Die Kleinstadt Derry in Maine im Herbst 1988: Georgie, der jüngere Bruder von Bill (Jaeden Lieberher) verschwindet während eines Regensturms. Ein dreiviertel Jahr später, es ist der Beginn der Sommerferien und Bill sucht zusammen mit seinen Freunden, dem hypochondrischen Eddie (Jack Dylan Grazier), dem großmäuligen Richie (Finn Wolfhard) und dem schüchternen Stanley (Wyatt Oleff) nach seinem Bruder. Gleichzeitig muss sich dieser oft gehänselte „Klub der Verlierer“ der Bande des brutalen Henry Bowers (Nicholas Hamilton) erwehren und wird dadurch alsbald um die ebenfalls von Bowers verfolgten Mike (Chosen Jacobs), dem einzigen schwarzen Teenager in Derry, und dem dicklichen Ben (Jeremy Ray Taylor) erweitert. Und schließlich wird mit Beverly (Sophia Lillis) auch noch ein Mädchen aufgenommen. Henry Bowers wird aber bald zu einem kleineren Übel für die Bande, denn sowohl das mysteriöse Verschwinden von Kindern nimmt zu, als auch die bedrohlichen Visionen, die den Kindern erscheinen. Gemeinsamer Nenner: ein diabolischer Clown namens Pennywise (Bill Skarsgard)...
Das hätte sich Andres (mittlerweile Hollywood-freundlicher„Andy“) Muschietti nicht träumen lassen, als er bei den Dreharbeiten Reportern noch einigermaßen zaghaft ins Aufnahmegerät diktierte, dass er gerne auch einen zweiten „Es“-Film mit der noch fehlenden Hälfte des Mammutromans drehen würde, sofern der erste Film denn ein entsprechender Erfolg werden würde. Diese Sorge hatte sich dann quasi schon am Tag nach der Veröffentlichung des Teasertrailers, der mal eben zum meist angeklickten Trailer aller Zeiten wurde, erledigt. Dass „Es“ nun diverse Startrekorde in den USA nicht nur gebrochen, sondern regelrecht pulverisiert hat, ist da nur noch die blutrote Kirsche (oder Clownsnase) obendrauf.
Gar nicht schlecht für einen Film, der nicht nur wie sein 2017-Stephen King-Kollege „The Dark Tower“ jahrelang in der Vorproduktionshölle schmorte, sondern auch von den meisten gänzlich abgeschrieben wurde, als Cary Fukunaga (bekannt als der stilsichere Regisseur der ersten Staffel von „True Detective“), der die Produktion endlich erfolgreich angeworfen hatte, kurz vor den Dreharbeiten das Handtuch warf aufgrund der üblichen „kreativen Differenzen“ mit den Produzenten, weil er den King'schen Grotesken noch diverse andere hinzufügen wollte und auf ein NC-17-Rating (das in den USA eigentlich nur Pornos vorbehalten ist) bestand. Also wurde flugs Muschietti eingesetzt, dessen Debütfilm „Mama“ ja durchaus zeigte, dass der Mann sich mit Grusel und Gänsehaut auskennt. Aber für viele war dies nun das letzte Zeichen, dass „Es“ nun nur verwässert oder verstümmelt oder sonstwie unzufriedenstellend in die Kinos kommen würde. Dem ist nicht nur nicht so, „Es“ ist nun also auch der unerwartet erfolgreichste Blockbuster des Herbsts und zudem noch ein ziemlich guter kleiner Horrorfilm.
Denn genau das ist „Es“ geworden – nicht mehr und nicht weniger. Und das ist angesichts der sehr variablen bis durchschnittlichen Qualität der Adaptionen vom King'schen Schaffen auf der großen Leinwand schon ziemlich gut. Zumal man „Es“ eines ganz bestimmt nicht absprechen kann, nämlich dass sich dieser Film tatsächlich wie seine Vorlage anfühlt. Wie nur ganz selten zuvor bei der schwierigen Aufgabe, Kings Stil auf die Leinwand zu übertragen, kommt „Es“ dem Gefühl und Geist der Vorlage nah. Allerdings zeigt der Film nochmal in kleinen rhythmischen Holperern, wie schwierig sich seine Schreibe übertragen lässt. Auf der Buchseite entwickeln Kings schnörkellose aber genaue, bisweilen auch langwierige Beobachtungen eine enorme Sogwirkung, auf der Leinwand kann dieser Stil nicht wirklich übertragen werden.
Und man muss sagen, dass der mit über zwei Stunden vielleicht ein Stück zu lang geratene Film besonders in der ersten Stunde ein wenig unter einem strukturellen Problem leidet, das Kings Roman durch seine Flashbackstruktur und das Trennen durch dutzende, wenn nicht gar hunderte von Buchseiten nicht hatte: nach und nach erleben die „Verlierer“ einer nach dem anderen ihre erste Begegnung mit dem sich jeweils ihrer individuellen Angst anpassenden Pennywise, und diese set pieces werden halt nach und nach direkt hintereinander abgehandelt, ohne dass ein wirklicher Rhythmus entsteht. Das wird aufgrund Muschiettis stilsicherer Inszenierung zwar nie langweilig, aber doch ein wenig langwierig (wenn auch weit weniger als der letztlich völlig überbordende und jede erzählerische Disziplin über Bord werfende Roman). So richtig kommt die Geschichte eigentlich erst nach Beverlys Blut-Bad ins Rollen, wobei letztere Sequenz in ihrer fast psychedelischen Inszenierung ganz klar zu einem der Highlights des Films gehört.
Apropos Highlights: Dazu gehören neben der fantastischen Kameraarbeit von Chung-Hoon Chung, dem Stammkameramann von Chan Wook Park („Oldboy“, „Stoker“) auch die ausnahmslos hervorragenden Darsteller, allen voran die bisher so gut wie unbekannten Kinderdarsteller, die alle perfekt besetzt sind und ihre typisierten Charaktere gut rüberbringen, ohne in allzu viele offensichtliche Klischees abzugleiten. Hier wird jeder wohl andere Favoriten haben, hervorzuheben ist aber eindeutig Sophia Lillis als das einzige Mädchen im Bunde. Und dann ist da natürlich noch die Personalie Bill Skarsgard alias Pennywise. Der tritt in die riesigen Fußstapfen vom als Pennywise unvergessenen Tim Curry in der 1990 fürs US-Fernsehen enstandenen Miniserie „Es“, an der Currys Darstellung das bei Weitem Beste war. Was es natürlich für Skarsgard (jüngerer Bruder von Alexander) in den Augen vieler „Es“-Fans vor Ansicht des Films schwer bis unmöglich machte, als dämonischer Clown zu überzeugen. Und wie beim gesamten Film gilt auch hier: von vielen zu früh und voreilig geurteilt, denn Skarsgard macht seine Sache ausgezeichnet, lässt Curry zumindest für die Laufzeit des Films vergessen machen und zeigt, dass der zentrale böse Clown das geringste Problem von „Es“ (alt wie neu) ist.
Allerdings muss man noch kritisch anmerken, dass Muschietti hier den gleichen Fehler macht wie in seinem Erstlingsfilm, nämlich Pennywise, der eigentlich schon gruselig genug ist, wie damals die „Mama“ mit jede Menge und wenig überzeugendem CGI 'aufzuhübschen', was aber eben ziemlich nach hinten los geht. Wenn Pennywise hier wie die meisten Monster und Vampire der letzten Dekade Reihe um Reihe von digitalen Zähnen spielen lässt, muss man schon dran denken, dass manchmal weniger doch mehr ist. Besonders was käsiges und sofort erkennbares CGI betrifft. Auch Pennywises per Computer animierte Schnellwackelattacken sind, ähnlich wie damals die von Eli in der Hollywood-Version von „Let Me In“, eher albern als furchteinflößend.
Apropos, hier kommen wir noch mal zu einem weiteren Problem: Die Horrorszenen selbst. Positiv lässt sich zu diesen anmerken, dass Muschietti, der Gary Daubermann das von Fukunaga und Chase Palmer geschriebene Script nochmals in seinem Sinne umschrieben ließ, der logischen und sinnvollen Modernisierung der Geschichte in die späten Achtziger auch eine Modernisierung der Ängste der einzelnen Verlierer folgen lässt. Denn mal ehrlich: die von King benutzten klassischen Monster der Universal-Horrorfilme wie der Wolf Man, Frankensteins Monster oder die Mumie konnten zwar realistisch Kindern in den 1950er Jahren (wo dieser Teil des Romans ursprünglich spielte) ängstigen, für ein modernes Publikum ist dies allerdings kaum mehr nachzuvollziehen.
Nein, das Problem liegt anderswo: Muschietti verlegt sich in den meisten Horrorszenen auf die klassischsten aller Inszenierungen - jump scares, Monster, die sich in den Bildhintergrund schleichen etc. All das löst zwar mal das eine oder andere Gänsehäutchen aus, von richtigem Grusel oder gar echtem Horror ist man hier aber doch ein gutes Stück entfernt. Da hilft es auch nicht, dass man im Gegensatz zur Mini-Serie hier den Gewalt- und Blutfaktor hochfahren konnte. Mein Lieblingsgruselmoment hier ist einer, den mancher wohl kaum wahrnehmen wird. Als Ben in der Bibliothek Bilder der fatalen Ostereiersuche in Derry 1908 anschaut, dreht sich im Hintergrund eine ältere Dame um und grinst diabolisch, ohne sich in Folge zu rühren und bleibt dabei konsequent im unscharfen Hintergrund. Eine unruhig machende Einstellung, wie sie vor ein paar Jahren etwa in „It Follows“ mehrmals gelang. Man kommt nicht umhin sich zu wünschen, Muschietti hätte hier öfter mit dieser Art von Grusel gearbeitet, als mit den klassischen „Buh!“-Effekten, auch wenn das Geisterbahnhaft-Theatralische Pennywise natürlich irgendwo schon gut zu Gesicht steht.
Wer jetzt das Gefühl hat, das hier (zu) viel gemeckert wurde, dem sei versichert: Nein, „Es“ ist trotz der oben genannten Schwächen tatsächlich ein feiner kleiner Gruselfilm, der allein schon aufgrund seiner visuellen Umsetzung und seiner Schauspielerleistungen allemal sehenswert ist und zudem trotz diverser Änderungen den Geist der Vorlage sehr gut einfängt. Nur der ganz große Wurf, ein wirklicher neuer Klassiker des Horrorkinos, ist „Es“ leider nicht geworden. Dafür hätte es dann doch mehr als den soliden Handwerker Muschietti gebraucht. Da mögen einige jetzt der hypothetischen Fukanaga-Version nachtrauern, ein kleines Highlight des brachliegenden Genres haben wir mit dem ersten Kapitel von „Es“ aber auf jeden Fall vorliegen. Und in zwei Jahren gibt es dann eh noch mehr Späßchen mit Pennywise.
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