Steve McQueen und Gillian Flynn - das sind zwei Namen, die man nicht unbedingt als Regie/Drehbuch-Kombination bei einem Film erwartet hätte. Flynn ist seit ihrem internationalen Mega-Bucherfolg "Gone Girl" und der zugehörigen Filmadaption im Schnellverfahren in die erste Liga für Autoren cleverer und wendungsreicher Krimi/Thriller-Geschichten mit hohem Unterhaltungswert aufgestiegen. McQueen hat sich mit seinen bisherigen Langspielfilmen "Hunger", "Shame" und dem Oscar-gekrönten "12 Years a Slave" bislang vor allem als sehr ambitionierter und sehr herausragender Filmemacher hervorgetan, der in diesem Medium wortwörtlich Kunst erschafft. Ein Film von diesen beiden gemeinsam ist erstmal nicht so leicht vorzustellen. Und doch kann man nach Betrachtung von "Widows" sehr zufrieden feststellen, dass hier auf wundervoll formvollendete Weise die Stärken von beiden Seiten perfekt zusammengekommen sind, um einen vermeintlichen Mainstream-Thriller auf erfrischend andere Art und mit einer mehr als überraschenden Tiefe zu erzählen.
"Widows" basiert auf einer englischen TV-Miniserie aus den 80ern und erzählt von einem kleinen Trupp Frauen, die unter sehr ungewöhnlichen Umständen zusammengeführt werden: Die Männer von Linda (Michelle Rodriguez) und Alice (Elizabeth Debicki) gehörten zur kriminellen Bande von Harry Rawlings (Liam Neeson), Ehemann von Veronica (Viola Davis), und sind gemeinsam mit ihm bei einem schiefgelaufenen Coup ums Leben gekommen. Noch tief von ihrer Trauer gepackt erhält Veronica Besuch von dem örtlichen Gangsterboss Jamal Manning (Brian Tyree Henry), denn bei besagtem Coup sind zwei Millionen von seinem Geld gestohlen worden und dann mit den Dieben gemeinsam verbrannt. Als Harrys Witwe verlangt Jamal nun von Veronica diese zwei Millionen zurück, denn er braucht das Geld gerade dringend: Um das Gangsterleben hinter sich lassen zu können, will Jamal sich einen seriösen Anstrich geben und bei der Wahl um das Amt des Stadtrates für seinen Bezirk antreten, gegen Jack Mulligan (Colin Farrell), der diesen Posten quasi von seinem Vater erben soll. Jamal gibt Veronica zwei Wochen Zeit, um die Schuld zu begleichen. In ihrer Verzweiflung trommelt Veronica die anderen Witwen zusammen und will sie überreden, gemeinsam einen Millionenraub durchzuführen, den ihr Harry bereits fertiggeplant hatte, aber nicht mehr durchführen konnte. Doch keine der Frauen hat auch nur die geringste Erfahrung mit solchen Machenschaften, und entsprechend groß sind ihre Zweifel und Skrupel.
Die Inhaltsangabe lässt es schon erahnen: Es geht in diesem Film eine ganze Ecke komplexer zu als in gewohnten Thrillern um Gangsterbanden und einen großen Coup. Denn nicht nur die Frauentruppe mit ihren einzelnen Schicksalen und eigenen Subplots steht hier im Fokus, auch Jamal Manning und Jack Mulligan mit ihrer jeweiligen Lebenswelt und dominanten Themen bekommen ihren Raum zugesprochen. Dabei erscheint keine der gut zehn tragenden Hauptfiguren von "Widows" als ein Reißbrett-Charakter, Flynn und McQueen schaffen es, jeder Figur eine kleine Handvoll starker und prägnanter Szenen zu geben, die sie jeweils als voll ausgeformten Charakter präsentieren. Schon allein aus Skript-Perspektive ist es beeindruckend, wie das kreative Duo des Films mit wenigen, sehr durchdachten und präzisen Federstrichen lebendige und komplexe Charaktere mit glaubwürdigem Innenleben erschafft. Resultat dieser beachtlichen Mühen ist ein Film, der im Gewand eines durchkalkulierten Genre-Produkts daherkommt, dann jedoch mit enormer thematischer Breite und beachtlicher erzählerischer Tiefe überrascht.
Die alles andere als simplen Themen, die "Widows" überzeugend in seine Geschichte und Charakterzeichnungen einarbeitet, beinhalten Sexismus, Hinterzimmerpolitik, Korruption, Polizeigewalt oder auch die Schwierigkeiten einer Mischehe, und immer wieder zeigt er tradierte Muster auf, mit denen in unserer Gesellschaft die Armen arm, die Mächtigen mächtig und die Frauen unterwürfig gehalten werden.
Überhaupt: Die Rolle der Frauen. Es ist famos, wie "Widows" ihre jeweiligen Lebenswelten einfängt, wie er sie als Charaktere atmen lässt, indem der Film nie vergisst, dass trotz aller Raubüberfall-Pläne und drohender Gangster dies immer noch Frauen sind, die gerade eben erst ihre große Liebe verloren haben und noch mitten in der Trauer stecken. Es ist großartig, wie glaubwürdig und gleichzeitig witzig der Film damit umgeht, dass die Frauen sich auf komplett ungewohntem Terrain weit außerhalb ihrer Komfortzone bewegen - wenn sie zum Beispiel auf ihre ganz eigene Weise Lösungen dafür finden, wie sie an einen anonymen Fluchtwagen kommen oder an Waffen, die man nicht zu ihnen zurückverfolgen kann. Und es ist schlicht meisterhaft, wie "Widows" seinen vielschichtigen und verwinkelten Thriller-Plot so geschickt wie gezielt zu einer Geschichte über die Selbstermächtigung dieser Frauen aufzieht, die von einer ganzen Reihe von Männern nur als die willenlosen Spielbälle ihrer eigenen Pläne betrachtet werden. Und die es schaffen müssen, sich selbst als Individuen zu begreifen, die nicht hilflos auf die Rollen reduziert sind, welche die dominanten Männer in ihren Leben ihnen zugeschrieben haben.
Das klingt jetzt vielleicht fast schon etwas nach thematischer Schwere. Das Faszinierende an "Widows" ist jedoch, wie der Film es schafft, all diese Aspekte mit der angemessenen Genauigkeit zu behandeln, und dennoch gleichzeitig tadellos als mitreißender Crime-Thriller zu funktionieren. Auch wenn der große Raubüberfall, auf den hier alles hinaus läuft, letztlich relativ schnell abgehandelt wird - "Widows" ist auch ein sehr unterhaltsamer Genre-Film, der schlicht zusätzlich davon lebt, womit Regisseur und Autorin ihn noch alles unterfüttert haben.
McQueens Inszenierung ist dabei herausragend, gemeinsam mit seinem Stamm-Kameramann Sean Bobbitt findet er immer wieder originelle Wege, vermeintlich konventionelle Szenen auf ein bisschen andere Art zu inszenieren, und ganz viel auch wie nebenbei zu erzählen. Gutes Beispiel: Eine ungeschnittene Szene, die Colin Farrells Lokalpolitiker Jack Mulligan auf einer Autofahrt begleitet, von einer Wahlkampf-Veranstaltung zwischen den ärmlichen Sozialbauten, die seinen Wahlbezirk ausmachen, bis zu seinem eigenen Haus. Wie beiläufig lässt die sich im Wageninneren rotierende Kamera den Zuschauer während dieser Fahrt immer wieder aus dem Fenster schauen - und macht dadurch deutlich, wie nah und doch unendlich weit enfernt voneinander die zwei Welten des Jack Mulligan sind.
Auf solche Weise schaffen es McQueen und Flynn, ein wahrlich bemerkenswertes Vieh von einem Film zustande zu bringen: Äußerlich ein clever gestrickter Crime-Thriller mit ungewöhnlichen Protagonisten, messerscharf sitzenden Dialogen und grandiosen Darstellern, innerlich eine tiefschürfende und vielschichtige Betrachtung unseres gesellschaftlichen Status Quo und vor allem der Rolle der Frau darin. Oder anders gesagt: Ganz, ganz starkes Kino.
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