American Honey

Originaltitel
American Honey
Jahr
2016
Laufzeit
164 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Volker Robrahn / 11. Oktober 2016

honey 1Star (Sasha Lane) hat genug. Genug von ihrem öden und trostlosen Leben ohne Zukunftsaussichten, mit einem trinkenden Vater und einer Mutter die sich um nichts kümmert. Als sie von dem extrovertierten Jake (Shia LaBeouf) angesprochen wird, ob sie nicht mit ihm und seiner Gruppe durch die Gegend ziehen will, ergreift sie die Gelegenheit beim Schopf, ohne genau zu wissen was sie erwartet. Wie sich herausstellt, reisen Jake und seine Leute durchs Land um Zeitschriften zu verkaufen. Das Kommando führt dabei Krystal (Riley Keough), die zudem mit ihrem Top-Verkäufer Jake eine Art Beziehung zu haben scheint. Star lässt sich treiben und macht auf ihrer Reise die unterschiedlichsten Erfahrungen, wobei sie mit den Verkaufsmethoden der Gruppe so ihre Schwierigkeiten hat.

honey 2Wer sich ein wenig verwundert die Augen reibt und sich fragt, ob es denn so etwas tatsächlich heute noch gibt – Jugendliche, die von Tür zu Tür ziehen um Zeitschriftenabos zu verkaufen - dem geht es nicht anders als Andrea Arnold. Die britische Filmemacherin und Spezialistin für den Blick auf die Welt sozial unterprivilegierter Teenager wird öfter als eine Art weibliches Gegenstück zu den Sozialdramen eines Ken Loach betrachtet und erregte zuletzt mit dem eindrucksvollen „Fish Tank“ Aufmerksamkeit. Als sie einen Artikel über diese Art von Straßenverkäufern las, erregte dieser ihre Aufmerksamkeit, wie Arnold uns beim gemeinsamen Interview mit ihrer Hauptdarstellerin Sasha Lane erzählte. Und so zog Arnold selbst mit ihrem Filmteam los und lebte mehrere Wochen in den Motels und auf den staubigen Straßen des amerikanischen Mittelwestens.

Herausgekommen ist dabei ein mehr als zweieinhalb Stunden langer Road Trip, ein Film der weniger einer stringenten Handlung verpflichtet ist als dem Bestreben, ein ganz bestimmtes Lebensgefühl zu vermitteln. Das bedeutet auch: Handkamera, immer ganz nah dran an den Figuren, manchmal wackelig und unscharf, alles eingesetzt als bewusstes Stilmittel. Doch das muss wohl genau so sein, wenn man denn wirklich das Gefühl bekommen möchte, als Zuschauer mittendrin zu sein, und eben auch ein wenig von dem zu spüren, was Star, Jake & Co. ihre Zeit trotz aller Widrigkeiten genießen lässt. Denn eine wirklich freies Leben ist es eigentlich nicht, angesichts des allgegenwärtigen Drucks etwas verkaufen zu müssen, zudem wird der jeweilige „Loser“ mit den schwächsten Umsätzen vom Rest der Truppe gerne nach einem vorgegebenen Ritual gepiesackt oder verprügelt. Chefin Krystal, selbst nur wenige Jahre älter als Star, führt ein rigoroses Regime und bleibt dabei in ihrem Antrieb rätselhaft, sofern er irgendwie über das Kassieren von möglichst viel Geld hinausgehen sollte. Während deren Darstellerin Riley Keough als Enkelin von Elvis Presley immerhin schon ein wenig Medien- und Filmerfahrung vorweisen kann, spielen die meisten der rund ein Dutzend Jugendlichen der „Mag-Crew“ sich dagegen praktisch selbst. Die dadurch erzielte Authentizität ist tatsächlich jederzeit spürbar, auch oder gerade weil sich einige Mitglieder der Gruppe eher wild und verstörend als auf Anhieb sympathisch verhalten.

honey 3Auch bei der Wahl der beiden Hauptdarsteller bleibt Andrea Arnold ihrem Muster aus „Fish Tank“ treu und besetzt einen erfahrenen Darsteller für die männliche sowie einen „ungelernten“ Neuling für die weibliche Hauptrolle. Für Shia LaBoeuf scheint die Figur des Jake dabei wie gemalt, um sich noch ein Stück weiter von seiner Blockbuster-Vergangenheit aus „Indiana Jones“ und „Transformers“-Zeiten zu entfernen. Sein Jake verhält sich oft genauso unberechenbar und erratisch wie es auch LaBoeuf selbst zuletzt bei diversen öffentlichen Auftritten mit großem Vergnügen tat. Das wirkt dann mitunter ein wenig zu gewollt und aufgesetzt, was man von seinem weiblichen Counterpart absolut nicht sagen kann. Die während der Ferien am Strand entdeckte Sasha Lane wirkt in jedem Moment vollkommen natürlich, ob sie nun mit staunenden Augen die Vorgänge um sich herum beobachtet oder sich ihre aufgestaute Wut entlädt. Folgerichtig wurde Sasha Lane dann auf dem Festival von Cannes (wo „American Honey“ den Spezialpreis der Jury gewann) auch als große Entdeckung gefeiert.

honey 4Regisseurin Arnold seziert äußerst genau diese ganz eigene Art des „American Dream“, den die Magazin-Verkäufer tatsächlich zu leben glauben, wenn sie Erfolg und Spaß bei ihrer Arbeit haben „Now you've got it“ ruft Jake dann Star zu, nachdem diese endlich erfolgreich etwas verkauft hat – natürlich nicht ohne dabei kräftig zu lügen, denn hier kauft man nicht die Zeitschrift, man kauft denjenigen, der sie und sich mit einer guten Geschichte anpreist. Von bigotten, christlichen Gutmenschen über vor Geld und Langeweile stinkenden alten Männern in albernen Cowboy-Outfits bis hin zu sehr früh zu Reichtum gekommenen Besitzern sprudelnder Ölquellen reicht das Spektrum der „Kundschaft“, wobei die als potentielle Käufer eher nicht in Frage kommenden ärmlichen Gestalten nicht ausgespart werden, die an den Straßen oder in heruntergekommenen Behausungen vor sich hin leben. Dies ist das (vermutlich recht realistische) Bild, welches sich der britischen Filmemacherin auf ihrer Reise darbot, und genauso wird es nun im Film präsentiert. Dass dabei trotzdem eine gewisse positive, fröhliche Grundstimmung immer spürbar bleibt, ist eine der erstaunlichen Eigenschaften von „American Honey“.

Bilder: Copyright

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