Manchmal, leider sehr selten, aber manchmal kommt ein Film daher, der so ungewöhnlich ist, so dermaßen gegen alle vermeintlichen Gesetzmäßigkeiten der Erzählkunst verstößt, dass man im Kino dasitzt und staunt, dass es das überhaupt gibt, und dass es auch noch funktioniert. Martin McDonaghs "Three Billboards outside Ebbing, Missouri" ist solch ein Film. Angesichts McDonaghs vorheriger zwei Spielfilme, der 2008er lakonisch-schwarzhumorigen Gangster-Ballade "Brügge sehen... und sterben" und dem in seiner Anhäufung von Schrägheiten etwas aus der Bahn geratenen "7 Psychos" von 2012 ist es nicht wirklich verwunderlich, dass auch sein neuer Film einen eigenwilligen Ton anschlägt und sich nicht sonderlich um Konventionen schert. Das Wunder ist allerdings, was für eine Geschichte McDonagh hier erzählt und wie er das tut. Denn "Three Billboards" ist die Geschichte einer wütenden, tieftrauernden und rachsüchtigen Frau, die Gerechtigkeit für die brutale Vergewaltigung und Ermordung ihrer Tochter erreichen will. Und er ist saukomisch. Das geht nicht zusammen? Das kann man auch nur solange denken, bis man diesen Film gesehen hat.
Besagte Frau ist Mildred Hayes (Frances McDormand), und sie sorgt für einige Unruhe in ihrem Kaff, als sie drei Werbewände am Ortseingang anmietet, um darauf eine stille Mahnung in Richtung der örtlichen Polizei unter Sheriff Willoughby (Woody Harrelson) anzubringen. Denn die Polizei hat nach wie vor keine einzige Spur, wer hinter besagter Ermordung von Mildreds Tochter stecken könnte. Mildreds Aktion stößt auf wenig Gegenliebe, denn dem ganzen Ort wäre es lieber, wenn man dieses bereits einige Wochen zurückliegende hässliche Verbrechen langsam verdrängen und vergessen könnte. Und so bemüht sich die Polizei, vor allem der aggressive und etwas tumbe Deputy Dixon (Sam Rockwell) mit seinem eigenen Verständnis von Recht und Ordnung weniger um die Aufklärung des Verbrechens, sondern darum, dass Mildreds Plakatierung möglichst schnell wieder verschwindet.
Das klingt alles nicht sehr lustig. Dass es das aber trotzdem ist, liegt an Martin McDonaghs ganz eigenem Stil und der Art und Weise, wie er die Figuren in diesem kleinen Landei-Universum anlegt. Es könnte, ja, müsste hier eigentlich die ganze Zeit hochemotional und sehr düster zugehen. Doch die Menschen, die Ebbing und somit auch diesen Film bewohnen, sind von einem anderen Schlag. Sie sind Menschen, die damit aufgewachsen sind, dem Leben auf eine lakonisch-trockene Art zu begegnen, die mit ihrem begrenzten Horizont alle etwas einfach gestrickt sind, und die ihre wahren Gefühle systematisch hinter einem recht grobschlächtigen Ton und Umgang verbergen. Der Witz von "Three Billboards" nährt sich vor allem dadurch, dass die Figuren ständig Dinge sagen, die wahnsinnig unangebracht und pietätlos wirken, oder eine Sache völlig trocken-absurd auf den Punkt bringen, so dass man schon vor lauter Überraschung laut loslachen muss.
Das Brillante daran ist, dass dies zu keinem Zeitpunkt wie ein Gimmick zur Unterhaltung des Kinopublikums wirkt, wie künstlich erzeugter Humor, der sich aus der inneren Logik des Films heraus eigentlich gar nicht ergeben würde. Sondern dass McDonagh seine Figuren so authentisch zeichnet, dass man in keiner Sekunde daran zweifelt, dass ihnen diese Dinge tatsächlich genau so aus dem Mund fallen würden. Unbedacht, unsensibel, und gerade deswegen echt und unaufgesetzt. Ein Beispiel? Als Mildred sich bei Willoughby über den unbeherrschten Dixon beschwert und auf einen (nicht näher erläuterten) zurückliegenden Fall von Polizeigewalt gegen Schwarze anspielt, erwidert Willoughby wegwischend: "Wenn ich alle Cops rausschmeiße, die Rassisten sind, dann bleiben nur noch drei übrig. Und die hassen alle Schwuchteln." Wie Willoughby im nächsten Moment selbst über diesen Satz schmunzeln muss, zeigt sein Bewusstsein dafür, dass das gerade ebenso unangemessen wie wahr war - und ja, eben auch ein bisschen lustig.
Ebbing, Missouri, ist eben kein Ort für Sentimentalitäten. Wie sehr der Film seinen Charakteren in dieser Hinsicht treu bleibt, zeigt sich nirgendwo besser als in der Art und Weise, wie eine der Hauptfiguren mit der Erkenntnis umgeht, dass sie totkrank ist. Welche Konsequenzen die Figur daraus zieht, ist umso berührender und wahrhaftiger, weil der Film es ohne jedes Melodrama präsentiert. Und doch verrät "Three Billboards" die eigentliche emotionale Tiefe seiner Geschichte zu keinem Zeitpunkt. Dies ist vor allem auch Frances McDormand zu verdanken, die hier eine hochkomplexe Rolle auf kongeniale Weise meistert. Die Grobheit, mit der ihre Mildred durch die Handlung poltert und selbst immer wieder für Lacher des blanken Erstaunens sorgt, ist bereits ganz groß. Wie McDormand darunter die Schuldgefühle transportiert, die Mildred in Zusammenhang mit dem Tod ihrer Tochter quälen, ist herausragend. Und wie sie schließlich mit einzelnen Dialogsätzen emotionale Schläge abliefert, die einen auf die wahre Tragik dieser Geschichte zurückwerfen immer wenn man am wenigsten damit rechnet, ist schlicht meisterhaft - sowohl in McDormands Vortrag, als auch in McDonaghs Drehbuch.
Man braucht schon ganz schöne Eier, um sich solch einen Film überhaupt auszudenken. Um ihn dann auch noch so konsequent durchzuziehen, braucht man begnadete Schauspieler und absolut virtuose Fähigkeiten als Drehbuchautor. McDonagh hatte hier beides. Wenn die Welt auch nur ein kleines bisschen gerecht ist, muss er hierfür den Oscar für das beste Original-Drehbuch gewinnen. Und sei es nur für die gelungenste und witzigste Verwendung des Satzes "Ich muss mal für kleine Jungs."
"Three Billboards" unterwandert in seinem Verlauf immer wieder die Erwartungen seiner Zuschauer. Jedesmal, wenn man glaubt zu wissen, wie es jetzt ungefähr weitergehen wird, passiert etwas, das den Film in eine andere Richtung stößt, so dass man tatsächlich bis zur letzten Minute nicht wirklich weiß, wie dieser Film einen schließlich entlassen wird. Am Ende passt dann aber doch alles so perfekt zusammen, dass man mit der letzten Szene erst so richtig begreift, worum es "Three Billboards" mit seiner Geschichte wirklich ging. Und dass dieser Film unter all seiner Grobschlächtigkeit, seinem rauen Ton, seiner thematischen Düsternis und seiner finsteren Komik eine tiefsitzende, mitfühlende Menschlichkeit verbirgt, bei der einem ganz warm ums Herz wird. Klingt unmöglich? Ist aber so.
Neuen Kommentar hinzufügen