Die Stadt Brügge, das "Venedig des Nordens", gehört sicher zu den beliebtesten Urlaubs-Zielen Mitteleuropas. Mit den zahlreichen Brücken und Kanälen, dem mittelalterlichen Flair und der malerischen Kulisse der Altstadt kommen vor allem Touristen auf ihre Kosten, die es ruhiger angehen lassen wollen, kulturell und historisch interessiert sind. Nach Brügge fährt man, um zu entspannen. Eigentlich.
Auch Ray (Colin Farrell) und Ken (Brendan Gleeson) verschlägt es in das romantische belgische Städtchen. Von ihrem Boss Harry (Ralph Fiennes) wurden sie hierher beordert, einen Grund für ihren kleinen Ausflug hat er ihnen aber nicht genannt. Vielleicht hat es damit zu tun, dass sie kürzlich in London zwei Menschen umgebracht haben, darunter ein Kind, das eigentlich nicht auf der Abschussliste stand, und nun untertauchen sollen. Ray und Ken wollen das Beste aus der Situation machen. Für Ken bedeutet das, den zahlreichen Sehenswürdigkeiten einen Besuch abzustatten. Ray betrachtet "fucking Bruges" als Hölle auf Erden, und nutzt die Zeit, in der die Killer auf den angekündigten Anruf von Harry warten, um Bekanntschaft mit der hübschen Chloe (Clemence Poesy), deren Ex-Freund Erik (Jeremie Renier), dem kleinwüchsigen, waghalsige Theorien aufstellenden Schauspieler Jimmy (Jordan Rentice) sowie einigen holländischen Nutten zu machen, lässt aber auch keine Gelegenheit aus, Touristen zu bepöbeln und/oder sich mit ihnen zu prügeln. Dann kommt endlich der Anruf. Die Nachricht, oder vielmehr der Auftrag, ist von erheblicher Brisanz. Man kann nach Brügge fahren, um zu entspannen. Man kann es aber auch tun, um zu sterben.
Das ist schon ein ziemlich genialer Schachzug, ausgerechnet Brügge, einen so romantischen und zumindest oberflächlich betrachtet friedlichen Ort, zum Schauplatz einer pechschwarzen Komödie zu machen die ebenso friedlich beginnt, sich mit zunehmender Dauer aber zuspitzt und schließlich für einige Charaktere sehr unschön endet. Brügge fungiert schon fast als eigener Charakter, ohne den Martin McDonaghs Spielfilmdebüt das gewisse Etwas fehlen würde. Für die Kameramänner muss es wohl auch ein Traum gewesen sein, in Brügge zu drehen. Selbst wenn die Kamera irgendwo in einer Ecke auf dem Boden gelegen hätte - das eingefangene Bild wäre sicher immer noch ein wunderschönes gewesen.
Brügge ist als Schauplatz essentiell wichtig, die Vorzüge von McDonaghs Werk reduzieren sich aber natürlich nicht einzig auf diese Stadt. Sein Kurzfilm "Six Shooter" erhielt 2006 einen Oscar. Das gleiche Schicksal wird "Brügge sehen... und sterben?" vermutlich nicht widerfahren, verdient wäre es aber allemal - vor allem für das Drehbuch. Die Dialoge und originellen Wendungen sind eine Klasse für sich und selbst die Charaktere sind für eine Komödie - was "Brügge sehen…" im Kern nunmal ist - erstaunlich gut ausgearbeitet.
Ken genießt jede Sekunde in Brügge. Er fährt mit Booten die Kanäle entlang, besichtigt Kirchen und andere Sehenswürdigkeiten, und kann für die Ignoranz Rays gegenüber der Schönheit der Stadt nur wenig Verständnis aufbringen. Aber das beruht ja auf Gegenseitigkeit. Nur widerwillig schaut sich Ray "fucking Bruges" an, nutzt auch jede Gelegenheit, um den Städtetouren zu entgehen und sich irgendwo voll laufen zu lassen oder mit Chloe zu essen. Ihre Gegensätzlichkeit spiegelt sich auch in ihrem bisherigen Schaffen als Auftragskiller wider. Während Ken der alte Hase ist, den nichts mehr wirklich erschüttern kann, hat Ray gleich seinen ersten Einsatz gehörig vermasselt und plagt sich nun mit Gewissensbissen wegen des getöteten Kindes.
Brendan Gleeson steckt in seine Rolle dann auch alle Ruhe und Gelassenheit dieser Welt, während Colin Farrell seinen Ray übernervös und ständig gehetzt wirkend auf die Leinwand bringt und dabei einmal mehr sein enormes Talent unter Beweis stellt. Die Beiden ergänzen sich perfekt, als Schauspieler genau wie ihre Figuren: Hier der alte Haudegen, da der aufstrebende Schönling, der mittlerweile auch schon mit zahlreichen Größen des Filmgeschäfts (Spielberg, Malick, Allen, Stone) zusammengearbeitet hat.
Nach diversen (Fehl-)Entwicklungen lässt es sich dann schließlich Harry, der Boss, nicht nehmen, Brügge auch noch einen Besuch abzustatten. Durfte man sich bis dahin schon an den Darstellern erfreuen, betritt mit Ralph Fiennes nun das dritte Schwergewicht die Bühne. Harry ist ein eiskalter Killer und Harry hat Prinzipien. Und wer gegen diese verstößt - nun ja, hat auch keine Gelegenheit, dies wieder gut zu machen. Harry trägt aber vor allem endgültig zur inflationären Benutzung des Wortes "fuck" bei, die Ray bis dahin schon recht gut betrieb. Es stellt nun sicher keine Meisterleistung dar, mehrere Dutzend Male dieses Wort ins Drehbuch zu schreiben, aus den Mündern von Farrell und Fiennes, mit breitem irischen Akzent, klingt es aber nun mal verdammt herrlich. Was eigentlich immer gilt, gilt hier deshalb ganz besonders: wenn möglich, in der Originalfassung sehen.
Neben all den "fucks" und hochkarätigen Schauspielern lebt "Brügge sehen…" vor allem von zig brillanten Szenen, in denen sich die Story jeweils in eine Richtung entwickelt, die entweder herrlich amüsant oder so nicht zu erwarten gewesen ist. Oftmals ist das Geschehen eigentlich bitterernst, ob der dargebotenen Skurrilität bleibt einem aber häufig gar nichts anderes übrig, als trotzdem zu lachen.
So etwas wie eine wirklich gravierende Schwäche weist "Brügge sehen…" nicht auf. Der finale Showdown hätte vielleicht noch etwas unkonventioneller ausfallen dürfen. Dafür ist er in seiner Härte überaus konsequent. So witzig, wie dieser Film auch sein mag - ein Happy End für alle Beteiligten darf es nicht geben und gibt es auch nicht. Und das ist auch insgesamt eine der ganz großen Stärken: Mag das Geschehen auch noch so absurd sein, es bleibt trotzdem fest im Bereich des Möglichen und Vorstellbaren verankert. McDonagh begeht hier eine Gratwanderung, die absolut gelingt.
Natürlich wird er sich den Vergleich gefallen lassen müssen, den mit dem Herren Tarantino. Fakt ist: auch "Brügge sehen…", im Übrigen auch mit einem fantastischen Score von Carter Burwell, dem Stamm-Komponisten der Coen-Brüder unterlegt, hat das Zeug zum Kult. Und vielleicht wird McDonagh irgendwann einmal einen ähnlichen Status erreichen wie Sankt Quentin. Fakt ist aber vor allem, dass er hier seinen ganz eigenen Stil prägt, der nicht offensichtlich daran orientiert ist, Tarantino nachzueifern, wie es etwa bei "Smokin' Aces" von Joe Carnahan der Fall war. "Brügge sehen…" ist ein Film für Fans bitterbösen Humors. Und hoffentlich nicht McDonaghs letzter in dieser hervorragenden Qualität.
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