Andrew (Dane DeHaan) ist ein Jugendlicher, für den das Leben alles andere als angenehm ist. In der Schule wird er von Mitschülern schikaniert, zu Hause von seinem Alkoholiker-Vater (Michael Kelly). Seine Mutter ist schwer krank und kann ihm nur die minimalste moralische Unterstützung geben. Der einzige Gleichaltrige, mit dem er überhaupt Kontakt hat, ist sein Cousin Matt (Alex Russell) und dieser kümmert sich auch nur aus Familienverantwortung und Mitleid um seinen gebeutelten Cousin. Trotz oder wegen dieser Situation beschließt Andrew, sein Leben per Videokamera festzuhalten. Seine bemitleidenswerte Existenz ändert sich allerdings rapide, als er nach einer wieder mal desaströs verlaufenen Schulparty von Matt und dem High School-Footballstar Steve (Michael B. Jordan) rekrutiert wird, um ihr Abenteuer mit seiner Kamera zu dokumentieren. Beide haben ein mysteriöses Erdloch gefunden und als alle drei sich aufmachen, dieses zu erkunden, wird sich ihr Leben für immer verändern, denn alle drei beginnen im Anschluss, übernatürliche Fähigkeiten zu entwickeln. Wie es aber bei Spiderman als Leitmotto so schön heißt "Mit großen Fähigkeiten kommt große Verantwortung", und gerade dort beginnt es bald zu hapern, besonders bei dem emotional instabilen Andrew...
Wer hätte vor 13 Jahren gedacht, dass die Nachfolger und Urenkel des „Blair Witch Project“ so lange brauchen würden, um aus der „Found footage“-Idee der Hexenjagd mit Videokamera ein vertitables Minigenre zu machen. Hauptverantwortlich ist da sicherlich der Überraschungserfolg von „Paranormal Activity“, der Hollywood erst so richtig die Augen öffnete, wie man mit diesem Konzept bei minimalem Aufwand maximalen Profit machen kann. Die vorgetäuschte Realität bedeutet, dass man keine bekannten Darsteller braucht. Die Videokamera-Ästhetik bedeutet, dass man bei der technischen Umsetzung finanzielle Abstriche machen kann. Und da das „Blair Witch Project“ eben schon eine Dekade her war, konnte man diese Filme gar noch als innovativ verkaufen.
Dass fast alle Filme dieser Machart im Horrorgenre spielen, ist kein Zufall: Horror ist das einzige Genre, das keine Stars braucht, da das Genre selbst der Star ist. Nach all den Exorzisten und Spukhausgeplagten ist die erste Überraschung von „Chronicle“, dass dieser das „Found footage“-Konzept in einem anderen Genre ausprobiert, dem Superheldengenre. Wobei dort zwei Einschränkungen zu machen sind: "Found footage" ist nicht ganz richtig, denn wie all diese Filmschnipsel aus verschiedenen Quellen – darunter eine verschüttete Kamera in einem Erdloch – zusammengetragen werden sollen ist nicht gerade offensichtlich. Vielmehr liefert „Chronicle“ wie der Name schon sagt eine Chronik der Dinge wie sie passieren, während eine Kamera sie festhält. Und das Konzept des Superhelden muss man weiter fassen als Männer in Spandex, geht es doch hier eher um eine Herkunftsgeschichte von Menschen mit Superkräften. Aber die Synthese, die „Chronicle“ versucht, ist durchaus bemerkenswert und erstaunlich erfolgreich.
Zum Gelingen trägt hier sicherlich bei, dass das Konzept mit den unbekannten Darstellern hier perfekt aufgeht, da diese tatsächlich wie echte Teenager wirken und kein bekanntes Teeniestargesicht von der vorgetäuschten Realität ablenkt. Einzig Michael B. Jordan könnte leidenschaftlichen US-Serien-Fans irgendwie bekannt vorkommen, bevor man dann realisiert, dass Wallace aus „The Wire“ doch ein ganzes Stück erwachsener geworden ist. Dane DeHaan gibt den misshandelten Teenie auf dem Weg zum Psycho recht glaubwürdig und ohne zu sehr zu überziehen und auch die emotionalen Rückschläge, die ihn schließlich komplett ausrasten lassen, sind logisch und nachvollziehbar gesetzt. Alex Russell, der ein wenig wie eine ernstere Version von Ashton Kutcher aussieht, hat als Stimme der Vernunft die am wenigsten dankbare Rolle, die er immerhin solide ausfüllt.
Etwas bemüht ist sicherlich das Konzept des Films, das vorgibt, dass alles, was passiert, mit Videokameras festgehalten wird. Und so ist Andrew zwangsläufig ein Narziss, der all sein Tun mit einer Videokamera festhält und mit Casey (Ashley Hinshaw) wird eine Figur eingeführt, die zwar auch als love interest für Matt fungiert, vor allem aber eine zweite Videokamera ins Spiel bringt, damit man auch die jeweils filmende Figur sehen kann. Andererseits kann man angesichts der Flut von Teenagern, die sich auf Youtube, Twitter und Facebook präsentieren, durchaus konstatieren, dass diesem „sein eigenes Leben ständig dokumentieren“ viel Wahrheit inneliegt, die „Chronicle“ folglich nur etwas überspitzt. Wenn Andrew sich dann dank seiner telekinetischen Fähigkeiten in der zweiten Hälfte des Films mit frei schwebenden Videokameras umgibt, hat man das Problem, die fliegenden Protagonisten glaubwürdig zu filmen, einigermaßen gut umgangen. Und dass man für den Showdown dann auf allerlei Überwachungskameras zurückgreift, um den epischen Endkampf aus verschiedenen Perspektiven zu sehen, ist auch ziemlich clever.
Während das Konzept also trotz global gesehen guter Umsetzung beizeiten an die selbstauferlegten Grenzen stößt, so ist die Umsetzung der Figuren und ihrer Beziehungen zueinander fast ohne Tadel. Besonders die kindliche Begeisterung für ihre neuen Fähigkeiten, etwa die ersten Flugversuche, werden perfekt eingefangen und es macht auch dem Zuschauer Spaß zu sehen, wie ihre Fähigkeiten die drei ungleichen Teenager zusammenführt. Zudem ist es schön zu sehen, dass der populäre Highschool-Footballstar ausnahmsweise mal nicht ein arrogantes Arschloch ist, sondern ein ausgesprochen sympathischer Zeitgenosse, weswegen es schade ist, dass Michael B. Jordan als Steve die kleinste der drei Hauptrollen hat. Auch der Stimmungsumschwung – besonders von Andrew – von dank ihrer Fähigkeiten ausgeführten harmlosen Streichen und Tricks zu düsteren Taten wird passend dargestellt, trotzdem bereitet er den Zuschauer nicht auf die Szene vor, in der Andrew die Drogendealer in seiner Straße konfrontiert und seine neue Brutalität so richtig zum Vorschein kommt.
Das ist also alles ziemlich gut gemacht und auch wenn das Gesehene dann natürlich Echos von anderen Filmen aufweist – von Stephen Kings „Carrie“ bis hin zu den Junioren der „X-Men“ –, so hat man das so zusammengesetzt wie hier noch nicht gesehen. Lob ist also fällig für die zwei Herren hinter den Kulissen, die ebenso unbekannt sind wie die Darsteller. Regisseur Josh Trank hat vor diesem Debütfilm lediglich einige Folgen der TV-Miniserie "The Kill Point" geschrieben und gedreht. Die Story des Films hat er mit Max "Ich bin der Sohn von John" Landis ersonnen, der bisher hauptsächlich Kurzfilme schrieb sowie mit Papa die amüsante Folge "Deer Woman", die Landis Senior für die amerikanische Horror-Kurzfilmserie "Masters of Horror" drehte. Also zwei Talente, die quasi aus dem Nichts kommen. Das erinnert ein wenig an die Story hinter "District 9" (zweite Gemeinsamkeit: "Chronicle" wurde ebenfalls in Südafrika gedreht, macht aber einen sehr glaubwürdigen Job in der Darstellung von Seattle und Umgebung) oder auch hinter "Cloverfield", aber anders als bei den beiden genannten Filmen musste hier nicht mal ein großer Name als Produzent herhalten, weswegen der überraschende Erfolg von "Chronicle" gänzlich einem geschickt geschnittenen Trailer und eben der Qualität des Films selbst zu verdanken ist.
Wenn es denn überhaupt etwas zu bekritteln gibt, dann die fehlende Substanz des Ganzen. Dass der Film trotz extremer Kürze von nur eineinviertel Stunden auch kaum länger sein dürfte, da er sich bereits bei dieser Länge im Mittelteil ein wenig zieht, zeigt: Die Figuren und ihre Geschichte sind nur bedingt dramaturgisch tragfähig, denn letztlich macht die Story kaum mehr her, als das, was wir hier zu sehen bekommen. Dieses Gefühl wird noch verstärkt durch den etwas zu lauten Showdown, der nach dem Motto agiert, dass am Ende ordentlich viel zu Bruch gehen muss, damit das vorwiegend jugendliche Publikum auch das Gefühl hat, es hätte genug gesehen für sein Geld. Da wäre vielleicht ein bisschen weniger mehr gewesen. Allerdings muss man positiv festhalten, dass das Ganze tricktechnisch zumindest sehr gut umgesetzt wurde und die zahlreichen CGI-Effekte sich in die gefälschte Videoästhetik sehr gut einfügen. Wie überhaupt der Film sehr gut fotografiert ist und sein Konzept nicht als Entschuldigung für unterbelichtete oder unscharfe Bilder benutzt.
„Chronicle“ ist mit Sicherheit kein großes Kino und in gewisser Hinsicht so banal, dass man den Film nach dem Kinobesuch relativ bald vergessen haben wird. Sich den Kinobesuch sparen sollte man sich trotzdem nicht unbedingt, denn das, was der Film zu leisten vermag, macht er ziemlich gut und ziemlich interessant. Besser als uninspirierte Comicverfilmungen mit Riesenbudget und Minieinfallsreichtum ist das in jedem Fall. Und als einmaliges Experiment ist „Chronicle“ allemal gelungen. Jetzt darf es dann aber auch langsam mal gut sein mit dem gefundenen Videomaterial.
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