagt es
"Nichts geht über den Geruch von Napalm am Morgen." Der legendäre Heli- Angriff mit Wagner-Untermalung. |
dem Wunderkind Einhalt zu gebieten, als dieses mit einem gewaltigen Troß in Richtung Philippinen aufbricht um dort seine ganz eigenen Visionen vom Krieg und menschlichen Abgründen in gewaltige Bilder umzusetzen. Als vordergründige Geschichte will er von der Mission eines amerikanischen Offiziers erzählen, der den Auftrag erhält einen im Grenzgebiet zu Vietnam außer Kontrolle geratenen Colonel ausfindig zu machen und zu liquidieren. Inspiriert wird die lange Flußfahrt des Captain Willard und seiner Mannschaft hinein ins vom Krieg geschundene Land dabei von Joseph Conrads Buch "Das Herz der Finsternis".
Die Dreharbeiten werden jedoch zur Katastrophe: Aus geplanten vier Monaten werden ganze fünfzehn. Hauptdarsteller Harvey Keitel erweist sich als ungeeignet und wird durch Martin Sheen ersetzt. Dieser erleidet während der Dreharbeiten einen Herzanfall und überlebt nur knapp. Marlon Brando ist so fett, daß er in keine Uniform paßt. Der schwerste Taifun auf den Philippinen seit 40 Jahren stoppt die Dreharbeiten und läßt die Filmcrew scheinbar endgültig im Morast versinken. Der Regisseur irrt wie seine Hauptfigur flußaufwärts, auf der Suche nach Antworten und Erleuchtung. Um den Film zu Ende zu bringen verpfändet er Haus und Besitz im Wert von 16
Abgetaucht in den Wahnsinn: Martin Sheen. |
Millionen Dollar. Die Presse gefällt sich darin den Filmtitel wörtlich zu nehmen und prophezeit dem Film ein künstlerisches und finanzielles Desaster.
Coppola läßt sich von der öffentlichen Meinung beeinflussen und hat dazu Angst um seine nackte Existenz. Er selbst fürchtet nun, der fertige Film sei zu lang, zu kompliziert und einfach zu unkonventionell für ein Massenpublikum. Die große finale Entscheidungsschlacht mag er trotzdem nicht servieren, aber einige abseitige, verstörende oder einfach nur zu langen Szenen entfernt er. Mit der Konzentration auf die Flußfahrt macht er sein Werk im wörtlichen Sinne stromlinienförmiger, glaubt dem Publikum einen roten Faden zu bieten. Die Kinofassung von 1979 ist letztendlich um rund 50 Minuten kürzer als ursprünglich geplant. Und wird entgegen allen Prophezeiungen ein großer Wurf: Acht Oscarnominierungen, weltweiter Kritiker- und Publikumserfolg.
Dem drei Jahre später ein Treppenwitz der Filmgeschichte folgt: Überzeugt mit "Apocalypse Now" seinen finanziellen Offenbarungseid geleistet zu haben, beschließt Coppola auf Nummer Sicher zu gehen und im Anschluß einen leichteren, gefälligeren Film zu drehen: Der Totalflop "Einer mit Herz" bricht ihm dann tatsächlich finanziell das Genick. Manchmal ist die Medizin eben bitterer als die Krankheit.
Wir schreiben das Jahr 2001. Francis Ford Coppola ist immer noch da und hat schon lange keinen aufregenden Film mehr gemacht. Viele (zu viele) Vietnamfilme hat das Publikum nunmehr gesehen und "Apocalypse Now" geistert als einer der "frühen" irgendwo im Hinterkopf herum. "Harmlos" wirkt der verdiente und ehemals kontrovers diskutierte Klassiker auf
Willkommen in der Hölle: Die Ankunft in Kurtz' Lager. |
den Regisseur selbst, als dieser ihn im Fernsehen laufen sieht. "Zeit für eine radikale Neufassung" meint Coppola und beginnt noch einmal mit der Sichtung des gesamten Rohmaterials. In sechs Monaten schneidet er dies dann komplett neu zusammen. Dem Publikum droht ein "Director's Cut" und das große Gähnen: Viel zu oft schon wurde damit ein "völlig neues Seherlebnis" versprochen und das Ergebnis lohnte kaum mehr als ein, zwei Zeilen.
Diesmal nicht. Wer "Apocalypse Now" nicht in der "Redux"-Version gesehen hat, hat ihn definitiv überhaupt nicht wirklich gesehen. So einfach ist das. Wer sich von der Laufzeit von knapp dreieinhalb Stunden abschrecken läßt darf sich erstens nicht ernsthaft als "Filmfreund" bezeichnen, verzichtet zweitens auf eine großartige Belohnung und verpaßt drittens eine wissenschaftliche Sensation: Die um 50 Minuten längere Version kommt dem Zuschauer sogar kürzer vor als die arg beschnittene alte Fassung.
Wer nicht weiß, daß er einen mehr als 20 Jahre alten Film sieht merkt es nicht. Der ganze Film wurde technisch "restauriert", Farben und Schärfen sind brillant. Vor allem die Farbgebung beeindruckt in diesem Werk über die Düsternis. Alles wirkt frisch. Der Angriff der Hubschrauber, untermalt von Wagners "Walkürenritt". Surfende Soldaten inmitten explodierender Granaten und die Erkenntnis "Charlie surft nicht". Der groteske, mit Leichenbergen zum götzenhaften Altar verkommene Stützpunkt des Colonel Kurtz. Haben wir das alles wirklich schon mal gesehen? Wir beantworten diese
Extra-Auftritt: In "Redux" gibt es eine zweite Sequenz mit den Playboy-Bunnies. |
Frage vernunftgemäß mit Ja und wundern uns um so mehr über die Wirkung, die diese Szenen auch jetzt (oder doch ERST jetzt?) hinterlassen. Haben wir nicht nach "Apocalypse Now" noch viel Beeindruckendes und "Heftiges" vorgesetzt bekommen? Wieder Ja, aber auch die Erkenntnis vor "Redux" eben doch nichts wirklich Vergleichbares gesehen zu haben. Denn "Redux" schließt einen Kreis und gibt daher dem "Wieder"-Seher mehr als dem Erstzuschauer.
Was ist neu? Kichernde Soldaten, die dem abgefuckten Colonel Killgore das Surfbrett klauen. Albernheiten, die eben nur am Beginn der Odyssee noch möglich sind. Eine zweites Treffen mit den "Playboy"-Bunnies, der Kontrapunkt zur Glitzerwelt ihres ersten Auftritts - eine Szene die wegen Unwettern nie zu Ende gedreht werden konnte und daher mittendrin abbricht. Was aber nicht stört sondern paßt. Den größten Raum schließlich nimmt die geheimnisumwitterte "French-Plantation-Scene" ein - versucht sie doch sowohl den politischen Hintergrund (und Widersinn) des Vietnamkrieges zu beleuchten als auch Captain Willard ein letztes Gefühl von menschlicher Wärme
Merkwürdiges Geschwafel: Marlon Brando als Col. Kurtz. |
zukommen zu lassen, bevor dieser endgültig im Abgrund der Finsternis ankommen wird. Die alte, amputierte Fassung möchte danach niemand noch einmal sehen.
"Die ersten 90 Minuten sind cool, aber danach dreht der Film total ab und du peilst gar nichts mehr". So oder ähnlich fielen die Kommentare der Zuschauer aus, die von "Apocalypse Now" einen "echten" Kriegsfilm erwarteten. Daran wird sich nicht viel ändern, denn auch die weiteren Ausführungen des von Marlon Brando verkörperten Colonel Kurtz in "Redux" bleiben mystisch verklärtes Gedankengut, dessen tiefere Bedeutung man nicht wirklich suchen muß. Aber dieses martialische Geschwafel scheint unvermeidlich, wenn es denn nun einmal Joseph Conrads "Heart of Darkness" in einer Drehbuchfassung von John Milius sein sollte. Milius durfte kurz danach seine Vorliebe für Blut und Stahl mit dem ersten "Conan"-Film auf die Spitze treiben und dann war gut. Die Verklärung von Gewalt und Tod und deren ästhetische Bebilderung in "Apocalypse Now: Redux" sind mit Sicherheit fraglich und diskussionswürdig - entziehen kann man sich ihrer Faszination aber nicht.
Ein Francis Ford Coppola auf dem absoluten Egotrip. Ein Martin Sheen in der besten Rolle seiner Karriere und ein Marlon Brando in der einzig nennenswerten seiner Spätphase. Eine Flußfahrt in den Abgrund des Krieges, mit einer Nummernrevue an Eindrücken, die ein umfassenderes Bild des Schreckens liefert als jeder andere filmische Versuch davor und danach. Und am Ende dann nur zwei Worte: "Das Grauen". Und noch diese: Ganz großes Kino.
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