The Fall

Originaltitel
The Fall
Jahr
2006
Laufzeit
117 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Matthias Kastl / 2. Juni 2010

Im Jahr 2000 kam ein Film in die Kinos, der den meisten seiner Zuschauer noch sehr lange im Gedächtnis haften bleiben sollte. Der Werbefilm- und Videoregisseur Tarsem Singh lieferte mit "The Cell" einen visuellen Leckerbissen ab, dessen skurrile Traumwelten die einen in Verzückung und die anderen in Verzweiflung versetzten. Auch wenn den fantastischen Bildern die eher zerfahrene Handlung nicht so wirklich gerecht werden konnte - neugierig auf diesen indischen Newcomer, der sich selbst einfach nur Tarsem nannte, war man auf jeden Fall geworden. So ist es dann doch etwas überraschend, dass es nun fast ein ganzes Jahrzehnt gedauert hat, die lange Suche nach einem Verleiher mit eingeschlossen, bis Kinogänger nun endlich das zweite Langfilm-Werk des indischen Regisseurs besichtigen können. Die gute Nachricht: Tarsem hat in all den Jahren nichts von seiner visuellen Ausdruckskraft verloren. Die Schlechte: Mit dem Geschichtenerzählen hapert es leider immer noch ein bisschen. Auch "The Fall" schwelgt zu oft dann doch lieber in schönen Bildern, anstatt sich um Figurenzeichnung oder Plotentwicklung zu kümmern.

Man kann es ja fast als einen kleinen Hinweis auf die eher untergeordnete Rolle der Geschichte sehen, dass dieser Film zu der Sorte von Remakes gehört, die fast nur kosmetische Änderungen am Originaldrehbuch vornehmen. War es im bulgarischen "Yo ho ho" aus dem Jahre 1981 noch ein Junge, ist es in "The Fall" nun die fünfjährige Alexandria (Catinca Untaru), welche nach einem Sturz mit eingegipstem Arm im Krankenhaus auf ihre Entlassung wartet. Die Zeit vertreibt sie sich dabei mit dem bei Dreharbeiten schwer verletzten Stuntman Roy (Lee Pace), der mit seinen fantasievoll erzählten Abenteuergeschichten schnell die Aufmerksamkeit des kleinen Mädchens gewinnt. Alexandria fasziniert dabei insbesondere die Geschichte des berüchtigten blauen Banditen (ebenfalls Lee Pace), der mit einer Gruppe exotischer Helden den brutalen Gouverneur Odious (Daniel Caltagirone) zur Strecke bringen möchte. Doch Alexandria ahnt nicht, dass Roy mit seiner Erzählung einen nicht gerade noblen Hintergedanken verfolgt.

Wie schon bei "The Cell" präsentiert Tarsem dem Zuschauer zwei komplett unterschiedliche Welten. Während die Geschichte im karg eingerichteten und eher düster wirkenden Krankenhaus fest in der Realität verankert ist, transportieren Roys Abenteuergeschichten nicht nur Alexandria, sondern auch die Zuschauer immer wieder in eine farbenfreudige Welt voller skurriler Figuren. Diese Welt gibt Tarsem die Möglichkeit, seinem visuellen Einfallsreichtum freien Lauf zu lassen, wovon er dann auch wahrlich regen Gebrauch macht. Im Gegensatz zu "The Cell" beschloss Tarsem bei diesem Projekt dabei komplett auf CGI zu verzichten, und reiste stattdessen mit einer kleinen Crew jahrelang durch die Welt, um in über 20 Ländern einige der eindrucksvollsten Landschaften dieses Planeten auf Zelluloid zu bannen.
Und das Ergebnis kann sich im wahrsten Sinne des Wortes sehen lassen, denn solch spektakuläre Wüstenlandschaften, malerische Inseln und surreale Bauwerke hat man in dieser geballten Form wohl noch nie im Kino bestaunen dürfen. Neben dem Einsatz eleganter Kamerafahrten ist es dabei vor allem das Spiel mit Farbkontrasten und Farbintensität, das die Arbeit von Tarsem so auszeichnet, und so ist dann auch sein zweiter Film wieder ein wahres Festmahl für die Augen geworden. Manche Szenen sind schon für sich alleine genommen das Eintrittsgeld wert, allen voran die Unterwasseraufnahmen eines im türkisfarbenem Meereswasser schwimmenden Elefanten oder eines wahrlich aberwitzig anmutenden Labyrinths.

"Zuschauer beeindruckt, Mission geglückt" könnte man nun natürlich meinen, doch ganz so einfach ist es dann eben leider nicht. Ein Film ist kein Bildband und ein optisches Spektakel garantiert noch lange keinen gelungenen Kinoabend. So ist es dann wieder die Story, welche Tarsem nun schon zum zweiten Mal zum Verhängnis wird, denn vor allem in der Fantasiewelt treten da doch einige wirklich gravierende Mängel auf. Nur mit einer kurzen Hintergrundgeschichte ausgestattet werden die exotischen Abenteurer hier auf ihre Mission geschickt und dann wie Schachfiguren emotionslos durch die Vielzahl an farbenprächtigen Settings manövriert.
Ein paar Kämpfe hier, ein paar einfallslose Dialoge dort, das alles wirkt oftmals geradezu erschreckend plan- und leblos. Unsere tapferen Krieger sind nämlich nur reine Staffage - in diesem Film treten nicht die Landschaften, sondern die Figuren in den Hintergrund. Eine emotionale Bindung zu den Charakteren aufzubauen ist so gut wie unmöglich, auch wenn all die exotischen Helden in Alexandrias Fantasie von mehr oder weniger bekannten Figuren aus ihrem realem Leben portraitiert werden ("Der Zauberer von Oz" lässt grüßen).
Es wird schnell offensichtlich, dass es den Machern in diesem Teil des Films mehr um den visuellen Aha-Effekt als die Geschichte ging, und nirgends wird das dann deutlich wie in einer kleinen Sequenz, in der unsere Protagonisten mal schnell durch Dutzende unterschiedlicher Länder gehetzt werden. Diese Sequenz ist so schnell geschnitten, dass man, abgesehen von einem kurzen Blick auf die offensichtlich sehr exotischen Locations, gar nicht die Zeit bekommt um zu erkennen, was in der jeweiligen Szene denn überhaupt vor sich geht. Nach wenigen Sekunden ist der für die Handlung vollkommen belanglose Spuk dann wieder vorüber und wenn man sich dann bewusst wird, dass Tarsem all diese Szenen tatsächlich extra in den jeweiligen Ländern drehen ließ, muss man sich doch schon ein wenig an den Kopf greifen. Netter visueller Gimmick mag nun mancher denken, doch gerade dies verdeutlicht das Problem des Films, der eben mehr Wert auf solche optischen Spielereien denn eine wirklich sinnvolle und gute Geschichte legt.

Das Frustrierende dabei: Ansätze für eine faszinierende Geschichte sind durchaus vorhanden, wenn man nämlich einmal einen Blick auf den anderen Erzählstrang im Krankenhaus wirft. Hier fokussiert sich der Film fast ausschließlich auf das Zusammenspiel zwischen Roy und Alexandria und gibt seinen Figuren zumindest einmal die Chance, so etwas wie Leinwandpräsenz aufzubauen.
Das nutzen diese auch und so entwickelt ihre Beziehung auch reichlich Charme, was vor allem an der Rolle der Alexandria liegt. So eine realistische Darstellung eines kleinen Kindes sieht man wirklich selten. Mehr als nur einmal verhält sich das pausbäckige Mädchen (wundervoll gespielt von der Rumänin Catinca Untaru) nämlich so, wie Hollywood Kinder eigentlich nie zeigt: als richtig begriffsstutziges kleines Dummchen. Allerdings ein unglaublich sympathisches Dummchen, das mit dem ebenfalls gut spielenden Lee Pace (hierzulande vor allem aus der Serie "Pushing Daisies" bekannt) eine wirklich gute Leinwandchemie entwickelt. Noch besser, die Geschichte der Zwei hat tatsächlich auch einige interessante Wendungen parat und entwickelt damit etwas, was der Fantasiewelt so gut wie immer fehlt: Spannung.

Doch genau diese Spannung wird mit jedem Wechsel in die nur behäbig voranschreitende Story der anderen Welt wieder zurück auf Null gesetzt. Noch schlimmer, obwohl Alexandria so gut wie jede kleine Nebenfigur aus dem Krankenhaus auch in die Fantasiewelt mit hinüber nimmt, kommt sie selber dort lange Zeit gar nicht vor.
Und da liegt die große verpasste Chance dieses Films, dem es meist einfach nicht gelingen will, eine interessante Verbindung zwischen der realen und der fiktiven Welt zu schaffen. Ab und zu gibt es zwar mal einen Kommentar von Alexandria, der die Handlung in der fiktiven Welt beeinflusst, doch dies passiert viel zu sporadisch und oft mit nur oberflächlichen Konsequenzen, so dass es nicht wirklich mitreißt. Erst in der letzten Viertelstunde brechen auf einmal alle Dämme. Alexandria greift nun endlich wirklich aktiv ein und ringt mit Roy in einer emotionsgeladenen Szene um die Kontrolle und den Ausgang der Geschichte. Das ist endlich großes Kino, genau so hätte man von Begin an diese Sache angehen sollen.

Doch leider kommt diese Wendung viel zu spät und so ist "The Fall", wie schon auch "The Cell", letztendlich ein zwar visuell brillant umgesetzter Film, den man auch durchaus noch als lohnenswerten Kinoabend empfehlen darf, der sich aber mit einem etwas zu unausgegorenen Drehbuch den Zutritt zum großen Kino selbst verwehrt. So bleibt nur zu hoffen, dass Tarsem irgendwann einmal lernt seiner beeindruckenden visuellen Gabe auch den passenden Erzählrahmen zu verpassen. Denn diese magischen Bilder haben wahrlich eine packendere Geschichte verdient.

Bilder: Copyright

6
6/10

den film im flugzeug gesehn, heißt kleiner bildschirm und beschissener sound, trotzdem warn die bilder wunderschön. werd ihn mir deswegn nochmal in groß anschauen, aber die kritik triffts haargenau.selten ne kritik gelesen mit der ich so übereinstimme

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9
9/10

Ich stimme der Kritik rein was die Story angeht nicht zu. Dass die Geschichte in der Phantasiewelt nicht so spannend und mitreizend war, wie die in der realen Welt macht für mich Sinn. Es lenkt nicht zu sehr von der eigentlichen Story ab, die sicher auch kein großer Einfall, aber wunderschön gemacht ist. Es ist am Ende auch eine Geschichte für ein 5 jähriges Mädchen und nicht für 25 Jahre alte Erwachsene. Ich fand den Film sehr gelungen. Er war wunderbar gespielt, die Bilder sind so schön, wie schon lange nichts mehr im Kino und die Krankenhausgeschichte, sowie auch die erzählte Geschichte, empfinde ich als stimmig und sinnvoll.

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Die Bilder sind zugegebenermaßen schön, die Story ist es aber nicht wirklich.
Viel mehr als "ich hau Dir den Kopf ab" gab es als Interaktion zwischen den Charakteren der Fantasiewelt ja wohl nicht zu sehen - kam mir fast genauso gewaltspastisch vor wie Tarantino's auf ähnliche Wiese geisteskranker "Kill Bill" - nur daß diesmal der ganze blutdurchtränkte reduktionistische Rachefeldzug in der Fantasie eines Kleinkinds stattfinden soll, was es wie ich finde nicht unbedingt besser macht.
Da wäre jawohl sowas von viel Potential gewesen, ganz andere metaphorische Ebenen aufzumachen als "alles ist umsonst, alle kämpfen die ganze Zeit bis auf den Tod und kommen brutal um" - eine riesen Enttäuschung - um so mehr Weil die Bilder, die Kostüme, die Musikauswahl eigentlich alle absolut erste Sahne sind.
Komplettversagen - und dabei hab ich mich so auf den Film gefreut.

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Ich hätte mir gerne den Film angesehen, doch ich fand kein Kino, in dem er lief. Traurig.

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5
5/10

Im Gegensatz zu "The Cell", der eine packende, stimmige und komplexe Geschichte sowie glaubwürdige, klischeelos und genau gezeichnete Charaktere aufwies fehlt hier beides, weshalb es nicht mehr als eine bewegte Diashow ist.

Ganz große Enttäuschung.

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8
8/10

Die Wendung am Ende kam etwas zu schleppend, ansonsten schöne Bilder und auf Englisch sehr sehenswert, v.a. die Leistung des Mädchens.

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8
8/10

ich habe mir den film in unserem heimkino angesehen und war begeistert. wenn man sich darauf einlässt ist es ein faszinierender film. das man die einzelnen personen noch etwas tiefgründiger und genauer hätte zeigen müssen, stimmt natürlich.
der film ist aber nicht nur der malerischen bilder wegen zu empfehlen.

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7
7/10

irgendwie werde ich das gefühl nicht los, dass bei diesem film riesengroßes potenzial verschenkt wurde.
lee pace spielt überzeugend, die kleine spielt hervorragend, die chemie der beiden passt nahezu perfekt. auch umhüllt eine seltsam interessante atmosphäre den gesamten film, sowohl in der real wie als in der märchenwelt. alles scheint ein bisschen surreal und geheimnisvoll zu sein, fast, als würde man alles durch die augen des kleinen mädchens sehen und verstehen. und dann ist da noch die atemberaubende optik. ich würde mir nur zugern jedes dieser bombastischen bilder riesig groß an die wand hängen.
doch irgendwie erwartet man dann auch etwas. das geheimnisvolle soll ja gefälligst auch etwas tolles hervorbringen. und genau dann wird man bitter enttäuscht. die handlung ebnet sich viele interessante wege, und verläuft dann jedes mal in einer recht enttäuschenden art und weise. vielleicht hätte man sich nicht ganz so sehr auf die alleinige kraft der bilder verlassen sollen. schade.

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6
6/10

Die Rezension trifft es genau. Ich möchte nur unterstreichen wie recht Herr Kastl hat, wenn er die Charakterisierung der kleinen Alexandria in seiner gelungenen Rezension positiv hervorhebt: das ist die überzeugendste, authentischste Darstellung eines kleinen Kindes, die ich jemals in einem Film sehen durfte.

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