Die Ausgangssituation in "Love Song für Bobby Long" ist einfach: Ein abgehalfterter Professor, sein ehemaliges Wunderkind und eine achtzehnjährige Rotzgöre landen zusammen in einem geerbten Haus in New Orleans und können sich, wie sollte es anders sein, zuerst nicht ausstehen. So weit, so gut, so schon mal da gewesen. Aber die Geschichte, die Shainee Gabel in ihrem Spielfilmdebüt entwickelt, geht weit über das übliche Was-sich-neckt-liebt-sich hinaus. Zum einen beantwortet der Film die Frage, was nach "Wonderboys" mit Michael Douglas und Toby Maguire passiert wäre, wenn sie alles verloren und in die Südstaaten gezogen wären; zum anderen ist es eine ausgezeichnet besetzte und wundervoll bebilderte Liebeserklärung an New Orleans und den Süden der USA.
Die siebzehnjährige Purslane (Scarlett Johansson), die als personifizierter White Trash mit ihrem Freund in einem Trailerpark wohnt und Erdnussbutter löffelweise in sich hineinstopft, erfährt zu spät vom Tod ihrer Mutter, die sie seit ihrer Kindheit nicht mehr gesehen hat. Um wenigstens beim Begräbnis dabei zu sein und vielleicht auch noch die Identität ihres Vaters herauszufinden, reist sie nach New Orleans, trifft aber auch dort zu spät ein. Stattdessen findet sie im Haus ihrer Mutter den Ex-Literaturprofessor Bobby Long (John Travolta) und dessen Schützling Lawson Pines (Gabriel Macht) vor, die sich durch die Tage trinken, am Fluss Schach spielen und sich mit Zitaten aus der amerikanischen Literatur bewerfen - das Leben zweier Bohemiens der alten Schule.
Spöttisch aber stets liebevoll entwickelt der Film diese drei Charaktere und ihr Verhältnis zueinander. Purslane, der Scarlett Johansson selbst im Trägerhemd mit roter Hillbilly-Frisur noch einen trotzigen Charme und eine kesse Schönheit verleiht, verkörpert den Rohdiamanten, der noch poliert und geschliffen werden muss. Und wer würde sich besser dazu eignen als der berühmte Professor Bobby Long? Langsam entdeckt die junge Frau ihre Wurzeln und gewöhnt sich an den kauzigen Säufer. Allein deshalb lohnt sich die Kinokarte übrigens, da John Travolta in einer seiner besten Rollen zu sehen ist, in der er seiner Figur mit vollster Überzeugungskraft ihren Charme, ihre Dreistigkeit und ihre Tragik verleiht. Wer die Möglichkeit hat, sollte sich den Film auch nicht im Original entgehen lassen, denn der breite Südstaaten-Dialekt wird in der Synchronisation wohl verloren gehen.
Gabriel Macht als Sidekick von John Travolta ist in der Rolle des cleveren Schönlings gut aufgehoben, und es ist dem Film hoch anzurechnen, dass die sich andeutende Liebesgeschichte zwischen Lawson und Purslane nicht zum Mittelpunkt avanciert. Lawson, der ehemalige Student, schreibt an seinem Roman über den Professor. Die beiden sind durch ihre gemeinsame tragische Vergangenheit eng miteinander verbunden, bis zum Auftauchen von Purslane bedeutet ihr Dasein jedoch eine fast zynische Aufgabe gegenüber dem Schicksal.
In "Love Song für Bobby Long" geht es um zweite Chancen, um Freundschaften, um die Suche nach der eigenen Identität - eben die Fragen, mit denen man sich am besten bei zwei Gläsern Whiskey am langsam vorbeiziehenden Mississippi beschäftigen kann.
Es gelingt Shainee Gabel, ein sehr greifbares Bild des Südstaatenlebens zu zeichnen, mit fast fotografischen Aufnahmen nutzt sie die atemberaubende, leicht morbide Kulisse geschickt aus, um die Geschichte der drei Außenseiter darauf zu projizieren. Untermalt wird die Szenerie mit sehr angenehmer Musik, die darf in New Orleans natürlich nicht fehlen. Selbst Travolta greift ab und an zur Gitarre, wenn er vor seiner Schar Hängengebliebener namens Ray, Lee, Earl und Junior am Fluss Hof hält. Die Musik spielt auch deshalb eine zentrale Rolle, weil Purslanes Mutter Lorraine Sängerin war und die Lösung ihrer Fragen sich in einem Lied verbirgt.
Vor allem aber lässt sich der Film Zeit und Ruhe, die Figuren und die Geschichte zu entwickeln. Es ist schon ungewöhnlich, wenn in einem amerikanischen Film die Einganssequenz Minuten lang dem schlurfenden Gang Bobby Longs entlang der bunten Holzhäuser New Orleans folgt, oder die vorbeiziehenden Schiffe begeleitet. Dadurch wird das Geschehen umso eindringlicher und die Szenerie umso lebendiger, und darin liegt auch das Geheimnis und die Anziehungskraft des Films. Lediglich am Ende verfällt er doch noch in leichter Torschlusspanik in einen süßlichen Ton, aber wer kann ihm das schon vorwerfen nach zwei Stunden kurzweiliger und ungewöhnlicher Kinounterhaltung?
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