Samstag, 13.08.2005 - Die Film-Industrie befindet sich weltweit in einer Einnahmekrise. Konnte der gigantische globale Erfolg der "Herr der Ringe"-Trilogie in den letzten drei Jahren noch mithelfen, die Gesamtbilanz schön zu rechnen, gibt es 2005 keine Ausflüchte mehr: Das Geld wird knapp. Schon vor drei Monaten haben wir in einem Editorial den historischen Einnahme-Rückgang an den US-Kinokassen thematisiert (zum damaligen Artikel geht es >>> hier) - ein Abwärtstrend, der sich seitdem ungebrochen fortsetzte. Lediglich der Rekord an aufeinander folgenden Kinowochen, die im Vorjahresvergleich ein Minus verbuchten, fand nach fast fünf Monaten ein Ende - bezeichnenderweise nicht durch die großen Action-Blockbuster "Episode III" oder "Batman Begins", sondern wegen des unkonventionellen Hit-Duos "Charlie und die Schokoladenfabrik" und "Die Hochzeits-Crasher". Doch seit diesem sehr kurzen Zwischenhoch ist die Aussicht wieder verhangen bis stürmisch - nach "XxX 2" im Frühjahr stürzten jüngst auch die zwei kostspieligen Kracher "Die Insel" und "Stealth" (Deutschland-Start am 15. September) spektakulär ab. Das einstmals so erfolgsverwöhnte Action-Genre, Rückgrat des Sommer-Blockbuster-Kinos, hat dieses Jahr einen akuten Bandscheibenvorfall.
Anstatt jedoch den offensichtlichen Grund für die Misere einzugestehen (dass das zahlende Publikum sich schlichtweg nicht mehr so leicht verschaukeln lässt von der mangelhaften Ware, die ihm vorgesetzt wird), üben sich die Hollywood-Bosse lieber in Fremdbeschuldigungen: Das liege alles nur a) an der Raubkopiererei und b) am von der DVD losgetretenen Heimkino-Trend - die Leute schauen die Filme jetzt halt lieber zuhause. Aber: Der Kampf gegen die Filmpiraterie läuft immer erfolgreicher und der weltweite "Kopiermarkt" stagniert seit letztem Jahr. Und: Die DVD-Verleih-Chefs in den USA haben den Schwarzen Peter bereits zurückgespielt. Seit die Filmgurken des Kino-Frühjahrs auf dem Silberscheiben-Markt erscheinen, sind Verleih- und Verkaufszahlen deutlich rückläufig. Also, wer war's nun?
Zuschauerabzocke bei "Krieg der Welten" |
Der Kuchen wird kleiner, und umso aggressiver kämpfen alle hungrigen Mächte des Filmgeschäfts um die verbleibenden Krümel - teilweise mit unlauteren Mitteln, auch in Deutschland. Die Olympic Filmtheaterbetriebe GmbH, Betreiber mehrerer Multiplexe in hiesigen Großstädten, berechnete in einigen ihrer Kinos (unter anderem in den beiden Hamburger UFA-Palästen) einen Überlängenzuschlag von 50 Cent für Spielbergs "Krieg der Welten". Laut Preisliste ist dieser Zuschlag erst fällig ab einer Filmlänge von über 120 Minuten - die Alien-Invasion war inklusive Abspann aber schon nach 116 Minuten vorbei (was im Übrigen auch in den Programmheften der beiden Hamburger Kinos als offizielle Laufzeit angegeben war). Auf Nachfrage im Anschluss an den per Hand mitgestoppten Kino-Besuch eines Filmszene-Redakteurs verwies das Kassenpersonal auf die bundesweite Geschäftsleitung der Olympic GmbH, welche die zu berechnenden Überlängenzuschläge für alle ihre Kinos in Deutschland festlegen würde - sie könnten da nichts machen. Wie weitere Recherchen ergaben, war auf der Website des Berliner Kosmos-UFA-Palastes (ein weiteres Olympic-Multiplex) die Filmlänge von "Krieg der Welten" sogar mit 140 Minuten angegeben. Ein Zuschlag war auch hier fällig.
Das jüngste Beispiel der härteren Gangart betrifft noch wesentlich mehr Kinozuschauer in Deutschland: Der deutsche Ableger von Buena Vista International, die Verleih-Tochter des Disney-Konzerns, wollte den Kinobetreibern für "Herbie Fully Loaded" und "Sin City" mehr als die übliche Leihmiete abzwingen - über 50 Prozent der Eintrittsgelder sollen nun direkt zurück zum Verleih fließen. Solch ein Dreh an der Mietpreis-Schraube wird nicht zum ersten Mal versucht, doch bisher konnte der geschlossene Protest der größten deutschen Kinoketten noch immer ein Einlenken des Verleihers erzwingen.
Diesmal nicht: Cinemaxx, Cinestar und UCI weigerten sich erneut, die überhöhten Preise mitzumachen - und boykottierten zunächst beide Filme. Resultat: In vielen mittelgroßen deutschen Städten, die nur über ein Multiplex einer dieser drei Ketten verfügen, kann man weder "Herbie" noch "Sin City" gucken - und die anderen Zuschauer unterstützen unwissentlich die aggressive Preispolitik der Buena Vista. Sollte diese Praxis Schule machen, werden die erhöhten Leihmieten letztlich auch zu höheren Eintrittspreisen führen. Am Ende zahlt immer der Zuschauer.
Viele Zuschauer warteten vergeblich auf den Start von "Sin City" |
Die Konsequenzen auf die Zuschauerzahlen sind natürlich frappierend: "Herbie Fully Loaded" hätte auch dank der aufwändigen PR-Kampagne inklusive großer Deutschland-Premiere das Potential zu einer halben Million Zuschauer am Startwochenende gehabt. Stattdessen knackte der tolle Käfer nicht einmal die 200.000-Marke. Im Falle von Robert Rodriguez' "Sin City" - ein Meisterwerk, das wirklich jeden Zuschauer verdient hat - ist der Multiplex-Boykott besonders tragisch: Hier entgeht vielen deutschen Kinofreunden einer der herausragenden Filme 2005. Es wirft kein gutes Licht auf die Führungsspitze der Buena Vista Deutschland, wenn man es aus überzogener Gewinnsucht in Kauf nimmt, einem Großteil des hiesigen Publikums den besten Film vorzuenthalten, den man dieses Jahr auf Lager hat.
Die Gewinnsucht war es allerdings wohl auch, die den Verleih zur Räson brachte: Am Freitag Nachmittag versandte Buena Vista Deutschland eine Pressemitteilung, die sich vordergründig mit dem eindrucksvollen Start von "Sin City" beschäftigte: Trotz Boykotts der Multiplex-Ketten waren 70.000 begeisterte Filmfans schon am Donnerstag in die Kinos gestürmt. Die eigentliche Nachricht folgt erst im zweiten Satz. Zitat: "Das Boxoffice-Ergebnis (…) ist gerade auch deshalb so sensationell, da vier große Kinoketten den Film zunächst boykottiert hatten. Am gestrigen Tage konnte nun kurzfristig eine Einigung erzielt werden, so dass der Erfolgsfilm SIN CITY ab spätestens Samstag in den Häusern dieser Ketten laufen wird." Hat da jemand gemerkt, wie viel Eintrittserlös ihm durch die Lappen geht, wenn er bei so einem Erfolgsfilm hunderttausende von Zuschauern ausschließt? Oder haben die Kinobetreiber die bittere Pille geschluckt, weil sie sich wiederum die in Aussicht stehenden Einnahmen nicht entgehen lassen wollten? Von den Pressesprechern der betroffenen Kinoketten waren am Freitag jedenfalls keine Details über die genaue Einigung mit Buena Vista in Erfahrung zu bringen.
Wer auch immer nun wie stark eingelenkt hat, der Image-Schaden ist ohnehin nicht mehr abzuwenden. Letztlich tut der Verleiher mit dieser unschönen Strategie nichts anderes, als noch mehr verprellte Kinokunden in den Zweitauswertungsmarkt auf DVD zu verscheuchen - oder gleich ins Internet, wo der bequeme illegale Download schon wartet. Manche Probleme sind vielleicht doch hausgemacht.
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