Sergio Leone ist wohl vornehmlich für seine Western bzw. Italo-Western oder auch Spaghetti-Western (wie sie abwertend bezeichnet werden) bekannt. Das ist nicht verwunderlich, besteht doch über die Hälfte seines wenn auch kleinen Oeuvres aus Filmen, die in diesem Genre beheimatet sind, darunter solch unbestrittene Klassiker ihrer Gattung wie "Für eine Hand voll Dollar", "The Good, the Bad and the Ugly" und natürlich auch "Spiel mir das Lied vom Tod". Doch sein letzter Film "Es war einmal in Amerika" (1984), vollendet kurz bevor Leone wenige Zeit später an einer Herz-Attacke starb, war kein solcher Western, sondern ein Gangster-Film - ebenso seit den 1930er Jahren eines der uramerikanischsten Genres und quasi des Westerns kleiner Bruder. Vom (Anti-)Helden des Italo-Westerns zum Gangster ist es nur ein kleiner Schritt: Beide sind Außenseiter der Gesellschaft, die auch nicht vor Gewaltanwendung zurückschrecken, um ihre Ziele zu erreichen. Und so sagt schon der Grundtenor von "Once upon a time in America" (Originaltitel von "Spiel mir das Lied …": "Once upon a time in the West"), dass sich in Amerika zwischen dem Wilden Westen und der Prohibition gar nicht so viel getan hat. Der Film ist eine Adaption, basierend auf dem Roman "The Hoods" von Harry Grey. Was diese Geschichte in Leones Augen so attraktiv für ihn machte, war die Art, wie ihre Szenen in so augenscheinlicher Weise von den frühen großen Gangster-Filmen inspiriert und gezeichnet waren. So braucht das fast vierstündige Gangster-Epos des italienischen Regisseurs den Vergleich mit anderen Größen seines Genrefachs wie zum Beispiel "Der Pate" oder "Goodfellas" nicht zu scheuen. Sein Status als Meisterwerk der Filmgeschichte musste er sich allerdings wesentlich härter erarbeiten, als diese beiden ähnlich herausragenden Gattungskollegen. Der Film umspannt das Leben von fünf Freunden, die zu Anfang des 20. Jahrhunderts in New York groß werden, und zeichnet sowohl ihren Aufstieg als auch Fall in der Welt des organisierten Verbrechens nach. Früh lernen Max, das Banden-Oberhaupt, Noodles, Dominic, Cockeye und Patsy, sich im jüdischen Ghetto der Lower East Side zurechtzufinden. Ihre Karriere als Kriminelle nimmt schon früh ihren Anfang. So scheuen sie sich nicht, einem Betrunkenen seine Uhr zu stehlen oder auch als Auftragsarbeit einen Zeitungsladen anzuzünden. Nachdem sie den für ihr Viertel verantwortlichen korrupten Polizisten beim Geschlechtsakt mit einer Prostituierten fotografieren, erpressen sie ihn, bei ihren zukünftigen illegalen Geschäften ein Auge zuzudrücken. Sie sind erfolgreich und verdienen viel Geld, dass sie in einem Koffer in einem Bahnhofs-Schließfach aufbewahren. Den Schlüssel dazu hinterlegen sie bei Fat Moe, einem Freund von ihnen, dessen Vater ein jüdisches Restaurant besitzt. Fernab jeglicher Erzähl-Konventionen besticht "Es war einmal..." durch seine verschachtelte Erzähltechnik, die zwischen den Zeitebenen von 1968 (als der gealterte Noodles an die Orte seines Gangsterlebens zurückkehrt), 1922 und 1932/33 hin und herwechselt. Dieser Umstand allein fordert ein mindestens zweimaliges Sehen des Films, um ihn in seiner ganzen Komplexität mehr als nur oberflächlich zu erfassen. Der Film nimmt sich viel Zeit für seine Figuren. Vieles, was die Geschichte in ihrer Entwicklung nicht unbedingt weiterbringt, hätte sicherlich weg geschnitten werden und der Film damit kürzer ausfallen können. Doch es ist eben gerade diese Charaktertiefe, diese Komplexität und diese Erzählweise, die den Film und überhaupt Sergio Leones Gesamtwerk besonders machen. Leone hatte insgesamt gedrehtes Material für 10 Stunden, sein erster Rohschnitt war ganze 5 Stunden lang. Wie man es von Leone kennt, wird die Erzählung phasenweise immer wieder durch lange, sehr stille Szenen unterbrochen. Insgesamt sind die Dialoge so karg, dass in 229 Minuten scheinbar weniger gesprochen wird als in einem gängigen 100-Minüter. Wieder einmal zeigt sich hier Leones große Filmkunst, denn er versteht das visuelle Medium in seiner eigentlichen Tradition als eine Erzählform in Bildern, nicht in Wörtern. Das siebenköpfige Autorenteam, das Leone für dieses Drehbuch um sich scharrte, vollbrachte mit "Es war einmal in Amerika" einer der vielleicht größten erzählerischen Leistungen der Kinogeschichte - gerade dadurch, dass sie auf unadäquate Dialoge verzichteten und lieber kongeniale Szenen erdachten, die mehr aussprechen, als Worte jemals sagen könnten. Tragisch ist vor allem die Beziehung von Noodles zu seiner Jugendfreundin Deborah, die später zu einem gefeierten Hollywood-Star aufsteigt. Beide lieben sich eigentlich, doch Deborah bleibt distanziert: Sie weiß, dass sie mit dem Gangster Noodles keine Zukunft haben kann. Unglaublich rührend und schön anzusehen sind bereits die gemeinsamen Szenen des jungen Noodles und der jungen Deborah (letztere übrigens grandios gespielt von einer noch jungen Jennifer Connelly). Überhaupt ist die ganze Besetzung überzeugend in ihrem Spiel. Und besonders die jungen Pendants von Max, Noodles und Deborah sind ihren erwachsenen verblüffend ähnlich, wodurch der Film beträchtlich an Authentizität gewinnt. Einen beachtlichen Teil seiner Faszination bezieht "Es war einmal in Amerika" auch aus seiner offenen Interpretierbarkeit, denn ob man es hier nun mit Realität oder Illusion zu tun hat, bleibt offen. Für viele stellt zumindest der chronologisch letzte Teil des Films Noodles' Drogen-geschwängerten Traum dar, der mit dem regelrecht zur Qual werdenden, permanenten Klingeln eines Telefons in der Opium-Höhle einsetzt; andere sehen den gesamten Film als Märchen, wie der Titel schon suggeriert - denn einige Wendungen im Film sind einfach zu unwahrscheinlich bzw. unrealistisch, als das sie so geschehen sein könnten. Diskussionswürdig ist im besonderen Maße eine der letzten Szenen am Ende des Films, mit Max und einem vorbeifahrenden Müllwagen - mehr wird an dieser Stelle dazu nicht verraten. Eine besondere filmhistorische Anekdote: Ein paar Jahre zuvor war Sergio Leone von den Paramount-Studios angeboten worden, die Regie von "Der Pate" zu übernehmen. Der Italiener lehnte jedoch ab, da er nicht mit seiner eigenen nativen Mythologie konfrontiert werden wollte, nämlich die der sizilianischen Mafia. So ist es bezeichnend, dass die Gangster in "Es war einmal..." spezifisch jüdischer Konfession sind. Das untrügliche Gefühl, gerade einen Sergio-Leone-Film gesehen zu haben, wird einem auch hier widerfahren, sind es doch seine stilistischen Kunstgriffe und die höchst eigenwillige Bildsprache und Erzählweise, die ihn in besonderer Weise von den anderen Großmeistern seines Faches abheben. Seine schon oben beschriebene Montage, die unverwechselbare Musik Morricones, das Sound-Design (voll von Geräuschen, denen aufgrund ihrer Lautstärke eine hohe Relevanz in der Handlung zukommt, indem sie zur Spannungssteigerung eingesetzt werden), die Signifikanz einzelner Gegenstände für die Erzählung (hier: der Schließfach-Schlüssel oder auch Patsys Panflöte) und die Simplizität, in der die Gewalt gezeigt wird, wie sie ist, hässlich und schmerzhaft - mit diesen bewährten Mitteln lieferte der Begründer des Italo-Westerns mit seinen zum Markenzeichen avancierten, extremen Nahaufnahmen auch mit seinem letzten Film ein opulentes Meisterwerk ab. |
Originaltitel
Once upon a time in America
Land
Jahr
1984
Laufzeit
229 min
Regie
Bewertung
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