Die internationale Filmkritik ist sich schon seit längerer Zeit einig: Rumänien ist das zur Zeit spannendste und interessanteste Filmland auf unserem Globus. Die Werke einer jungen Regiegeneration holen mittlerweile die ganz großen Preise auf den Festivals in Cannes, Venedig oder Berlin. Bestes Beispiel für die "Neue Rumänische Welle" ist Christian Mungius großartiges Drama "4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage", der jetzt auch in Deutschland anläuft.
Zwei junge Studentinnen stehen im Mittelpunkt der Geschichte, die in den 1980er Jahren im Rumänien unter dem Ceausescu-Regime spielt. Eine der beiden Frauen, Gabitsa (Laura Vasiliu), ist schwanger. Was tun mit dem ungewollten Kind? Behalten geht nicht. Eine allein erziehende Mutter, die keinen blassen Schimmer hat wer der Vater ist, wird von der Gesellschaft sofort verstoßen. Dann also abtreiben. Aber wo? Seitdem der Diktator Abtreibung verboten und unter Strafe gestellt hat, um damit einen Bevölkerungswachstum zu erzwingen, ist es nahezu unmöglich eine Schwangerschaft abbrechen zu lassen. Doch Gabitsa und ihre beste Freundin Otila (Anamatia Marinca) finden einen Mann (Vlad Ivanov), der den Eingriff machen will und kann. Doch als er erfährt, dass Gabitsa mittlerweile im vierten Monat ist und nicht wie behauptet im zweiten, verlangt er mehr als nur Geld.
Und selbst das ist nicht der eigentliche Plot, wenn man denn so möchte. Vielmehr ist dies nur ein sporadischer Rahmen, ein Grundgerüst, das Wichtigerem Platz macht. Denn Cristian Mungiu ist kilometerweit davon entfernt, seine Vision einer allzu sehr an den klassischen Mainstream angepassten Dramatik zu unterwerfen. Das zeigt sich auch daran, dass weder Gabitsa, noch der ominöse Engelmacher die eigentlichen Hauptpersonen des Films sind. Nein, vielmehr ist es Otilia, die zwischen Hilfs- und Opferbereitschaft auch noch versucht, an diesem Tag den Geburtstag der Mutter ihres Freundes zu feiern.
Durch ihre Odyssee durch die Stadt lässt der Regisseur mit seinen eiskalten und grauen Bildern die Atmosphäre einer untergründigen, nie seh- aber ständig spürbaren Bedrohung entstehen. Wenn Otilia beispielsweise ein Hotelzimmer mieten möchte, unterläuft sie dabei einer Befragung, die nichts weiteres ist als ein knallhartes Verhör. "Sie sind doch Studentin, warum wollen Sie ein Hotelzimmer? Wieso kommen Sie denn mit einer weiteren Frau?" Und so, ganz nebenbei, entsteht ein düsteres Zeitdokument, das mit aller Schärfe und ohne Gnade mit der politischen Vergangenheit eines Landes abrechnet.
Genau dieses Vorhaben ist der gemeinsame Nenner einer ganzen Reihe von rumänischen Filmen, die international schon längst für Furore gesorgt haben. Dabei beugen sich die Filmemacher - und das ist ihnen wirklich sehr hoch anzurechnen - nicht dem primär vom Profit geprägten Filmmarkt. Es gibt keine Produzenten die dem Ziel des Regisseurs dazwischenfunken könnten. Dadurch entstehen Filme, die nicht nur allein auf die Kraft des Erzählens setzen, sondern auch den Mut besitzen, konventionelle Erzählweisen zu unterlaufen und wieder nach neuen ästhetischen Kinoformen zu suchen. Das macht unterm Strich den Erfolg der neuen rumänischen Welle aus, der sich am diesjährigen Gewinner der Goldenen Palme von Cannes "4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage" wunderbar festmachen lässt.
Mungiu gliedert seinen Film in sehr lange Plansequenzen. Einstellungen ohne Schnitt, in denen die Personen aus dem Bild heraus und dann irgendwann wieder herein treten. Dabei prägt sich besonders gut die Szene am Geburtstagstisch ein: Während die Bekannten und Eltern von Otilias Freund sie nicht akzeptieren und ihre Herkunft aus einer einfachen Familie offen kritisieren, formt sich aus den beiläufigen Gesprächen und den energischen Trinksprüchen ein vielschichtiges Gesellschaftsporträt.
Als der Film in Cannes lief, spaltete er die Kritiker und Besucher in zwei Gruppen. Die einen, die den Film aufgrund seiner Intensität und mutigen Erzählung grandios fanden, und die anderen, die in ihm nichts weiter als einen typischen Vertreter des osteuropäischen "Depressionskinos" sahen. Eines ist klar, man muss sich auf die zum großen Teil sehr radikalen Bilder dieses Films einlassen, dazu gehört auch der einige Minuten andauernde Anblick eines Fötus.
Doch im Gegenzug erhält man einen wunderbar kraftvollen und elektrisierenden Film, der mit einer ausgeklügelten Bildersprache sehr eindringlich vom Kampf gegen ein Regime, vom Kampf für Selbstverwirklichung und schließlich auch vom Kampf für die eigene Freiheit erzählt. Und spätestens dann wird jedwede Diskussion über ein osteuropäisches "Depressionskino" obsolet.
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