Terry Gilliam zeigt sich nachweislich vom (Alp-)Traumhaften fasziniert: Schon bei seinen cartoonesken Zwischenszenen in "Monty Python's Flying Circus" verwischten die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit. Das Gewöhnliche und das Bizarre prallten aufeinander und wurden auf wundersame Weise zu einem Ganzen vermengt, das so manchen Zuschauer nachhaltig verstörte. Auch was die Filme der Komikertruppe angeht, brachte sich Gilliam mit seiner morbiden Sicht der Dinge sowie seinen ungewöhnlichen Talenten als Regisseur ein: Insbesondere "Das Leben des Brian" sprudelt schier über vor Witz und absurden Einfällen (man denke nur kurz an Brians Begegnung der dritten Art). Dem Komisch-Bizarren blieb Gilliam in seinem Schaffen über lange Jahre hinweg treu: Angefangen bei "Brazil" bis hin zur Literaturverfilmung "Fear and Loathing in Las Vegas" spielten und spielen veränderte Bewusstseinszustände in seinen Filmen eine wichtige Rolle. Nachdem er sich bereits 1988 mit dem höchst umstrittenen "Die Abenteuer des Baron von Münchhausen" mit einer Märchenfigur auseinandergesetzt hatte, wendet sich Gilliam mit "Die Gebrüder Grimm" nun den Urvätern des Märchens zu. Wie nicht anders zu erwarten, handelt es sich dabei allerdings nicht um eine Biographie, die sich um historische Korrektheit bemüht. Vielmehr entführt Gilliam den Zuschauer in eine Welt der Märchen und der Magie, in der nur wenig tatsächlich so ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Anfang des 19. Jahrhunderts ist Deutschland von den Truppen Napoleons besetzt. Durch die Tristesse des okkupierten Rheinlands stolpern die zwei Brüder Will (Matt Damon) und Jacob Grimm (Heath Ledger). Aus ärmlichen Verhältnissen stammend, haben sich die beiden der Jagd auf allerlei Monster und Dämonen verschrieben, die die geplagte Landbevölkerung heimsuchen. Daran wäre an sich auch nichts auszusetzen, wenn es sich bei ihren Unternehmungen nicht um durchgeplante Schwindel handelte, die mit Hilfe zweier Schergen inszeniert werden. So kommt es dann auch wie es kommen muss: Der französische General Delatombe (Jonathan Prcye) kommt den beiden auf die Schliche und verpflichtet sie unter Androhung der Todesstrafe, in einem abgelegenen Dorf für Ordnung zu sorgen. Im unheimlichen Wald am Rande des Dorfes verschwinden immer wieder junge Mädchen, wobei der General eine Gaunerei Grimmscher Prägung vermutet. Als die beiden Brüder aber in Begleitung des italienischen Foltermeisters Calvadi (Peter Stormare) vor Ort angekommen sind, müssen sie feststellen, dass vielleicht doch mehr Dinge zwischen Himmel und Hölle existieren, als die Wissenschaft erklären kann. Die Jägerin Angelica (Lena Heady) führt sie in den verwunschenen Wald hinein, in dem die grausame Spiegelkönigin (Monica Bellucci) regiert. Doch das ist er der Anfang ihres Abenteuers.... Wie so oft in seinen Filmen macht Terry Gilliam schnell klar, dass in seiner Märchenwelt der Schein für gewöhnlich trügt. Nicht nur die Charaktere sind für so manch spannende Wendung gut, sondern auch die Handlung wird von ihm meisterhaft mehrfach in neue und überraschende Bahnen gelenkt. In einer Zeit, in der es beinahe schon zum guten Ton gehört, mit den Erwartungen des Publikums zu spielen, gelingt es dem Regisseur und seinem Drehbuchautor dennoch, selbst abgebrühte Kinogänger auf dem falschen Fuß zu erwischen. Nach soviel Lob bleibt nicht mehr viel, als noch einige abschließende Worte zu finden: Wieder einmal ist es Terry Gilliam gelungen, einen wunderschönen und schlichtweg hervorragenden Film in die Kinos zu bringen, der nicht nur zeitgemäß ist, sondern auch mit den Konventionen des Märchens und des Fantasy-Films spielerisch umzugehen weiß.
So vereint der Film nicht nur spannende Action mit unterhaltsamer Komik; er bietet auch reichlich Anlass zum Gruseln. Vor allem die Interaktion der Charaktere bietet während des gesamten Films immer wieder Gelegenheit, sich köstlich zu amüsieren. Denn gerade bei der Wahl der Schauspieler hat Gilliam ein sicheres Händchen bewiesen: Matt Damon liefert eine gewohnt solide Leistung ab, hinter der Heath Ledger etwas zurückbleibt, ohne dabei auch nur im Entferntesten eine Enttäuschung zu sein. Bei den Nebenfiguren erwarten den Zuschauer sogar einige wahre Perlen der Schauspielkunst: Monica Bellucci, Peter Stormare und Jonathan Pryce schöpfen das Potential der von ihnen dargestellten Figuren voll aus und wissen den Zuschauer vollkommen in ihren Bann zu schlagen. Diese Leistung gründet sich wohl auch darin, dass bekannte Muster und Stereotypen aus dem Märchen aufgegriffen werden und eine kluge Neuinterpretation erfahren. Das einzige kleine Manko in Sachen Darsteller ist die leider etwas eindimensional wirkende Lena Heady, die schlichtweg mehr aus ihrer Rolle hätte machen können.
Beachtenswert sind aber neben den Darstellern auch die zahllosen Anspielungen, die Gilliam mühelos in seinen Film einfließen lässt. Zahlreiche Märchen (unter anderem "Hänsel und Gretel", "Rotkäppchen" und "Rapunzel") werden mehr oder weniger direkt zitiert, ebenso wie eine ganze Reihe von berühmten Werken der Filmgeschichte. "Sleepy Hollow" von Altmeister und Gruft-Ikone Tim Burton, mit dem Gilliam mehr als nur den Hang zu einem etwas ungewöhnlichen Humor teilt, war eindeutig eine wichtige Interpretationsquelle, die Gilliam aber sogar noch zu übertreffen weiß. Allein schon die Suche nach den kleinen Verweisen macht ungeheuren Spaß - sofern man ob der packenden Geschichte überhaupt dazu kommt, auf sie zu achten.
Besondere Erwähnung verdienen auch die Sets. Mit großer Liebe zum Detail und ohne jegliche Rücksicht auf romantisierte Vorstellungen entführen Terry Gilliam und seine Designer den Kinogänger in eine Zauberwelt, in der hinter jeder Ecke eine Märchenfigur lauern kann - oder eben "nur" ein französischer Soldat. Dieser Wirkung kann man sich kaum entziehen, aber wer würde das schon ernsthaft wollen?
Ein kleiner Wermutstropfen mag bei einem Märchenfilm die Eignung für Kinder sein: Ob der stellenweise großen Bizarrheit und verstörenden Gewalt sollte man von einem Besuch mit dem eigenen Nachwuchs absehen. Aber allen anderen, die den bisherigen Filmen Gilliams auch nur ein wenig Gutes abzugewinnen wussten oder sowohl Fantasy- als auch Gruselgeschichten schätzen, sei dieser wirklich sehenswerte Film sehr ans Herz gelegt.
Land
Jahr
2005
Laufzeit
110 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
Bilder: Copyright
Concorde Film
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