In der bayrischen Kleinstadt verläuft das Leben noch in geregelten Bahnen. Es ist ein Ort, an dem immer um dieselbe Zeit eine Ente über den frisch geharkten Kieselsteinweg läuft und die Spatzen mit ihrem Singsang die gesamte Einwohnerschaft sehr sensibel aus dem Tiefschlaf holen. Auch Rudi (Elmar Wepper) braucht sich keine Sorgen um seinen Tagesablauf zu machen. Seine Frau Trudi (Hannelore Elsner) hat diesen bereits seit über 40 Jahren fest im Griff. Sie hilft ihm in den Mantel, macht ihm seine Brotzeit, besorgt den Haushalt und ist immer dann zur Stelle, wenn Rudi irgendetwas benötigt. So könnte es wohl ewig weiter gehen, doch das Leben ist nun mal endlich. Trudi erfährt, dass ihr Ehemann nicht mehr lange zu leben hat, doch sie verschweigt ihm diese Information. Stattdessen möchte sie ihn auf andere Gedanken bringen. Ein Besuch bei den Kindern in Berlin, ein kurzer Ausflug an die Ostsee - und dann ist Trudi plötzlich tot.
In Doris Dörries neustem Film "Kirschblüten - Hanami" blickt nun dieser Rudi auf sein entgleistes Leben als Witwer. Ohne die Hilfe seiner verschiedenen Frau, kommt er auch nicht mehr so leicht in den Mantel und überhaupt scheint dieser Mann erst jetzt nachzuvollziehen, wieso Trudis Leben wohl nie so ganz ihren eigenen Vorstellungen und Wünschen entsprach. Rudi wird sich dessen bewusst und packt die Koffer. In Japan, dem großen Sehnsuchtsort seiner Ehefrau und Neuheimat seines Sohnes Karl (Maximilian Brückner), sollen wenigstens Trudis Kleider ihren großen Traum erleben - einmal den Fuijyama sehen.
Niemand geringeres als Elmar Wepper, der mitunter als einer der größten deutschen Fernsehdarsteller gelten darf, übernimmt die Hauptrolle in Dörries neuster Regiearbeit. Mit Hannelore Elsner an seiner Seite kann sein erster großer Kinoauftritt eigentlich nicht schief gehen. Tatsächlich ist es ausschließlich Weppers Leistung, die den Film trägt, und leider ist sie auch der nahezu einzige Grund, "Kirschblüten - Hanami" zu sehen. Das stoische, ur-bayrische Gesicht, welches sich fast nie zu einer freundlichen Gefühlsregung überreden lässt, prägt diese unzugänglich introvertierte Figur des Rudi. Der Mann, welcher mit dem Blick auf die Alpenlandschaft mit eiserner Lakonie verkündet: "Der Fuji ist auch nur ein Berg", er wird auf einigen seiner Tokiostreifzüge auf eine junge Japanerin (Aya Irizuki) stoßen. Diese Bhuto-Tänzerin nimmt sich Rudi an und beide machen sich dann auf den Weg zum Fujiyama.
Doris Dörries Liebe zu Japan und der dortigen Kultur prägte schon ihre letzten Filme. In "Erleuchtung garantiert" betrachtete sie Uwe Ochsenknecht auf dem Weg in ein Zen-Kloster. Sie ließ Alexander Maria Lara und Christian Ulmen auf einer Koi-Karpfen-Zuchtfarm zueinander kommen ("Der Fischer und seine Frau") und schließlich lauschte sie den weisen Ausführungen eines Zenkochs ("How to cook your life"). Auch in "Kirschblüten" kann man Dörrie nicht vorwerfen, sie habe kein Konzept. Denn die Idee, dass ein sterbenskranker Witwer lernen muss, mit dem Tod umzugehen, ohne dabei vom eigenen baldigen Ableben zu wissen, wirklich faszinierend.
Sicherlich ist das Drehbuch zu "Kirschblüten" tief geprägt durch einen persönlichen Verlust der Regisseurin. Ihr Mann starb vor einiger Zeit. Doch auch unter Berücksichtigung dieser persönlichen Note krankt der Film wieder an den üblichen Fehlern, die Dörries Filme bisher meistens in der Mittelmäßigkeit versinken ließen. Damit ist vor allem die penible Detailversessenheit der Inszenierung gemeint. Rudis eingangs erwähnter durchstrukturierter Alltag spiegelt sich nicht nur in den Bildern wider, sondern wird durch viele kleine Einzelheiten ständig überhöht. Ironischerweise funkelt einzig die Kirschblüte als Zeichen der Vergänglichkeit nur kurz auf und wird im weiteren Verlauf der Geschichte nicht mehr beachtet. Dörrie spielt mit Symbolismen und Japanklischees, die das Kino schon so oft reproduziert hat. Sie kann Rudis Kulturschock in Japan nichts Neues abgewinnen. Wie das geht, haben Sofia Coppola und ihr Hautdarsteller Bill Murray in "Lost in Translation" meisterhaft vor Augen geführt.
Durch eine solche Verspieltheit streckt die Regisseurin "Kirschblüten" auf unnötige zwei Stunden. Besonders in der ersten Stunde verliert sich das Drehbuch in dem konfusen Versuch, eine glaubhafte Beziehung zwischen Eltern und Kindern zu porträtieren. Doch Rudis und Trudis Sprösslinge scheinen einen unbegründeten Hass auf ihre etwas altmodischen aber doch alles in allem sehr liebenswürdigen Eltern zu haben. Die Belastung, die beide darstellen sollen, bleibt daher relativ unbegründet im Raum stehen. Das kauft man der Geschichte ebenso wenig ab wie Trudis große Leidenschaft für den japanischen Ausdruckstanz.
So wirkt der Film über weite Strecken überladen und ertrinkt bei dem Versuch, Touristensehnsüchte nach Japan zu bedienen. Und wieso muss Rudi unbedingt Trudis Kleider tragen, um ihr die japanische Sehenswürdigkeit zu zeigen? Das ist dann wohl wieder so eine typische Dörrie-Überhöhung.
Was also bleibt, ist das vielleicht schönste Filmplakat seit langem und die berührende Leistung Elmar Weppers. Sein innerlicher Kampf hätte Stoff für einen sehr großen Film geboten. Es ist sehr glaubwürdig, wie er den wortkargen Witwer verkörpert, der vorsichtig realisiert, dass er durch sein unzugängliches Wesen den Träumen und Sehnsüchten seiner Frau nie gerecht werden konnte. Am Ende hat er dies vielleicht begriffen, aber da sind schon die letzten Sandkörner seiner Lebensuhr durchgerauscht. Das Leben ist nun mal endlich.
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