„Ich glaube, es gibt nichts schlimmeres, als gewöhnlich zu sein“, spricht Angela Hayes und sticht ihrer besten Freundin Jane Burnham damit unwissend mitten ins Herz. Denn Jane hat Eltern, die so was von gewöhnlich sind, daß ein IKEA-Nachttisch im Vergleich wie ein Designermöbel wirkt. Ihre Mutter Carolyn ist Immobilienmaklerin und leidenschaftliche Rosenzüchterin, in allem anderen aber weit von Leidenschaft entfernt. Sie ist so sehr darauf bedacht, daß in ihrem Leben alles in geregelten und vor allem präsentablen Bahnen verläuft, daß sie sich noch nicht einmal dann einen Gefühlsausbruch erlaubt, wenn sie ganz alleine ist. Vater Lester ist die Verkörperung des Mittelklasse-Albtraums: Er hat ein Haus, ein Auto, eine Ehefrau und eine Tochter, einen recht gut bezahlten Job, und ein Leben ohne jedes Feuer. Er masturbiert morgens unter der Dusche und resümiert emotionslos: „Das ist der Höhepunkt meines Tages. Von nun an geht es nur noch abwärts.“ Das ändert sich schlagartig, als er zum ersten Mal Angela trifft. Angela ist der verkörperte Traum eines frustrierten Mannes: Blond, blauäugig, blutjung und begehrenswert. Lester mutiert in ihrer Gegenwart zu einem sabbernden Trottel, was seiner Tochter natürlich hochnotpeinlich ist. Angela hingegen findet ihren Vater sogar recht süß. Er müsste nur ein paar Muckis haben. Lester hört das zufällig mit, und schon kramt er seine alten Hanteln raus und geht morgens joggen. Nebenan sind indes die Fitts eingezogen: Der frisch pensionierte Colonel Fitts („United States Marine Corps“), seines Zeichens professioneller Schwulenhasser und völlig unfähig, seine militärische Denk- und Vorgehensweise abzulegen, seine total apathische Ehefrau Barbara und Sohnemann Ricky. Der hat zwei Hobbys: Alles und jeden mit seiner Videokamera aufzuzeichnen, und in enormen Ausmaßen mit Dope zu dealen. So macht er bald die Bekanntschaft der Burnhams: Lester wird sein neuer bester Kunde, nachdem sie sich eine Tüte geteilt haben, und Jane wird sein neues Lieblingsmotiv, was sie etwas verwirrt, weil sonst alle Jungen immer nur auf Angela starren (die gar nichts dagegen hat: „Zu wissen, daß diese Typen an mich denken, wenn sie sich einen runterholen, bestätigt doch nur, wie gut ich aussehe. Es gibt keine bessere Grundlage, um Model zu werden.“). Das ist die Ausgangssituation von „American Beauty“, und hieraus entwickelt sich ein Film, für den das Wort wunderschön einfach nicht Beschreibung genug ist. Aber fangen wir mal damit an, was dieser Film alles nicht ist: Es ist keine flache Variation von „Lolita“, nur weil ein älterer Mann auf ein junges Mädchen abfährt. Es ist AUCH das, und Amanda mag dem Film seinen Titel geben, aber wie bei „Fight Club“ (auch wenn man diese Filme natürlich überhaupt nicht vergleichen kann) ist sie nur die Sache, die alles ins Rollen bringt. Es geht viel tiefer. Denn für Lester wird die Veränderung, die seine Leidenschaft für Angela in sein Leben bringt, schnell viel wichtiger als Angela selbst. Aber es ist auch nicht einer dieser typischen Mittelklasse-Filme, in denen es einzig darum geht, daß der Protagonist ein neues Ziel in seinem Leben entdeckt, daß völlig leer zu laufen scheint. Es geht AUCH darum, aber es geht viel intensiver. Lester erlebt nicht einfach nur eine Midlife-Crisis, er erlebt die Rückkehr seiner Lebensfreude. Weil aber seine Familie inzwischen so weit von ihm weg ist, kann ihn niemand verstehen. Hier haben wir ein perfektes Beispiel dafür, wie genial ein Film werden kann, wenn alle Beteiligten sich wirklich vollkommen kreativ austoben können. Und es ist um so erstaunlicher, wenn man weiß, daß weder Autor noch Regisseur zuvor einen Film gemacht haben. Alan Ball, mit dessen Skript alles begann (und der sich, unter Garantie, im nächsten März über den Oscar für das beste Originaldrehbuch freuen kann), ist bis auf drei Jahre Tätigkeit für die Comedy-Serie „Cybill“ ein völlig unbeschriebenes Blatt, und Regisseur Sam Mendes kommt direkt vom Theater. Mit einer innovativen Inszenierung von „Cabaret“ sorgte er am Broadway für Aufsehen und begeisterte auch Steven Spielberg, der sodann (in seiner Chef-Funktion bei Dreamworks) den Produzenten sagte, wer ihr Regisseur sein würde. Diese Theatererfahrung kam denn auch den Schauspielern zu gute, denn Mendes erlaubte sich den Luxus, wochenlang mit seinen Darstellern über das Buch und ihre Rollen zu diskutieren. Heraus kam eine Gruppe von Charakteren, von denen jeder einzelne so stark, lebensnah und klar gezeichnet ist, daß beinahe jeder für einen eigenen Film ausreichen würde. Und daß Schauspieler wirklich über sich hinaus wachsen können, wenn man ihnen nur das richtige Material gibt, dafür ist „American Beauty“ der absolut finale Beweis: Niemand, niemand zeigt in diesem Film auch nur eine darstellerische Schwäche, und selbst der oberflächliche Teenager Amanda erhält eine Tiefe, die man noch nicht einmal einem echten Menschen zutrauen würde. „American Beauty“ ist wie ein Platzregen an unvergesslichen Vorstellungen, und dennoch sieht man in den größten Momenten niemanden sprechen. Für einen Film, der so ziemlich das genialste Drehbuch seit Jahren besitzt, mag das fast unmöglich erscheinen, aber es ist so. Als Ricky Jane fragt, ob sie das schönste sehen will, was er jemals aufgenommen hat, dann erwartet man eine Menge verschiedene Dinge, aber nicht das, was man dann zu sehen bekommt. Nichtsdestotrotz bleibt einem nachher nichts anderes übrig, als Ricky recht zu geben. „American Beauty“ ist einer dieser ganz, ganz wenigen Filme, wäre er ein Bild, ich würde ihn im größtmöglichen Format an die Wand hängen und immer weiter anstarren. Es ist sehr schwer, seine Schönheit in Worte zu fassen, darum behelfe ich mir mit einem Vergleich, denn „American Beauty“ ist wie das Leben selbst: Manche Augenblicke sind so wundervoll, daß man sie anhalten möchte, um sie ewig genießen zu können. Da das aber nicht geht, soll es wenigstens nie ein Ende nehmen. Doch das wird es irgendwann. Es bleibt nur zu hoffen, daß man dann ein Lächeln auf den Lippen trägt. Zumindest in diesem Falle ist das sicher. |
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