Take Shelter - Ein Sturm zieht auf

Originaltitel
Take Shelter
Land
Jahr
2011
Laufzeit
120 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Margarete Prowe / 21. März 2012

Etwas wird kommen. Etwas, das gar nicht gut ist. Unter dieser Standardmaxime für Weltuntergangsfilme steht der neue Film von Nachwuchshoffnung Jeff Nichols, der schon in seinem ersten Film „Shotgun Stories“ (2007) sein großes Talent gezeigt hatte, den einige amerikanische Filmkritiker wie Roger Ebert auf Anhieb zu den besten Filmen seines Jahres gezählt hatten. Als apokalyptischer Thriller allein wäre „Take Shelter“ wenig spannend, zu langatmig und würde niemanden begeistern. Doch zeigt Nichols hier anhand einer gefühlten Bedrohung im Kopf des Protagonisten mit Visionen prophetischer, vielleicht aber auch einfach schizophrener Art brillant den derzeitigen Zustand der amerikanischen Nation: Der archetypische amerikanische Familienvater, eigentlich gütig und verlässlich und doch innerhalb kürzester Zeit vor dem Ausbruch stehend vor Unfähigkeit, seine Familie zu verteidigen, wird hier großartig verkörpert von Michael Shannon („Zeiten des Aufruhrs“, „Boardwalk Empire“), dessen Gesichtszüge wie in Stein gemeißelt mühsam erzwungene Ruhe zeigen.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird der Mann des Hauses das Gefühl nie los, dass seinen Liebsten jederzeit gefühltes Unheil droht, dass der Job, das Haus oder die Krankenversicherung verloren gehen werden, dass Wetterkatastrophen oder Terroranschläge eintreten können. Vor all diesen schrecklichen Möglichkeiten muss die Familie eigentlich geschützt werden. Doch wie schützt man Frau und Kind vor einer Bedrohung, die niemand außer man selbst kommen sieht?

Curtis (Michael Shannon) hat eigentlich alles. Er ist nicht arm, nicht reich, aber gesegnet mit einem guten und ehrlichen Job, einer hübschen, liebevollen Frau (Jessica Chastain, „Tree of Life“, „The Help“) und einer Tochter, die ihr Gehör verloren hat, aber die - finanziert über die väterliche gute Krankenversicherung - bald ein Implantat bekommen wird, mit dem sie wieder hören kann. Doch dann beginnt Curtis in seinen Träumen, aber auch tagsüber, einen schrecklichen Sturm zu sehen, in dem sich die Wolken über Ohio zusammenziehen und es dicken, schwarzen Regen wie Öl regnet. Niemand anders sieht diese Vorzeichen und bald beginnt sich Curtis zu fragen, ob die Visionen von Unwettern, angreifenden Hunden, Vögeln oder Menschen den Beginn einer Schizophrenie darstellen, mit der seine Mutter genau in seinem Alter diagnostiziert wurde, oder ob er die Zukunft sehen kann und sich ein apokalyptischer Sturm nähert. Curtis geht zum Arzt und sucht psychologische Hilfe, doch gleichzeitig beginnt er hinter dem Haus einen riesigen Bunker zu bauen, mit dem er seine Familie schützen will.

Michael Shannon ist ein hervorragender Schauspieler, dessen zusammengezogene Augenbrauen und kantige Züge ihn für Rollen mühsam beherrschter Männer im Angesicht von Wut und Ohnmacht prädestinieren. Er wurde für „Zeiten des Aufruhrs“ Oscar-nominiert und zeigt derzeit in der amerikanischen TV-Serie „Boardwalk Empire“ als Agent Nelson van Alden eine ähnlich unterdrückte Wut und Anspannung wie hier. Doch im Unterschied zu Jack Nicholson in „The Shining“ fürchtet und hasst man den Familienvater in „Take Shelter“ nicht instinktiv, sondern sieht einen Mann, der gütig und liebevoll zu seiner Familie ist, der alles verzweifelt zusammenzuhalten versucht und dem man trotz seines Verhaltens jederzeit wünscht, dass sich alles bald zum Besseren wenden möge. Er ist doch ein guter Mann, warum geschieht es also ausgerechnet ihm, dass er Visionen hat, die alle um ihn herum von ihm entfremden? 

Shannon und Jessica Chastain schaffen es, das von Nichols liebevoll um diese Kernfamilie herum geschriebene Drehbuch über das verzweifelte Bemühen zweier Menschen um ihre Ehe in den sprichwörtlichen „schlechten Zeiten“ auch schauspielerisch überzeugend umzusetzen. Es ist berührend, wie die beiden zum Beispiel über die Gehörlosigkeit ihrer Tochter sprechen oder wie Curtis' Ehefrau versucht, ihrem Mann beizustehen, auch als sie sein Verhalten nicht mehr gutheißen und nachvollziehen kann. Diese Szenen einer Ehe sind tief berührend und lassen den Unterschied zwischen Curtis‘ Wahrnehmung und der Realität aller anderen noch stärker zutage treten. 

Die Wahl des Handlungsortes Ohio, wo Stürme über weites Land fegen können und man inmitten endloser weiter Ebenen sein kleines Haus in der Prärie stehen hat, ist hervorragend, wie auch die Detailnähe, dass Curtis’ Ausgaben und Schulden immer als exakte Dollarbeträge genannt werden, um die Umgebung um den Protagonisten herum möglichst fest in der Realität zu verankern, damit die eingebauten CGI-Effekte auch für den Zuschauer in einer glaubwürdigen Umgebung als plötzliches surreales Element eintreten. Einzig etwas Straffung hätte dem Film gut getan, denn die Szenen entwickeln sich manchmal in einem wahren Schneckentempo, eine Kürzung um 15-20 Minuten hätte den Zuschauer weniger ermüdet und doch den gleichen Effekt wie diese Fassung haben können.

Trotz kleiner filmischer Längen im Werk gewann Nichols 2011 verdient für diese Variation der echten, gefühlten oder sogar komplett eingebildeten Bedrohung der amerikanischen Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts den „Preis der Hamburger Filmkritik“ auf dem Filmfest Hamburg, der an Filme geht, die sich durch einen originellen Blick auf die Gegenwart auszeichnen. Davor hatte er für „Take Shelter“ schon in Cannes den „Critics Week Grand Prize“ und den SACD-Preis für das beste Drehbuch verliehen bekommen für seine erst zweite Regiearbeit. Man darf somit in den folgenden Jahren noch weitaus Größeres von Jeff Nichols erwarten.

 
Bilder: Copyright

3
3/10

Seit Jahren bin ich ein treuer Leser von filmszene.de, und verdanke ihren Rezensionen so manches schöne Kinoerlebnis. Da musste es wohl auch mal zu einem Griff ins Klo kommen - aber dass der so tief ausfallen würde wie der Tauchgang zu Beginn von "Trainspotting", darauf war ich dann doch nicht vorbereitet. Fakt ist: Als ich die Vorstellung von "Take Shelter" irgendwann im zweiten Drittel verlassen habe, habe ich ernsthaft erwogen mich zu besaufen und anschließend zu übergeben, um auf diese Weise möglichst schnell wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Ich respektiere die Filmszene-Rezension und den "Preis der Hamburger Filmkritik". Für mich ist "Take Shelter" ein ganz unglaublicher Scheißfilm.

Zu den CGI-Effekten: Ich habe den Streifen in einem Kino mit ca. 390 Plätzen gesehen. Das weiß ich, weil auf der Anzeigetafel an der Kasse etwas von "380 Plätze frei" stand und außer mir ganze neun weitere Personen im Kino waren. Die Leinwand war groß, richtig groß, und trotzdem hat der Film keinerlei optischen Eindruck hinterlassen. Da schneidet selbst die "Stardust"-DVD auf meinem heimischen 17-Zoll-Monitor deutlich besser ab. Von "Inglourious Basterds" in einem nur halb so großen Kino ganz zu schweigen.

Zur Glaubwürdigkeit der Handlung (Vorsicht SPOILER): Ich habe das Kino verlassen, als der Typ,
- dessen eigene Mutter seit Jahrzehnten wegen geistiger Probleme im betreutem Wohnen ist
- dessen Hausarzt ihm die Adresse des besten ihm bekannten Psychiaters gegeben hat
- der selbst erkennt, dass er nach Einnahme von Beruhigungsmitteln auch im realen Leben Horror-Halus kriegt (die er vorher noch nicht hatte) und in der Folge besagte Mittelchen weder absetzt und noch seinen Arzt befragt, sondern stattdessen die Dosierung erhöht
- der selbst erkennt, dass er möglicherweise ein mentales Problem hat und sich daher mit Büchern mit Titeln wie "Understanding Mental Illness" eindeckt und der als Folge dieser Lektüre offensichtlich glaubt, dass er unter einer kurzfristigen und vorübergehenden geistigen Verwirrung leidet
keineswegs den Entschluss fällt, die nachfolgend aufgezählten Aktionen auf die Zeit nach seiner Genesung zu verschieben oder gar einen Zusammenhang zwischen seinem Zustand und seinem Verhalten herzustellen, sondern stattdessen unverzüglich und ohne Rücksprache mit irgendwem
- seinen Hund in einem Mini-Zwinger einpfercht, weil er von ihm in einer Halu gebissen wurde
- säckeweise Geld für das Horten von Lebensmittelkonserven ausgibt
- einen Metallcontainer kauft und neben einem schon vorhandenen Schutzraum mit einem Bagger in seinem Garten versenkt
- für das alles einen Kredit aufnimmt, vor dem ihm sogar sein Kreditvermittler warnt
und anschließend
- während einer nächtlichen Halu eine solche Atemnot bekommt und dermaßen aus dem Mund blutet, dass seine Frau die Ambulanz ruft
- und offenbar nicht bemerkt, dass er kurz zuvor die seine Horrortrips verstärkenden Mittel in dreifacher Dosierung genommen hat
um gleich darauf in einen Laden zu gehen, um Gasmasken einzukaufen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits mit seinem Arzt und einer Lebensberaterin gesprochen und nach der Container-Nummer gezwungenermaßen auch seine Frau über seinen Zustand informiert. Trotzdem hat keine der genannten Personen auch nur ansatzweise versucht, auf irgendeine Weise auf ihn einzuwirken. Der Arzt hat ihm die Anschrift eines Psychiaters gegeben, aber keinerlei Hinweise zu seinem Zustand oder Verhaltensratschläge. Die Lebensberaterin taucht auf und verschwindet wieder, und wir erfahren über sie nichts weiter, als dass sie zuhören will. Und die Frau kriegt mit, dass ihr Mann Schulden macht um einen Metallcontainer im Garten zu versenken, und ihre Reaktion besteht darin den besorgten Nachbarn zu erzählen dass alles in Ordnung sei. Sie macht nicht den geringsten Versuch ihren Mann zu bitten, kein weiteres Geld für seine Halus auszugeben. Und das, obwohl die Familie ganz offensichtlich so gut wie keine Ersparnisse hat. Na klasse.

Das Verhalten des Mannes kann man durch seine mentalen Probleme erklären. Das Verhalten seiner Umwelt nicht. Seine Frau schläft mit ihm in einem Doppelbett ohne mitzukriegen, dass ihr Mann unter Albträumen leidet. Als er im Schlaf das Bett vollpinkelt, riecht sie das nicht, als sie morgens aufsteht und später sogar noch einmal ins Zimmer kommt, nachdem er die Decke aufgedeckt hatte. Und nachdem er die Bettwäsche gewaschen hat, hockt sie sich abends breit auf die zuvor bepinkelte Matratze. Da hat wohl das Bettlaken den ganzen Urin aufgesogen. Chapeau für derart saugkräftige Bettwäsche.

Sie kriegt nicht mit, dass ihr man ganz offensichtlich Probleme hat und nicht mit ihr darüber redet. Und obwohl sie von der Geisteskrankheit seiner Mutter weiß und den hinter ihrem Rücken aufgenommenen Kredit für das Versenken des Metallcontainers ganz offensichtlich seltsam findet, scheint sie keine Sorge zu haben, dass er eventuell noch weitere solche Sachen machen könnte. Kein Wort von "ab jetzt sprich mit mir; lass uns das zusammen durchstehen" oder "bitte sag mir ab jetzt vorher, wenn du etwas kaufen möchtest". Sie heult ein bisschen und erzählt anschließend ihrer Nachbarin, dass alles in Ordnung sei. Da kann ich gut verstehen, dass es ihrem Mann schwer fällt zwischen seiner realen Umgebung und den Zombie-Wesen aus seinen Halus zu unterscheiden. Mir als Zuschauer bringt es die Figuren leider keinen Funken näher. Ganz im Gegenteil: Ich habe nicht die geringste Lust, mir einen solchen Mist anzusehen.

Immerhin ist es mir gelungen, durchs Schreiben dieses Kommentars ein sinnloses Besäufnis zu vermeiden. Es hat mir besser getan, mich stattdessen hier auszukotzen. Vielen herzlichen Dank fürs Lesen dieser Zeilen.

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8
8/10

Etwas kürzere und konträr ausfallende Anmerkung meinerseits zu TAKE SHELTER. Hatte den Film bereits beim „Hamburger Filmfest“ gesehen und kann definitiv goutieren, daß er den „Preis der Hamburger Filmkritik“ bekommen hat. Beeindruckender Film, der meines Erachtens auch nicht wirklich Längen hat, sondern über den gesamten Zeitraum fesselt. Michael Shannon spielt hervorragend (und mußte im Gegensatz zu dem extrem wortkargen SHOTGUN STORIES zumindest mal ein bißchen Text lernen). Auch der Rest des Casts kann voll überzeugen. Man wird hinein gezogen in die Paranoia des Protagonisten. Die Grenzen zwischen objektiver und subjektiver Realität verschwimmen für den Zuschauer. Für mich hat dieser Film annährend den gleichen Sog erzeugt, wie schon BLACK SWAN. Meines Erachtens ein Kinoerlebnis erster Güte.

(Und daß gute Filme nicht unbedingt in vollen Häusern spielen ist ein altbekanntes Phänomen. Man kennt das ja mit der Scheiße und den Fliegen)

So, mal sehen, ob ich die Spamschutz Rechenaufgabe gelöst bekomme …

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8
8/10

Nachtrag: Beim Hamburger Filmfest lief TAKE SHELTER als OmU. Mag sein, daß die deutsche Synchronisation die Eindrücklichkeit des Films um Einiges abdämpft.

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2
2/10

Ein unfassbar schnarchiger Film mit einem unfassbar unsymphatischen Hauptdarsteller, der aufgrund seiner unfassbar an den Haaren herbeigezogenen Neurosen unfassbar wenig als Identifikationsfigur fungieren kann. Fazit: Unfassbar dämlich und unfassbar ärgerlich, eine Zumutung für den armen Kinobesucher :(( !

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6
6/10

SPOILER! Gute Schauspieler, tolle Atmosphäre. Leider wahnsinnig zäh und für unwissende Zuschauer recht unverständlich hinsichtlich der Krankheit. Das Ende lässt den Film dann leider als billige Shyamalan-Abklatsch erscheinen, was schade ist.

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Selten, oder besser gesagt, noch nie einen so langweiligen Film gesehen. Auf der Liste der schlechtesten Filme steht "Take Shelter" ganz weit oben!

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