Hinweis: Dieser Text bezieht sich auf die 2003 auf DVD erschienene Restaurationsfassung des Films, die 118 Minuten lief. Dank des sensationellen Fundes einer fast vollständig erhaltenen Original-Kopie von "Metropolis" in einem Filmarchiv in Buenos Aires konnte diese Version einige Jahre später doch noch um die letzten noch fehlenden Szenen ergänzt werden. Die nun bis auf wenige Sekunden wieder vollständig hergestellte Ur-Fassung läuft 146 Minuten und wurde ab dem 12. Mai 2011 im Kino wiederaufgeführt. Auf DVD erschien die Fassung am 28. Oktober 2011.
Fritz Langs "Metropolis" gehört unbestritten zu den wichtigsten Werken der Filmgeschichte. Sein Einfluss auf Komposition, Bildsprache und vor allem Spezialeffekte kann kaum hoch genug angesetzt werden. Gerade im SciFi-Genre ist es so gut wie unmöglich, ein urbanes Zukunftsszenario gigantischer Wolkenkratzer zu entwerfen, ohne dabei "Metropolis" zu zitieren: Ob nun "Das fünfte Element", "Star Wars: Episode 2" oder "Blade Runner", alle gehen sie auf Fritz Langs Monumentalepos zurück.
Es gehört zu den traurigen Ironien der Filmgeschichte, dass "Metropolis" trotz seiner massiven Bedeutung zwischen seiner Erstaufführung 1927 und seiner beispielhaften Restaurierung, die im Jahr 2002 beendet wurde, überhaupt nicht in der ursprünglich beabsichtigten Form zu sehen war. Denn die Geschichte von "Metropolis" selbst ist lang und leidensreich: Als Fritz Lang den Film Mitte der Zwanziger Jahre anging, versprach es von vornherein das ambitionierteste und teuerste Projekt in der Geschichte der UFA-Filmstudios zu werden. Doch das angeschlagene Budget von 1,5 Millionen Mark vervierfachte sich schließlich auf gut sechs Millionen, was inflationsbereinigt ungefähr mit dem finanziellen Aufwand von "Pearl Harbour" zu vergleichen ist. Eine Mega-Investition, die dem Studio schließlich fast das Genick brach: Nach seiner Premiere vom Publikum nicht angenommen, wurde der Film zurückgezogen und geradezu panisch neu geschnitten, angelehnt an die massentauglichere Version für den amerikanischen Markt. Das Resultat: Mehrere zentrale Motive der Handlung wurden komplett entfernt oder umgedichtet. Kreiert der genial-verrückte Wissenschaftler Rotwang seinen Maschinenmenschen in der ursprünglichen Fassung noch als Abbild seiner Geliebten, die er an den Unternehmer Fredersen verloren hatte und die schließlich bei der Geburt dessen Sohnes starb, verschwindet dieser essentielle Storyhintergrund im Neuschnitt komplett. Hier ist Rotwang nur noch ein irrer Bastler nach Frankenstein-Manier, der den Maschinenmenschen in Fredersens Auftrag kreiert, um die menschlichen Arbeitskräfte durch Maschinen zu ersetzen - eine gänzlich andere, zudem unlogische und dumme Geschichte entstand. Doch genau so kam "Metropolis" zurück in die Kinos und in die Filmgeschichte. Gut ein Fünftel des Originalfilms, das beim Neuschnitt entfernt worden war, wurde vernichtet und ist unwiederbringlich verloren.
Nach Jahrzehnten verschiedener, wild zusammengeschnipselter Schnittfassungen und anderen Vergewaltigungen (in den 80ern entstand unter Einfluss des Pop-Produzenten Giorgio Moroder sogar eine nachkolorierte Version mit grausamem Synthesizer-Soundtrack) machte sich der Filmhistoriker Enno Patalas schließlich an die mühsame Rekonstruktionsarbeit: Filmarchive auf der ganzen Welt wurden nach verbliebenen Negativresten durchforstet, die Original-Partitur der ursprünglich für den Film komponierten Begleitmusik ausgegraben, und mit Hilfe zahlreicher Artefakte gelang schließlich eine schrittweise Wiederherstellung der ursprünglich von Fritz Lang entworfenen Erzählung. In Kleinstarbeit wurden dann die teilweise im übelsten Zustand befindlichen Originalnegative zu einer neuen, digitalisierten Fassung restauriert, die völlig zurecht den Anspruch erheben darf, die originalgetreuste "Metropolis"-Version zu sein, die jemals verfügbar sein wird. Den Film in einer anderen Fassung als dieser zu schauen, ist im Prinzip sinnlos.
Diese beispielhafte Restaurationsfassung, für die auch die Originalmusik neu eingespielt wurde und die daher so nah wie nur möglich an die ursprüngliche Premierenfassung des Films herankommt, ist in der Tat ein Kulturprodukt von außergewöhnlichem Wert. Nicht ohne Grund wurde sie nach ihrer Fertigstellung von der UNESCO ins Weltdokumentenerbe aufgenommen - als erster Film überhaupt. Die im Mai 2003 veröffentlichte DVD-Version - mit hochinteressantem Audiokommentar von Enno Patalas und einer ausführlichen Hintergrunddokumentation zur Geschichte des Films - ist dementsprechend auch ein Schatz, der in keiner Sammlung mit Anspruch fehlen darf. Brillant restauriert und mit der eindrucksvoll orchestrierten Originalmusik versehen ist diese endgültige "Metropolis"-Version ein Filmerlebnis, das seinesgleichen sucht.
Dass "Metropolis" auch fast 80 Jahre nach seiner Entstehung noch derart faszinieren kann, spricht für die zeitlose Größe von Langs Vision, ist aber sicherlich auch Ergebnis des symbolischen Charakters, der sich durch den gesamten Film zieht: Die Geschichte von der gigantischen Zukunftsmetropole, in der eine privilegierte Oberschicht ein sorgloses Leben voller Lust und Vergnügen führt, während die Stadt durch einen unterirdisch schuftenden Mob von versklavten Arbeitern am Laufen gehalten wird, begibt sich fast zu keinem Zeitpunkt auf die Ebene einer persönlichen Erzählung hinab. Selbst die Hauptakteure - der "Herrscher" von Metropolis Joh Fredersen, sein Sohn Freder, der sich aus Liebe zu der engelsgleichen Arbeiterpredigerin Maria vom dummen Tor zum Mittler zwischen den sozialen Schichten wandelt, und der Wissenschaftler Rotwang, der einen Roboter mit dem Antlitz Marias entwirft - sie alle sind mehr Archetypen als Charaktere, vor Symbolik und Bedeutung fast platzend, wie beinahe alles in Langs Film. "Metropolis" ist geprägt von archaischen Gegensätzen, allegorischen Motiven noch und nöcher und verquickt zudem Details aus Mittelalter, Gegenwart und visionärer Zukunft, dass das Gesamtergebnis nur mehr als industrielles Märchen verstanden werden kann. Alles und jeder ist hier hochgradig bedeutungsschwanger, typisch für die Stummfilme dieser Zeit: Nicht nur, dass durch das Ausbleiben der Sprachebene von den Gesichtszügen der Schauspieler über die Kameraeinstellungen und szenischen Details bis hin zu der speziell komponierten Begleitmusik alles wesentlich mehr Information und Dramatik an den Zuschauer vermitteln musste. Als letzter großer Vertreter des deutschen Expressionismus (dem wichtigsten künstlerischen Beitrag des deutschen Films zur historischen Entwicklung des Mediums, beispielhaft vor allem in Murnaus "Nosferatu" und Wienes "Das Kabinett des Dr. Caligari") trägt auch "Metropolis" noch deutlich sichtbare Züge des in dieser Epoche zelebrierten fantastischen, unwirklichen Designs, das auch für die Protagonisten häufig die Grenze zwischen Realität und (Wahn-)Vorstellung zerfließen lässt.
In all seinen Details von Anfang bis Ende grandios durchkomponiert, wird "Metropolis" so zu einem an Intensität und Dichte kaum zu überbietenden Filmerlebnis. Tatsächlich verbindet Lang hier so viele verschiedene Motive, Ideen und Konzepte (vom biblischen Turmbau zu Babel über die gegenseitige Abhängigkeit von Mensch und Maschine bis hin zum Ödipus-Komplex), dass ihre Aufarbeitung fast ein ganzes Buch benötigen würde. Oder zumindest den Genuss von Enno Patalas' Erläuterungen auf der DVD, die sowohl enorm wertvolle Einblicke in die Vielschichtigkeit des Films gewähren als auch Informationen über die verschollenen Sequenzen enthalten, die in dieser Fassung durch erklärende Zwischentitel ersetzt wurden, so dass zumindest die Kernhandlung wiedergegeben wird (hervorragend ist die Möglichkeit, den Audio-Kommentar von Patalas als Untertitel einzublenden, so dass man Film, Originalmusik und Begleiterklärungen gleichzeitig genießen kann).
Während über Jahrzehnte zwar die enorme Bedeutung von "Metropolis" für das Science-Fiction-Genre vor allem in ästhetischer Hinsicht anerkannt wurde, der Film sich aber immer wieder Kritik an seiner Erzählung gefallen lassen musste, ist dieser Irrtum nun endgültig aus der Filmgeschichte geräumt. Während andere monumentale Meilensteine der Stummfilmära wegen unverantwortlicher Um- und Neuschnitte größtenteils auf ewig verschollen und verstümmelt bleiben werden (das tragischste Beispiel: Erich von Stroheims Epos "Gier", von dessen ursprünglich neun Stunden Laufzeit nur weniger als die Hälfte für die Restauration wieder gefunden wurde), ist zumindest "Metropolis" so gut wie nur irgend möglich für die Nachwelt gerettet worden, und kann nun auch endlich in seinem gesamten beabsichtigten Spektrum wertgeschätzt werden. Wahrlich ein Stück Filmgeschichte, das man nicht missen möchte.
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