Eine festliche Straßenparade. Ausgezeichnete Stimmung und feierliche Musik, zu der eine Gruppe von Schulmädchen in Kostümen und mit kleinen Stäben in den Händen tanzend marschiert. Schnitt auf eines der Mädchen, das in Zeitlupe ihren Stab hoch in die Luft wirft, dann erneut Schnitt auf die amerikanische Flagge, die heroisch im Wind flackert und vom Feuerwerk im nächtlichen Hintergrund dramatisch erhellt wird. Dieser Verweis auf die Filmgeschichte, der den berühmten Match-Cut aus Stanley Kubricks "2001: Odyssee im Weltraum" zitiert (bei dem ein Vorfahr des Menschen einen Knochen hoch in die Lüfte wirft, aus dem dann ein Raumschiff wird, das die Bewegung fortsetzt), lässt erahnen, dass Oliver Stone in diesem Film etwas Großes vor hatte.
Erzählt wird die ergreifende Lebensgeschichte von Ron Kovic, der sich vom überzeugten amerikanischen Patrioten zum entschiedenen Anti-Kriegsgegner wandelte und eine der prominentesten Figuren in der Anti-Vietnam-Bewegung war.
Kovic (gespielt von Tom Cruise) wächst in den 1960er Jahren mit seinen Geschwistern in der amerikanischen Kleinstadt Massapequa auf. Er wird in einem christlichen Elternhaus großgezogen und ist ein ehrgeiziger sowie erfolgreicher Sportler. Als der Vietnamkrieg ausbricht meldet er sich seiner patriotischen Gesinnung folgend zu den Marines, um sein Land vor den Kommunisten zu "beschützen". In Vietnam wird er jedoch folgenschwer verletzt, sodass er fortan von der Brust an ab gelähmt ist. Er kommt in ein Veteranen-Krankenhaus, in denen zu dieser Zeit allgemein schlechte Bedingungen herrschen und der Staat keine angemessene Versorgung für seine "Helden" bereitstellt. Nach langem medizinischen Aufenthalt kehrt Ron Kovic endlich heim, doch dort haben sich die Zeiten geändert....
Oliver Stones bis dato bester Film? Einige werden diese Frage sicherlich bejahen, auch wenn sich "Geboren am 4. Juli" ein enges Rennen mit "Platoon" und "JFK" liefern muss. Nicht zu unrecht wurde der Film mit acht Oscar-Nominierungen geadelt, von denen er immerhin zwei gewann - die Preise für beste Regie (Stones zweiter nach "Platoon") und den besten Schnitt.
Was hat der Film zu bieten? Zunächst einen atemberaubenden Hauptdarsteller, dann unglaublich schöne, wenn auch zum Teil erschreckende Bilder, einen unter die Haut gehenden Score und schließlich die vielleicht wundervollsten ersten 30 Minuten eines Films.
Was macht diese Geschichte so faszinierend und ergreifend? Zu nennen wäre da erst einmal Tom Cruise, der in diesem Film noch am Anfang seiner großen Hollywood-Karriere stand und hier für seine Verkörperung des Vietnam-Veteranen verdient seine erste Oscar-Nominierung erhielt und den Golden Globe gewann. Sein Zahnweiß-Posterboy-Image verwehrt Cruise in vielen Kreisen bis heute die Anerkennung als großartiger Schauspieler, dabei hat er seinen Status als absolutes Ausnahmetalent schon 1989 mit diesem Film manifestiert.
Aber man muss auch dazu sagen, dass das Ausgangsmaterial - Ron Kovics Autobiografie - sicherlich auch den perfekten Stoff für einen derart dramatischen und packenden Film in sich trug. So ist die Drehbuch-Adaption, die von Oliver Stone zusammen mit Ron Kovic selbst verfasst wurde und ebenfalls eine Oscar-Nominierung erhielt, von der ersten bis zur letzten Minuten durchdacht und lässt so den Gesinnungswandel des Helden um 180 Grad jederzeit plausibel und nachvollziehbar erscheinen. Beispielhaft die Szene, in der Ron als kleiner Junge auf den Schultern seines Vaters sitzt, und während einer Unabhängigkeitstag-Parade am 4. Juli begeistert eine Gruppe von Kriegsveteranen beobachtet: "Look Daddy, the soldiers!", ruft der Kleine mit voller Begeisterung über die Truppe alter Männer, von denen einem beide Arme fehlen und andere auf Rollstühlen geschoben werden müssen, und die jedes Mal traumatisiert zusammenzucken, sobald ein Feuerwerkskörper explodiert oder sie ein anderes Geräusch an die tödlichen Schüsse des Krieges erinnert. Als Ron Kovic dann paralysiert aus Vietnam heimkehrt und ebenfalls an einer Unabhängigkeitstag-Parade als heldenhafter Kriegsveteran teilnimmt, sieht er einen kleinen Jungen auf den Schultern seines Vaters sitzen, der mit einer Spielzeug-Pistole auf ihn schießt - und dasselbe zucken durchfährt dieses mal sein Gesicht.
In einer anderen Szene sitzt die Familie vor dem Fernseher, einer Rede Kennedys lauschend: "… Ask not what your country can do for you, but what you can do for your country!". Dann spricht Rons Mutter zu ihm: "I had a dream Ronny … the other night … and you were speaking to a large crowd … just like him … and you were saying great things!" Dass er dies schließlich auch tun wird, allerdings nicht als wie von Kennedy geforderter Patriot, lässt sich hier schon voraussehen.
Die angesprochenen ersten dreißig Minuten des Films dienen in der üblichen dramaturgischen Struktur der Einführung in die Geschichte, und so konzentriert sich "Geboren am 4. Juli" hier gänzlich auf Ron Kovic von seinen frühen Kindesjahren bis zu seinen letzten Tagen als Jugendlicher bevor er nach Vietnam geschickt wird. Dieser erste Teil ist von Stones Stamm-Kameramann Robert Richardson (auch "Aviator" und "Kill Bill") mit solch eindrucksvollen Bildern fotografiert und von Meister-Komponist John Williams mit einer emotional so ergreifenden Musik unterlegt worden, dass man dieses überstilisierte, idyllische Massapequa bald als ideellen Ort aus den Erinnerungen von Ron Kovic begreift - ein Platz und eine Zeit, in der für ihn alles noch unschuldig, hoffnungsfroh und schön war. So fängt auch gleich zu Beginn des Films die Stimme Ron Kovics aus dem Off an zu erzählen: "It was a long time ago …", und die Kamera gleitet von den hohen Baumkronen hinab auf zwei Kinder, die Soldatenhelme tragend und mit Spielzeugwaffen in den Händen Krieg spielen, während er fort fährt: "... and we turned the woods into a battlefield and dreamed that some day we would become men."
Das musikalische Hauptthema, das hierbei im Hintergrund die Bilder begleitet, taucht über den ganzen Film hindurch immer wieder auf. Es transportiert bewegend das Drama und die Tragik der Figur Ron Kovics und vermittelt dabei trotzdem immer noch ein kleines Quentchen Hoffnung. Kaum nötig zu erwähnen, dass auch Williams‚ brillanter Score eine Oscar-Nominierung erhielt. Eine ähnlich packende Wirkung erzielen indes auch die exzellent ausgewählten Songs dieser Ära auf dem Soundtrack, die gerade im ersten Teil den Bildern ihre ganz eigene Dynamik geben und auch im Zuschauer die Sehnsucht wecken, damals dabei gewesen zu sein.
Den krönenden Abschluss der Exposition bildet schließlich der Abschlussball in Rons Schule. Er sitzt währenddessen jedoch daheim in seinem Zimmer und packt seine Sachen, um am nächsten Tag seine Ausbildung bei den Marines zu beginnen, während es draußen in Strömen gießt. Eigentlich hatte er vor zum Ball zu gehen, aber seine Auserwählte hatte zu seinem und ihrem Bedauern schon einem anderen zugesagt. Doch dann rennt Ron zu den Klängen von Henri Mancinis "Moon River" aus dem Haus, nass bis auf die Knochen kommt er beim Ball an, wo ihn alle verdutzt anstarren während er auf seine Auserwählte zugeht, die darauf ihren Tanzpartner stehen lässt. Das mag kitschig anmuten, aber schön ist es allemal, und das perfekte Schlussbild für jene romantisch-unschuldige Traumwelt, die Ron danach verlassen und für immer verlieren wird.
So famos und berauschend anfangs die Jugend dieses all-American boy gezeichnet wird, so erbarmungslos ehrlich und ergreifend schildert der Film später Kovics erfolgreiche Auseinandersetzung mit seiner Behinderung und schließlich auch seiner Umwelt sowie den politischen Umwälzungen in der amerikanischen Gesellschaft.
"Geboren am 4. Juli" will weniger den Krieg an sich darstellen, rückt nicht seine Schrecken und Sinnlosigkeit in den Mittelpunkt, wie es "Der Soldat James Ryan" oder "Der schmale Grat" getan haben. Stattdessen konzentriert sich der Film auf das tragische Schicksal eines Individuums, das stellvertretend für eine ganze Generation von Kriegsheimkehrern steht, die durch die Propaganda ihrer Regierung fehlgeleitet in den Krieg zog. Die schlechte medizinische als auch soziale Behandlung und Versorgung dieser Kriegsveteranen nach ihrer Heimkehr und die gleichzeitig im Lande aufkommende Anti-Kriegs-Stimmung sind dabei zentrale Aspekte, die der Film thematisiert. Nach der hautnahen Auseinandersetzung mit den Wirren des Vietnam-Krieges im südostasiatischen Dschungel in "Platoon", konzentrierte sich Oliver Stone hier also auf die in Amerika selbst spürbaren Nachwirkungen dieses nationalen Traumas - ebenso packend, ergreifend und meisterhaft.
Neuen Kommentar hinzufügen