Die Herausforderung war kolossal: Das Leben einer der größten, vielleicht der größten Sport-Ikone des letzten Jahrhunderts zu beleuchten. Aber wenn man es jemandem zugetraut hätte, dann Michael Mann. Der schrieb schließlich in den Achtzigern mit "Miami Vice" nicht nur TV-Geschichte, sondern auch gleichzeitig die Fernsehästhetik um und hatte in den Neunzigern eine kurze aber brillante Reihe von Filmen - vom fulminanten Duell der actor's actors De Niro und Pacino in "Heat" bis zum intelligenten und provokanten "The Insider". Jedoch hat jede Erfolgsreihe einmal ein Ende, und Manns kommt in Form von "Ali", einem konfusen und schrecklich hohlen Film.
Hohl im wahrsten Sinne des Wortes. Vieles fehlt hier: Emotionen, Informationen, ein Ziel, oder auch nur die Idee eines Ziels. Dabei war die Grundidee nicht falsch, der Film konzentriert sich auf die wohl interessanteste Periode des Muhammed Ali, das Jahrzehnt zwischen 1964 und 1974. Der Film beginnt mit Alis erstem Schwergewichtstitelgewinn gegen Sonny Liston, folgt ihm durch seine Freundschaft mit Malcolm X, seinem Beitritt in den Glauben des Black Islam, seine Umbenennung von Cassius Clay in Cassius X und dann Muhammed Ali, seine Weigerung in die Armee eingezogen zu werden ("No Vietcong ever called me Nigger") und den daraus resultierenden Verlust von Titel und Boxlizenz, und endet mit Alis großem Comeback, dem "Rumble in the Jungle" im Herbst 1974 gegen George Foreman.
All das hört sich in geraffter Form hochinteressant an, und da sich Mann über zweieinhalb Stunden Zeit lässt, sollten diese Aspekte theoretisch auch im Film die Chance haben sich zu entfalten. Tun sie aber nicht. Weil, um es kurz zu machen, Mann und sein Drehbuchcoschreiber Eric Roth offensichtlich keine Idee haben, wohin sie mit ihrer Geschichte wollen und sich daher prompt mit Vollgas auf der Straße ins Nirgendwo bewegen. Man hat den ganzen Film über das Gefühl, den kreativen Köpfen hinter diesem Projekt sei Muhammed Ali ein großes Mysterium. Warum aber eine Geschichte erzählen, wenn man keine Ahnung hat, worum sich diese Geschichte eigentlich bewegt oder bewegen sollte? Eben.
Und so werden hier auch nur die bekannten und bereits zu Genüge dokumentierten Ereignisse herunter gespult, ohne dass man einen wirklichen Einblick in das Leben oder die Gedankenwelt des Sportlers oder des Menschen Muhammed Ali bekommt. Richtiggehend störend bis lächerlich werden Manns Versuche, seiner zusammengestückelten Geschichte ihren Platz in der Historie einzugestehen. So wird dann Ali mit Malcolm X gezeigt, aber dessen Charakter - zudem blass gespielt von Mario van Peebles in einer eigentlichen Traumrolle - bleibt ein großes Fragezeichen. Später wird dann Alis Anwalt (Joe Morton, wie immer großer Schauspieler in zu kleiner Rolle) Zeuge des Attentats auf Martin Luther King, eine Szene, die in einem Vakuum zu existieren scheint. Nicht nur, dass hier Realität an allen Ecken gequetscht und gezwängt wird, aber es wird nichts thematisiert. Nach Kings Attentat werden im TV Straßenschlachten gezeigt, aber Ali bleibt stumm und nach einer halben Minute ist der Spuk eh vorbei. Ohne Resonanz. Ohne Existenzberechtigung. Es scheint, als sind diese historischen Szenen nur im Film, weil irgendjemand die Idee hatte, so etwas müsse halt bei einer Biographie in diesem Zeitrahmen auftauchen. Zudem wurschtelt dann auch noch recht unmotiviert ein mysteriöser FBI-Agent (Ted Levine) durch die Gegend, so dass man dann als Krönung noch populären Verschwörungstheorien verfällt. Das Ganze bleibt ein hochgradig spekulativer Flickenteppich ohne rechten Sinn.
Bedauernswerterweise geht Mann denn auch beim Drumherum auf Nummer Sicher, greift immer zum Naheliegenden, zum Offensichtlichen. Weil wir es hier vornehmlich mit Schwarzen zu tun haben, muß natürlich auch die Musik schwarz sein. Das gibt dann zwar einen zugegebenermaßen exzellent kompilierten Abriß von Soul und R&B, angefangen mit Sam Cooke über Aretha Franklin bis hin zur 2001er Sensation Alicia Keys, aber ein wenig simpel ist das schon. Wie auch der Versuch, Realismus durch Digitales Video und Handkamera vorzutäuschen. Ein kurzes Wort zur Fotografie von Emmanuel Lubezki: Diese ist für sich genommen vorzüglich. Der Einstimmungskampf ist hervorragend visualisiert, so packend wurde Boxen zuletzt in Scorseses meisterlichem "Wie ein wilder Stier" gezeigt, und dort auch mehr ästhetisierend denn wie hier elektrisierend. Die Boxszenen sind erstaunlicherweise ohnehin die visuellen und inszenatorischen Glanzlichter, während der Versuch, die Biographie in gedämpften Farben und ergo 'realistischerer' Fotografie einzufangen, schlichtweg deplatziert ist und dem Film eine elegische Trübheit verpasst, die kaum im Sinne des Werkes sein kann.
Den geringsten Vorwurf bei diesem Fast-Debakel kann man da noch den Schauspielern machen. Will Smith geht bis an den Rand seiner limitierten Fähigkeiten und seine physikalische Transformation ist in der Tat aller Ehren wert. Einzig, ihm wird kein Raum gegeben. Alis Momente als Trashtalker ("You are so ugly the sweat will run up back your forehead to avoid your ugly face") und seine Showman-Manierismen werden von Smith gut eingefangen, und auch in den leiseren Momenten könnte er wohl überzeugen - wenn ihm das Drehbuch denn Chancen dazu gelassen hätte. Für den Rest der Truppe - Jamie Foxx als Freund und Assistent, Ron Silver als Coach - trifft das selbe zu. Sie sind überzeugend genug, bleiben aber dank der inszenatorischen Schwächen blass und erinnerungsunwürdig. Die einzig erinnerungswürdigen Momente gelingen in der Freundschaft zwischen Ali und Sportreporter Howard Cosell (ein wiedermal chamäleonhafter Jon Voight, der Mann wird wie Wein im Alter besser und besser), die auch für die wenigen emotionalen Momente in einem emotionsarmen Streifen sorgen.
Mann wäre nicht der Profi der er ist, wenn das Ergebnis - rein handwerklich ohne größere Mängel - denn nicht wenigstens ansehenswert bliebe. Und so kann man sich diesen zu langen, seltsam sinnlos zusammengeschnittenen Film auch ansehen und ihn dafür bedauern, was bei diesem Maß an Talent herausgekommen ist. Ein Film so leer und leblos, da empfiehlt sich eher die exzellente Dokumentation "When We Were Kings" oder ein paar Videos von Alis Originalkämpfen. Eine massive Enttäuschung.
Originaltitel
Ali
Land
Jahr
2001
Laufzeit
157 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
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