Die 15-jährige Berlinerin Tanutscha quatscht über eine
Telefonchat-Börse für junge Leute mit einem unbekannten
Typen, den sie binnen kürzester Zeit als hirnlosen
Vorort-Proleten
entlarvt. Als er sich angegriffen fühlt und ihr eine
ähnliche
Herkunft unterstellt, widerspricht Tanutscha empört: "Ich
komm aus Kreuzberg, du Muschi!".
Obwohl diese Szene erst fast am Ende von
"Prinzessinnenbad"
kommt, fasst sie perfekt zusammen, worum es in diesem Film
geht,
und was ihn so faszinierend macht: Das Selbstverständnis
und
das atemberaubende Selbstbewusstsein der Teenager im
Berliner Prinzenbad
- das multikulturelle Zentrum von Kreuzberg, dem
multikulturellsten
Stadtteil von Deutschlands multikulturellem Schmelztiegel
Berlin.
Im Mittelpunkt dieser Dokumentation, die auf der
diesjährigen
Berlinale die Sektion "Perspektive deutsches Kino" gewann,
stehen die drei Kreuzberger Mädels Tanutscha, Klara und
Mina,
beste Freundinnen seit Kindertagen und Paradebeispiele für
den internationalen Mischmasch ihrer Stadt: Tanutscha ist
Halb-Iranerin,
hat den Kontakt mit ihrem Vater aber seit Jahren
abgebrochen und
bezeichnet sich selbst als Deutsche. Mina ist
Halb-Italienerin,
ihre deutsche Mutter hat einen jüngeren afrikanischen
Freund
und ihr Vater eine "sehr junge" neue Freundin plus
gemeinsames
kleines Kind. Klara ist blond und blauäugig, findet aber
fast
alle Deutschen doof und steht nur auf Türken. Ihren
richtigen
Vater kennt sie fast gar nicht, der hat eine andere
Familie gegründet
und ist ausgewandert; dass ihre Mutter jetzt einen neuen
Mann gefunden
hat, den sie heiraten möchte, damit kommt Klara gar nicht
klar.
Es
sind Details wie diese, mit denen Dokumentarfilmerin
Bettina Blümner
in ihrem Langfilm-Debüt immer wieder die Brücke zwischen
dem Speziellen (eine Jugend in Berlin-Kreuzberg) und dem
Allgemeinen
(die typischen Nöte eines Teenagers im
Scheidungskinder-Zeitalter)
schlägt. So typisch berlinerisch dieses Trio auch ist,
sind
sie doch auch typische 15-jährige Teenager, und so wie
Bettina
Blümner die speziellen Persönlichkeiten ihrer
"Prinzessinnen"
etabliert, zeigt sie sie gleichzeitig auch als
exemplarische Vertreter
der heutigen Jugend, die sich überall mit denselben
Problemen
und Fragen herumschlägt:
Tanutscha versucht, ihrer überbesorgten Mutter mehr
Freiräume
abzutrotzen. Mina hat mit dem klugen und anständigen
George
einen Traum von Freund gefunden, doch der steht kurz vor
dem Abitur
und will danach für ein Jahr ins Ausland gehen - ein
gebrochenes
Herz scheint unausweichlich. Klara hat zu früh mit dem
blau
machen angefangen, geht nun auf eine "Schwänzerschule"
und hadert damit, sich ihre Zukunftschancen selbst verbaut
zu haben
- auf die Berufe, die ihr jetzt noch offen stehen, hat sie
allesamt
keinen Bock. Und wo ihre Freundin Tanutscha von der Mutter
zu viele
Vorschriften auferlegt bekommt, leidet Klara unter dem
genauen Gegenteil:
"Nicht schwanger werden, und kein Heroin" sind die
einzigen
zwei Regeln ihrer Mutter, und Klara sehnt sich nach mehr
auferlegter
Disziplin und Orientierung in ihrem Leben.
Von
den ersten Szenen im Prinzenbad an erlebt man die drei
Mädchen
mit ihren großen Klappen und der entwaffnend-verstörenden
Direktheit als Vertreter einer Großstadt-Jugend, die man
mit
Stichworten wie PISA und Rütli verbindet, und der
treibende
HipHop-Soundtrack (ausnahmslos von Berliner Künstlern,
viele
davon weiblich) verstärkt kraftvoll die besondere Berliner
Note (und passende Schnauze) des Films.
Die scheinbar unerschütterliche "Mach mich nicht doof
an"-Attitüde und das geradezu provokante Selbstbewusstsein
der Mädchen (vor allem von Tanutscha und Klara, Mina ist
die
Stille des Trios) machen schnell Eindruck: Man kommt bald
nicht
mehr umhin, ihnen Respekt und Bewunderung zu zollen,
während
man gleichzeitig jedoch auch nachdenklich feststellt, wie
unglaublich
schnell diese Mädchen groß werden mussten (ironischerweise
äußern sich die Mädchen in einer Szene selbst bestürzt
darüber, wie frühreif und ungehobelt die jüngeren
Kinder seien - die Spirale dreht sich weiter).
All diese alltäglichen Geschichten präsentiert Blümner mit einer herausragenden Inszenierung. Sei es die schon erwähnte antreibende Musik, die fabelhaften fließenden Übergänge oder das famose Auge für die starken Bilder (eine ganz große Leistung von Kameramann Mathias Schöningh), die so viel mehr sagen als jedes direkte Interview (mit denen sich der Film auch sehr angenehm zurückhält) - Blümner hält ihren Film konsequent in Bewegung und die Zuschauer durch die geschickte Montage bei der Stange, entfaltet die verschiedenen Charaktere und Probleme der Mädchen bedachtsam und kann so aus ihren einzelnen Geschichten echte Spannung generieren; und zum Schluss gibt es sogar so eine Art überraschendes Happy End.
"Prinzessinnenbad" leistet alles, was man sich von einer großartigen Dokumentation nur wünschen kann: Er holt die Wirklichkeit hinein in den Kinosaal und vermittelt ausgewogen, fair und urteilsfrei das Lebensgefühl seiner Protagonisten, die man danach wirklich zu kennen und - noch viel wichtiger - zu verstehen glaubt. Dabei pulsiert der Film mit einem aufregend-authentischen Herzschlag, wirkt mit seiner Dynamik und unmittelbaren Nähe manchmal fast elektrisierend und entwickelt so genau wie seine "Heldinnen" einen herben, unwiderstehlichen Charme, gleichzeitig rotzfrech und liebenswert: "Ich komm aus Kreuzberg, du Muschi!".
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