
Erst einmal gilt es Abbitte zu leisten, meinte doch der Autor dieser Zeilen vor wenigen Monaten noch konstatieren zu müssen, dass sich der Filmemacher Clint Eastwood wohl in einer stetigen Abwärtsspirale bewege und offenbar irgendwie auch seinen Biss verloren habe. Doch den Altmeister sollte man besser nie abschreiben, zumal er auch in den späten 80ern und frühen 2000er Jahren schon mal kreative und kommerzielle Talsohlen durchlief, nur um dann zuerst mit „Erbarmungslos“ sowie gut eine Dekade später mit dem Doppelschlag „Mystic River“ und „Million Dollar Baby“ eindrucksvoll zurückzukehren und nebenbei auch noch den einen oder anderen Oscar abzuräumen. Die bedeutendsten Statuen blieben seinem neuen Film diesmal trotz zahlreicher Nominierungen zwar verwehrt, doch das dürfte Eastwood locker verkraften, hat er doch ganz nebenbei mit „American Sniper“ mal eben den kommerziell erfolgreichsten Film seiner ganzen Karriere abgeliefert – im zarten Alter von 84 Jahren. In welchen Massen die US-Amerikaner in die Kinos strömten um diesen Film zu sehen, dürfte den Regisseur dabei vermutlich selbst überrascht haben, war die Geschichte des real existierenden Scharfschützen Chris Kyle doch für den Wanderer zwischen den Genres zunächst einfach nur ein weiteres, reizvolles Thema um seinen Blicken auf die amerikanische Gesellschaft einen weiteren Aspekt hinzuzufügen. Doch diese Geschichte trifft ganz offensichtlich einen Nerv, der sowohl erzkonservative als auch liberale Vertreter dazu treibt, sich mit dem Werk zumindest zu beschäftigen. Bleibt die Frage: Ist „American Sniper“ denn auch ein guter Film?
Er ist kein gewalttätiger Mensch, aber schon als Kind hatte Chris Kyle (Bradley Cooper) die Lehren seines Vaters aufgesogen, sich zu wehren und andere zu beschützen, die das nicht selbst tun können. Der Impuls sich beim Militär zu melden kommt für den Texaner nach Anschlägen auf US-Botschaften im Jahr 1998, drei Jahre später wird er nach den Ereignissen des 11. September zu seinem ersten Einsatz in den Irak geschickt. Sein Auftrag ist es dabei als Scharfschütze die eigenen Kameraden vor Hinterhalten und Anschlägen zu beschützen. Kyle erledigt diese Aufgabe besser als jeder andere und gilt schon bald innerhalb der Army als „Legende“ – mit 160 bestätigten Abschüssen (tatsächlich waren es zweifellos noch weitaus mehr) wird er als „Rekordschütze“ in die Geschichte eingehen. Der Preis für diesen Ruhm sind dabei für Kyle nicht etwaige Gewissensbisse gegenüber den von ihm getöteten Opfern, sondern die Entfremdung von seiner Zuhause wartenden Familie, seiner Frau Taya (Sienna Miller) und seinen beiden Kindern. Denn der Soldat lässt sich nicht davon abbringen nach den Heimatbesuchen stets wieder in den Einsatz zurückzukehren, um dort das zu tun was er erstens am besten kann und wofür man ihn nach seiner eigenen Überzeugung auch dringend benötigt.
Räumen wir zunächst die Aspekte aus dem Weg, bei denen es erwartungsgemäß eh keinen größeren Diskussionsbedarf gibt: Clint Eastwood hat hier zweifellos erneut einen handwerklich mehr als sauberen Film abgeliefert. Sowohl die sehr real wirkenden Kriegs-Sequenzen (für die Marokko als glaubwürdiger Irak-Ersatz diente), als auch die mit deutlich ruhigerer Hand gefilmten Szenen in der texanischen Heimat sind vom künstlerischen Aspekt her makellos. Die beiden unterschiedlichen Herangehensweisen - einmal gibt es schnelle Schnitte und immer wieder ausbrechendes Chaos, auf der anderen Seite sehr langsame Kamerabewegungen und zahlreiche Großaufnahmen der Gesichter – sind sinnvoll und angemessen. Sie verdeutlichen zudem das „Loch“ in das Chris Kyle stets fällt, wenn er von einem Einsatz zurückkehrt. Es ist nicht nur die Sorge um die Kameraden, die er während seines Heimaturlaubs eben nicht retten kann, sondern zweifellos auch das fehlende Adrenalin der Einsätze was ihn unruhig werden lässt. Auch ist es für den Soldaten nur schwer zu verstehen, dass sich in seiner Heimat kaum jemand mit dem Schicksal der im Kriegsgebiet kämpfenden Amerikaner beschäftigt, denn dort läuft der Alltag der allermeisten Menschen halt einfach normal weiter.
Trotz der gewaltigen Muskelmasse, die sich Bradley Cooper für diese Rolle antrainiert hat, kommt sein Chris Kyle als eine Art „sanfter Riese“ daher, der auch nicht viel auf die eigene Legendenbildung zu geben scheint. Das ist dann auch der erste Punkt, bei dem man anzweifeln darf, ob diese Leinwandversion denn auch tatsächlich der Realität entspricht. Denn während der Film-Kyle innerlich fleht, dass der kleine Junge doch bitte die Granate wieder fallen lassen möge, damit er nicht gezwungen ist ihn abzuschießen, wird dem realen Vorbild aufgrund dessen Auslassungen in seiner Biographie durchaus eine gewisse sadistische Ader und Freude am Töten nachgesagt. Davon ist hier nichts zu spüren, wobei man dem Film an anderer Stelle aus seiner Art der Schilderung allerdings keine Schlinge drehen kann. Denn die nichtvorhandenen Zweifel und die absolute Überzeugung das Richtige zu tun gehörten ganz eindeutig zum Persönlichkeitsbild des Scharfschützen. So wirkt dann auch der hier gezeigte Kyle innerlich sehr gefestigt, dass man die Sache aber auch anders und etwas kritischer sehen kann, wird dann durch die Reaktionen seiner Gesprächspartner deutlich, die ihre Irritation über die Beiläufigkeit, mit der ihr Gegenüber jegliche Zweifel an seinem Tun wegwischt, durchaus spüren lassen – wenn auch meist nur durch verständnislose Blicke und hochgezogene Augenbrauen.
Was Eastwood, der sein Filmprojekt bereits vor der Veröffentlichung von Chris Kyles zum Bestseller gewordenen Biographie auf den Weg brachte, aber nach eigener Aussage in erster Linie interessierte, war die Gegenüberstellung des Kriegseinsatzes mit dem dieser Ausnahmesituation diametral gegenüberstehenden Privatleben in der beschaulichen Heimat – oder vielmehr die Unmöglichkeit, Beides zu verbinden. So ist „American Sniper“ denn auch letztlich mehr der Versuch eines Psychogramms denn ein „echter“ Kriegsfilm, auch wenn Eastwood als dramatisches Moment sogar einen mythischen Gegenspieler auf Seiten des Gegners ins Spiel bringt, den es in der Realität so nicht gab. Dieses Psychogramm steht oder fällt dann natürlich mit der Leistung des Hauptdarstellers, und hier mit Bradley Cooper bleibt es eindeutig stehen. Es ist allgemein erstaunlich, wie sich die Karriere des einst vorwiegend als glatter Schönling besetzten Schauspielers seit den Tagen von „Hangover“ oder dem „A-Team“ entwickelt hat, hier geht er nun aber komplett in seiner Rolle auf, ist auch optisch kaum wiederzuerkennen und legt eine bemerkenswerte Intensität an den Tag. Neben ihm bleibt dann nur noch Platz für eine weitere nennenswerte Figur im Film, und da hält eine bisher schauspielerisch oft ja etwas belächelte Sienna Miller sogar erstaunlich gut mit und zieht sich ebenfalls überzeugend aus der Affäre.
Der geradezu unglaubliche Erfolg an der Kinokasse, der diesen eigentlich eher kleinen und leisen Film in Bereiche spülte, die sonst nur effektgetriebene Blockbuster-Produktionen mit einem Mehrfachen an Herstellungskosten erreichen, wird sich hierzulande kaum wiederholen. Dafür bewertet man das Thema und die Heldenverehrung für einen Mann, der rund 200 Menschen getötet hat, außerhalb der USA dann doch etwas distanzierter. Und dass es dann letztlich doch eine Heldenverehrung sein soll, daran lassen die letzten Minuten des Films keinen Zweifel mehr. Da wird die bis dahin stets noch spürbare Distanz eines oft sogar neutral scheinenden Beobachters schließlich doch aufgegeben, um mit manipulativ zusammengestellten Dokumentaraufnahmen und passender Musik einen Pathos zu erzeugen, den es nicht bedurft hätte und der in dieser Form eigentlich auch nicht so recht zum Rest des Films passen mag. Eines Films, der viele Stärken besitzt und den es sich lohnt anzuschauen, der aber den Status „Meisterwerk“ auch recht deutlich verfehlt.
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