Mit kontroverser, unkonventioneller Ware wie "Brick", "Hard Candy" oder "Shortbus" hat sich das "Autobahn"-Label des Senator Filmverleihs bei Film-Freunden mittlerweile einen Namen gemacht. Wenn der Verleih nun also wieder einen neuen Streifen auf die Strecke schickt, dann weckt das natürlich erst einmal Interesse. Und wieder einmal geschieht dies zurecht: Der Slasher "All the Boys love Mandy Lane" von Spielfilm-Debütant Jonathan Levine ist sicher nicht frei von Schwächen, aber garantiert einer der ambitioniertesten Horrorfilme der letzten Zeit.
Mandy Lane (Amber Heard, "Kaltes Land", "Alphadog") - ein Mädchen von vielen an der High School, aber doch anders als alle anderen. Keine ist so begehrt wie sie, keine verdreht den Jungs im gleichen Maße reihenweise die Köpfe. Mandy Lane ist sexy, unschuldig, aber auch unnahbar. So grenzt es schon fast an ein Wunder, dass sie sich auf einen Wochenend-Ausflug auf die Ranch eines Mitschülers einlässt, gemeinsam mit zwei anderen Mädels und drei Jungs. Was letztere wollen, obwohl zwei von ihnen in fester Hand sind, ist klar. Der erste Abend bringt "Wahrheit oder Pflicht", viel Alkohol, Joints und ersten Pärchen-Stress. Doch das bleibt nicht das einzige Problem. Denn irgendjemand scheint ganz besonders scharf auf Mandy Lane zu sein - und ist bereit, für sie zu töten.
Viele Hoffnungen und Talente bringt es ja nicht gerade hervor, das Horror-Genre. Jonathan Levine könnte eine Ausnahme sein. Nicht nur, weil sein aktuelles Werk "The Wackness" ("Mandy Lane" hat nun schon zwei Jahre auf dem Buckel, Deutschland-Start war ursprünglich mal für 2007 vorgesehen) in Sundance dieses Jahr einen Publikums-Preis abgeräumt hat, sondern auch, weil Levine ein Mann mit Visionen, mit genauen Vorstellungen von seiner Arbeit zu sein scheint. Einer, der sich lieber an den Ursprüngen des Genres als an den aktuellen Folter-Pornos orientiert. Der erkennt, dass auch im Horror-Genre die Figuren ein paar Konturen brauchen, weil es dem Zuschauer sonst egal ist, wenn sie über die Klinge springen. Aber Levine ist schließlich auch einer, der nicht nur Horror kann und will. So handelt "The Wackness" von einem jungen Drogendealer und ist alles, nur kein Horrorfilm.
Wer an "Wolf Creek" die ausdauernde Figuren-Exposition hasste, wird auch an "Mandy Lane" keine Freude finden. Levine lässt den Worten Taten folgen und dementsprechend viel Zeit lässt er sich auch damit, seine sechs im Fokus stehenden Figuren einzuführen. Tiefen-Psychologie sieht natürlich anders aus, aber genau wie bei "Wolf Creek" ist dieses Näher-Kennenlernen der Charaktere dafür verantwortlich, dass man ihnen bei der anschließenden brutalen Reduzierung durchaus die Daumen drückt.
Gut die Hälfte des Films zieht ins Land bis jene Teile des Publikums, die nicht für die Dialoge bezahlt haben, das bekommen was sie wollen. Und natürlich ist das durchaus hart. Aber es artet beileibe nicht zum voyeuristischen Schlachtfest aus. Gestorben wird relativ zügig, aber nicht allzu explizit. Levine gestaltet die Todes-Szenen unangenehm, lässt aber nicht zu, dass sich das Publikum daran ergötzen kann. Er orientiert sich an jenem Publikum, dessen Ansprüche ein wenig über handelsüblichen Gore hinausgehen. Aber werden diese Ansprüche auch bedient?
Jein. Trotz allem Lob für die Ambitionen von Levine (und des Drehbuch-Debütanten Jacob Forman) bleibt festzuhalten, dass "Mandy Lane" im zweiten Teil doch recht konventionell abläuft. Keine Überraschungen, keine spektakulären neuen Ideen. Hätten die beiden Herren das zweifelsfrei vorhandene Potential hier voll ausgeschöpft, würde "Mandy Lane" am Ende vielleicht in Größenordnungen von "The Descent" spielen, der ja selbst Lob von Seiten erntete, die dem (modernen) Horrorfilm nicht gerade wohlwollend gegenüber stehen.
Langweilig oder ärgerlich wird das Geschehen zum Glück aber nie. Dafür sorgt zum einen Levine selbst, dem die Inszenierung routiniert von der Hand geht, der den Film gleichermaßen klassisch wie modern, in jedem Fall verdammt cool aussehen lässt. Und zum anderen verfügt "Mandy Lane" über eine Handvoll Darsteller, die in diesem Leben vermutlich keine Oscars sammeln werden, aber saubere Arbeit abliefern, die weit über dem Genre-Schnitt liegt. Nichtssagende, große Augen machende Gesichter findet man hier nicht. Den Darstellern steht die Angst zur Abwechslung wirklich mal ins Gesicht geschrieben. Besonders erwähnenswert ist hierbei natürlich Amber "Mandy Lane" Heard, die sich für die Rolle als absolute Idealbesetzung erweist und davon profitiert, dass Levine sie auch gebührend in Szene setzt. Wenn sie in Zeitlupe den Schulflur entlang schreitet oder sich am Wasser, die Sonnenstrahlen im Rücken, von ihren Klamotten entledigt und bei den Jungs für offene Münder sorgt. Was in anderen Filmen für mitleidiges Kopfschütteln ("Diese Klischees...") gesorgt hätte, passt hier einfach ins Konzept. All the Boys Love Mandy Lane - und wir glauben's.
So präsentiert sich uns also ein Film, der visuell überzeugt, dessen Bemühen um etwas tiefer gehende Charakterisierung der Figuren sympathisch ist, der nur leider in Hälfte Zwei etwas zu sehr auf den Pfaden des Konventionellen wandert. Das war's? Nein, glücklicherweise nicht. Denn zwei weitere Aspekte sorgen dafür, dass "Mandy Lane" vielleicht selbst für die interessant wird, die von Slasher-Filmen bislang nicht so angetan waren.
Wie viele Horrorfilme hinterlassen Eindruck durch ihren Soundtrack? Oder etwas verschärft: Bei wie vielen Horrorfilmen könnte man ernsthaft darüber nachdenken, sich den Soundtrack zuzulegen? Nicht so wahnsinnig viele, oder? In diesem Punkt unterscheidet sich "Mandy Lane" grundlegend von dem Großteil der Konkurrenz. Wo die auf billige Schocker auf der Tonspur setzt, gibt's hier, gerade in der ersten Hälfte, ein paar echte Ohrwürmer. Schon der Titelsong eröffnet das Geschehen ungemein stimmungsvoll und verdeutlicht, dass das kein Film von der Stange wird. Auch die weiteren Songs vermitteln stets ein ganz besonderes Gefühl. Etwas von Unbeschwertheit. Aber gleichzeitig wirken sie auf eine gewisse Art und Weise auch wie die Boten des Bösen, da man weiß, was noch kommt.
Es folgt der durchwachsene zweite Teil (mit einer im Übrigen enorm frühen Auflösung, wer denn da herummordet), gekrönt jedoch von einem Ende, dass deutlich anders ist als gemeinhin erwartet und "Mandy Lane" endgültig aus der Teenie-Slasher-Standard-Schublade heraus katapultiert, indem es zunächst einen Twist präsentiert, den man sich bereits denken konnte, nur um noch einen weiteren hinterher zu schieben, der für die kurz zuvor misslungene Überraschung mehr als entschädigt. Dass Levine und Forman diesen eingeschlagenen Weg dann nicht ganz konsequent zu Ende gehen, ist bedauerlich, aber auch nicht wirklich schlimm.
Die angerissene Thematik entspringt auf jeden Fall dem (US-)Zeitgeist und ist sicher auch ein gutes Stück dafür verantwortlich, dass die FSK "Mandy Lane" keine Jugendfreigabe erteilt hat. Denn so übermäßig brutal, gerade im Vergleich zum ebenfalls aktuellen und wirklich nicht zimperlichen "Ruinen", seinerseits mit FSK 16 ausgestattet, ist Levines Debüt-Werk nun wirklich nicht. Das i-Tüpfelchen auf das gelungene Finish ist dann die Entscheidung, das Ende weitestgehend offen zu lassen. Levine schafft Optionen, verweigert aber eindeutige Antworten und lässt somit - und das ist in diesem Genre nun wirklich fast schon ein Novum - Raum für Interpretation und Spekulation. Respekt dafür.
Nach der Feststellung, dass "Mandy Lane" ein empfehlenswertes Horrorfilmchen mit ein wenig verschenktem Potential ist, bleibt eigentlich nur noch eine Frage offen: Was in Gottes Namen denken sich die Verleiher eigentlich dabei, mit "All the Boys love Mandy Lane" und "Ruinen" zwei der interessantesten Genre-Vertreter des Jahres direkt gegeneinander antreten zu lassen? Kann man nur hoffen, dass sich der Großteil des potentiellen Publikums nicht für einen, sondern für beide Filme entscheidet. Verdient hätten sie es.
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