Ein
(fast) ganz normaler Tag an einer High School in Oregon. John kommt
zu spät zum Unterricht, Nathan spielt Football, drei Mädchen
schwärmen von ihm, Eli entwickelt Photos - und Alex und Eric
veranstalten ein Blutbad. Nach Michael Moore ("Bowling
for Columbine") wagt sich nun Regisseur Gus Van Sant an
die filmische Verarbeitung der High School-Schießerei von
Columbine, und kehrt damit nach einem längeren Ausflug in den
Mainstream ("Good Will Hunting", "Finding
Forrester") wieder zu seinen Independent-Wurzeln ("My
Own Private Idaho") zurück.
Wie "Bowling for Columbine" wurde auch "Elephant"
bereits mit Preisen reich belohnt (er erhielt u.a. die Goldene Palme
der Filmfestspiele von Cannes), jedoch könnten die beiden Werke
nicht unterschiedlicher sein. Van Sants Film ist frei von Polemik,
Anklagen und Statistiken. Keine Interviews mit Prominenten und Betroffenen,
sondern ausschließlich Laienschauspieler. Van Sant sucht nicht
nach Antworten oder Schuldigen, sondern zeigt dem Zuschauer eine
mögliche Variante, die sich zwar an viele Details von Columbine
hält, aber keinen dokumentarischen Anspruch erhebt. Machen
wir uns nichts vor, Columbine ist überall, in Portland und
in Erfurt.
Ohne
weiteren Kommentar schickt Van Sant uns in die Schule, wo die Kamera
teilweise minutenlang einem der Hauptdarsteller durch Routine und
Banalitäten des Alltags folgt. Die Kamera verweilt hier und
dort, aber man sieht nicht unbedingt wer spricht oder hört
was im Vorbeigehen gesprochen wird. Als Zuschauer treibt man förmlich
im Geschehen hin und her. Dies ist anfangs gewöhnungsbedürftig,
aber nach einer Weile wird einem klar, dass man mit den Schülern
durch die kahlen, klaustrophobischen Korridore gehen muss, um an
ihrem Schicksal teil zu haben, um den ewig gleichen Alltagstrott
zu verstehen, der am Ende auf solch erschreckende Weise zerrissen
wird.
Wie
in jedem High School-Film trifft man hier auf bekannte Typen: den
erfolgreichen Footballspieler mit der hübschen Freundin, Bulimie-kranke
Mädchencliquen, Künstler, Außenseiter, Sozialos
und - Mörder. Dabei sind alle wichtig, keiner wird bevorzugt,
manche Szenen werden sogar mehrmals aus verschiedenen Perspektiven
gezeigt. Dann allerdings verlassen wir die Schule, um Alex und Eric
näher zu beobachten.
Die Sequenz ist zugleich unglaublich bewegend aber auch problematisch:
Alex spielt "Für Elise" (Deutsch, aber zum Glück
nicht Wagner!) auf dem Klavier, während Eric am Laptop einen
brutalen Ego-Shooter spielt. Zwar werden Nazikult
und Computerspiele oft mit Verbrechen dieser Art in Zusammenhang
gebracht, jedoch hatte Michael Moore doch gerade gezeigt, dass diese
Verbindung oft nur in den Medien hochgespielt wird. Van Sants Andeutung
homosexueller Neigungen ist ebenfalls fraglich: Ist dies nun Zufall,
Motivation, oder nur die 'Handschrift' des Regisseurs, der sich
schon oft filmisch mit seiner eigenen Sexualität auseinandergesetzt
hat? Van Sant weigert sich, eine definitive Antwort zu geben.
Seine Figuren sind Typen, nicht wirkliche Individuen. Trotzdem ist
sein Film bewegend und schockierend. Obwohl die eigentliche Schießerei
kaum 10 Minuten der Spielzeit einnimmt, überschattet einen
die Gewissheit, dass eben diese Minuten irgendwann kommen, zunehmend.
"Elephant" - benannt nach Alan Clarks gleichnamigem Film
über Rachetaten in Nordirland und als Metapher zu verstehen
für eine Sache, die man eigentlich nicht übersehen kann
(wie einen Elefanten im Wohnzimmer, oder eben Gewalt in den Schulen)
- bietet uns keine Analyse von Tatsachen oder Vorschläge für
die Zukunft. Vermutlich wird dieser Film keine einzige Gewalttat
verhindern. Ansehen sollte man ihn trotzdem, denn er ist allein
formal jetzt schon einer der sehenswertesten Filme des Jahres.
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