Einige Menschen werden diesen Film über alles lieben, nämlich der Vorstand des amerikanischen Paketdienstes „FedEx“. Denn was „Verschollen“ vor allem hervorhebt, ist Product Placement in einem Rahmen, wie man es bisher nur aus James Bond-Filmen kannte, und da war es wenigstens über mehrere Firmen verteilt. Die beinahe Omnipräsenz des FedEx-Logos in diesem Film erklärt sich durch die Tatsache, daß der von Tom Hanks verkörperte Protagonist Chuck Noland ein recht wichtiges Tier bei diesem Konzern ist, und er deshalb eine zentrale Rolle einnimmt in einem Film, der mit „Robinson Crusoe 2000“ bereits ausreichend beschrieben wäre.
Besagter Chuck Noland jettet ohne Rast und Ruh um die Welt in der steten Mission, die Arbeitsabläufe in neu eröffneten Verteilungszentren zu optimieren und den ewigen Kampf gegen die Zeit, dem man als privater Paketdienst ausfechten muss, zu gewinnen. Sprich: Der Mann ist eine lebende Stoppuhr. Wenig begeistert ist denn auch seine Freundin Kelly (Helen Hunt), als er am Weihnachtsabend nach Malaysia abberufen wird. Noch wesentlich tragischer ist allerdings die Tatsache, daß die Transportmaschine, stark vom Kurs abgekommen, in einem Sturm über dem Südpazifik abstürzt, und sich Chuck Noland als einziger Überlebender auf eine einsame Insel retten kann, ausgerüstet mit nicht viel mehr als seinem modischen Rentierpulli und dem Inhalt diverser FedEx-Pakete, die an den Strand gespült werden.
Soweit zur Exposition, für die nächsten neunzig Minuten gibt es dann kaum Dialog (Noland bastelt sich aus einem Volleyball einen imaginären Freund, ansonsten gibt es keine Gesprächspartner), konsequenterweise keine Musik, und Tom Hanks ohne Wenn und Aber. Er leistet gewohnt gute Arbeit, und diese recht eindrucksvolle Ein-Mann-Show dürfte ihm seine nächste Oscar-Nominierung einbringen. Für die nicht gerade geringe Zahl an Hanks-Hassern dürfte dieser Film allerdings den absoluten Albtraum darstellen.
Das eigentliche Problem von „Verschollen“ stellt sich als genau das heraus, was zu erwarten war: Genau genommen ist es ein Film ohne dramaturgischen Mittelteil. Nachdem Noland auf der Insel eingetroffen ist, wird in etwas unverhältnismäßiger Länge seine Anpassung an die neue Situation geschildert. Die Suche nach Wasser, Nahrung, Feuer und Obdach, und letztlich auch nach Gesellschaft, wird richtigerweise als essentiell fürs Überleben und damit als Priorität Nummer Eins herausgekehrt. Hübsch einfallsreich ist dabei Nolands Umfunktionierung all der recht nutzlosen Dinge, die sich in den FedEx-Paketen finden, in Gebrauchsgegenstände von hohem praktischen Wert. Doch just in dem Moment, als sich der ehemalige Workaholic so langsam häuslich eingerichtet hat, macht die Handlung einen Satz um vier Jahre, als Noland dank eines an den Strand getriebenen Windfangs, der als Segel einsetzbar ist (Deus ex machina?), mit der Planung seiner Inselflucht beginnt.
Womit „Verschollen“ genau den Teil, der seine Quasi-Vorlage „Robinson Crusoe“ eigentlich ausgemacht hat, beinahe komplett ausspart: Man bekommt einige Eindrücke vermittelt, wie der Gestrandete mit seiner Einsamkeit klarzukommen versucht, aber all das kratzt nur an der Oberfläche, ohne wirklich in die Tiefe zu gehen. Hier gibt es auch keinen Freitag und keine Kannibalen, womit die Ein-Mann-Show von Hanks zu einer Geschichte ohne sonderlich erwähnenswerte Wendungen verkommt.
Womit wir wieder bei der alten Frage wären: Ist ein Film, der einem genau das zeigt, was man erwartet hat, aber nicht einen Moment über die Erwartungen hinaus wächst, wirklich ein guter Film? Hängt wohl von der Höhe der Erwartungen ab, und somit ist „Verschollen“ zwar nicht überragend, aber immer noch gelungen. Besonders eindrucksvoll sind dabei die praktischen Auswirkungen der Produktion: Es wurde in zwei Etappen mit einer Pause von mehreren Monaten gedreht, damit Tom Hanks Zeit zum Abspecken und Bart-wachsen-lassen hatte (Zemeckis drehte in der Zwischenzeit „Schatten der Wahrheit“. Die Meinungen gehen auseinander, ob er statt dessen nicht besser Urlaub gemacht hätte). Das Resultat ist die selten gewordene Ansicht eines schlanken Hanks und zudem ein recht bemerkenswertes Beispiel von Method Acting. Hinzu kommt eine durchweg sehr gelungene Inszenierung, der man keine Vorwürfe machen kann. Zemeckis versteht es, bereits in den Eingangsbildern das Thema Einsamkeit anzuschneiden und wichtige Symbole zu etablieren, findet streckenweise erschreckend effektive Bilder und hat auch ein Auge für die natürliche Schönheit, welche die Insel auszeichnet (wobei beim atemberaubenden Sonnenuntergang mit Sicherheit mal wieder der Computer geholfen hat).
Handwerklich absolut astrein, aber das reicht halt nicht immer. Wenn nach über zwei Stunden Chuck Noland zurück in der Zivilisation und der Zuschauer zurück in der Wirklichkeit ist, stellt sich ein gewisses Gefühl der Leere ein. Resultat eines Films, von dem man weiß, daß er eine Aussage haben sollte oder hätte haben können, diese aber wohl irgendwo verschollen ist. Vielleicht liegt sie jetzt ganz alleine am Strand einer einsamen Insel.
Originaltitel
Cast away
Land
Jahr
2000
Laufzeit
144 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
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