Der Messias scheint definitiv angekommen zu sein. Und das gilt nicht nur in Hinsicht auf die Hauptfigur von „Dune“, den von den Bewohnern des Wüstenplaneten so sehnlichst erwarteten Erlöser und Anführer, den sie in Paul, dem Sohn des Herzogs Leo Atreides zu erkennen glauben. Wenn man sich die enthusiastischen Reaktionen ansieht, gilt das offensichtlich auch für Denis Villeneuve, dem aktuell praktisch überall bescheinigt wird, mit seinem Film für das Kinoereignis der letzten Jahre überhaupt zu sorgen, ein Meisterwerk und Gänsehauterlebnis abgeliefert zu haben wie man es schon lange nicht mehr erleben durfte und damit den anscheinend dringend benötigten Beweis zu liefern, wie großartig das Kino immer noch sein kann.
Als jemand, der sich ebenfalls sehr auf diesen Film gefreut und mit großen Erwartungen in den Saal gegangen ist, ist der Autor dieser Zeilen aber dennoch etwas verblüfft ob des um sich greifenden Enthusiasmus. Und erlaubt sich an dieser Stelle ein wenig zu relativieren: Ja, Villeneuve hat mit seiner Version von „Dune“ zweifellos einen guten Film abgeliefert. Einen halben, unvollendeten allerdings, der auch nicht komplett frei von kleinen Schwächen ist.
Es ist bemerkenswert, dass die Rettung des Kinos nach Auffassung vieler nun also ausgerechnet eine Geschichte bringen soll, die stets als das Musterbeispiel für den Stempel „unverfilmbar“ galt. Dabei ist es ja nun bereits der dritte Anlauf, diese Behauptung zu widerlegen, daher könnte man diese Legende allmählich wohl auch mal zu den Akten legen. Doch, die komplexe, ideenreiche und faszinierende Welt, die der Autor Frank Herbert in seinem Büchern über den Wüstenplaneten und die nur dort zu findende, für die Völker des Alls so wertwolle Spice-Melange entworfen hat, eignet sich durchaus für eine filmische Adaption, bietet sie doch ähnliche Zutaten und Verflechtungen wie z.B. die nicht minder ausufernden Romane über Mittelerde oder Westeros.
Was man dafür halt unbedingt braucht, sind eine entsprechende Laufzeit, damit die Verflechtungen und Entwicklungen der Charaktere auch zur Geltung kommen, und ein üppiges Budget, damit diese außergewöhnliche SF-Welt auch optisch so dargestellt werden kann wie es die Vorlage verlangt.
Den bisherigen Versuchen fehlte jeweils das eine oder das andere. David Lynchs Kinoversion von 1984 musste das komplette Buch in etwas mehr als zwei Stunden pressen, und die TV-Adaption des SyFy-Channels war zwar für die Verhältnisse dieses Senders schon aufwändig, konnte ihre Heimat in Form des Bildschirms statt der Leinwand aber nicht vertuschen.
Da dürfen die Erwartungen natürlich andere sein, wenn sich ein großes Hollywoodstudio heute das Thema als Franchise wählt, die üblichen Blockbuster-Millionen investiert und dazu noch den Regisseur verpflichtet, der wie keine anderer das SF-Kino der Gegenwart bereichert hat. Denis Villeneuve hat mit „Arrival“ und seiner mutigen „Blade Runner“-Fortsetzung bewiesen, was er kann, nämlich visuell überwältigende Werke zu erschaffen ohne dabei auf inhaltliche Intelligenz und Raffinesse zu verzichten. Dabei kommerziell durchaus erfolgreich, ohne allerdings das ganz große Massenpublikum anzulocken.
Etwas riskant ist das Ganze also schon und deshalb hat man auch nicht – wie sonst eigentlich bei solchen Produktionen üblich – gleich beide geplanten Filme am Stück gedreht, sondern lässt nun erstmal Teil Eins aufs Publikum los und hat im Hinblick auf das Kassen-Einspiel sicher eine interne Schmerzgrenze festgelegt, bevor die Fortsetzung ihre definitive Freigabe bekommt.
Was durfte man also von Denis Villeneuve erwarten? Dass seine Version weniger gehetzt wirkt als die von Lynch? Dass mehr Zeit auf die Entwicklung der Charaktere, vor allem die vom zu Beginn zögerlichen und mit seiner Rolle hadernden Paul gelegt wird? Dass überhaupt mehr Charaktere übernommen und vorlagengetreuer angelegt werden? Klar, das geschieht hier und mit dem charismatischen Timothée Calamaet („Call me by your Name“) hat man einen hervorragenden Hauptdarsteller gefunden, der zudem auch vom Alter her schon mal wesentlich besser für diese Figur passt als einst ein Kyle MacLachlan. Vor allem der Konflikt innerhalb der Herzogsfamilie, bei dem auch der sein eigenes, undurchsichtiges Machtspiel treibende Orden der Bene Gesserit-Schwestern mitwirkt, wird überzeugend aufgebaut inklusive der Probleme, welche die Mitgliedschaft von Pauls Mutter in dieser Vereinigung mit sich bringt.
Dass uns ein in der Bildsprache bombastisches Werk präsentiert wird, bei dem sowohl die majestätische Weite als auch die unterschwellig stets bedrohliche Atmosphäre des Wüstenplaneten zur Geltung kommen? Check, vor allem die gewaltigen Maschinen zum Spice-Abbau hat man so noch nicht gesehen und auch die Königsdisziplin „Sandwurm“ weiß zu gefallen und zu überraschen, so man nicht im Vorwege schon sämtliche Trailer zum Film konsumiert hat.
Aber um an dieser Stelle mal die entsprechende Lanze zu brechen: Auch der Film aus den 80er Jahren war in Sachen Tricktechik ausgezeichnet gemacht, auch dem gelang es die anspruchsvolle Geschichte nachvollziehbar und durchaus spannend zu inszenieren, und der servierte uns zusätzlich noch einige ambitionierte eigene Ideen, wie etwa die außergewöhnliche Darstellung der Gilde-Navigatoren. Die Selbstverständlichkeit, mit der der Film von Lynch aktuell als misslungener Fehlschlag abgetan wird, während der neue Ansatz endlich alles richtig mache, ist schon arg überzogen. Und sie ist auch etwas wohlfeil, denn die Voraussetzungen und Möglichkeiten sind für Villeneuve eben gänzlich andere.
Wie er sie nutzt hat oft Klasse, sein „Dune“ versprüht einen epischen Atem, lässt einen mitunter über die darin entworfene, sich klug nur Stück für Stück entfaltende Welt staunen und sorgt mit kräftigem Sound im entsprechend ausgestattetem Kinosaal sogar für eine fast schon physische Erfahrung. Es ist aber auch ein Werk, dass ungefähr in der Mitte seiner 155 Minuten ab und zu mal etwas durchhängt und die eine oder andere langatmige Szene beinhaltet – die auch praktisch nie durch etwas Humor aufgelockert wird, denn den empfand man wohl als grundsätzlich unpassend.
Ob sich das große Publikum für diese langsame, getragene Erzählweise und die eben doch sehr kühle und durchgehend tiefernste Welt von „Dune“ in ähnlich großer Anzahl wird begeistern können wie für die ein ganzes Stück zugänglicheren von "Star Wars" oder dem „Herrn der Ringe“ bleibt abzuwarten. Zumal bei diesen Mehrteilern jeder davon ausgehen konnte auch die Fortsetzungen zu Gesicht zu bekommen, was hier halt nicht sicher ist.
Eventuell droht den aktuell euphorisierten Fans vom 2021er-Dune da also ein sehr unerfreuliches Erwachen. Denn sollte Denis Villeneuves Epos tatsächlich unvollendet bleiben wäre das schon extrem bitter, sowohl fürs Publikum als auch für das Kino an sich. Hoffen wir das Beste und warten daher auch mit dem endgültigen Urteil und dem Prädikat „Meisterwerk“ noch etwas ab.
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