Hell or High Water

Originaltitel
Hell Or High Water
Land
Jahr
2016
Laufzeit
102 min
Genre
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Simon Staake / 8. Januar 2017

Eine Kleinstadt, irgendwo in Texas. Eine Bank wird ausgeraubt. Im Fluchtwagen sehen wir dann die beiden Täter ohne Maske. Es sind zwei Brüder, der ausgeglichene Farmer Toby Howard (Chris Pine) und sein hitzköpfiger Bruder Tanner (Ben Foster). Zur Untersuchung des Falls macht sich ein ebenfalls recht unterschiedliches Paar auf, die Texas Rangers Marcus Hamilton (Jeff Bridges) und Alberto Parker (Gil Birmingham). Während die Howard-Brüder ihre nächsten Coups planen, versuchen die beiden Texas Ranger vorherzusehen, wo diese stattfinden werden. Eine Konfrontation zwischen den beiden odd couples scheint unausweichlich…
 

Wo anfangen bei diesem wundervollen Stück Americana? Vielleicht an dem Ort, an dem man am meisten überrascht wird von den Beteiligten, nämlich beim Skript. Reden wir also über Taylor Sheridan. Der ist ehemaliger Schauspieler und hierzulande wohl noch am ehesten bekannt als aufrechter wie überforderter Deputy Hale in den ersten beiden Staffeln der „Sons of Anarchy“. Mittlerweile hat Sheridan aber aufs Drehbuchschreiben umgesattelt und sich mit nur zwei Drehbüchern zu einem der interessantesten Schreiber Hollywoods entwickelt. Gut, in unserer Rezension zu „Sicario“ werden einige der Momente seines Drehbuchs ein wenig kritisch gesehen, spätestens aber mit dem völlig zu recht Golden Globe-nominierten Skript zu „Hell or High Water“ zeichnet sich Sheridan als jemand aus, der einen Ort, eine Epoche und eine soziale Stimmung wunderbar einfangen kann. Und nachdem „Sicario“ im mexikanischen Grenzland spielte und „Hell or High Water“ nun ebenfalls in Texas situiert ist, scheint er sich auch gut auf eine ganz bestimmte Topographie eingelassen zu haben. Dazu kommt ein lakonischer, teils schwarzhumoriger Ton und so ist man dann schnell versucht, Sheridan als Fan von Cormac MacCarthy zu outen. Während aber MacCarthys Manierismen und fatalistischer Grundton durchaus auch anstrengend und nervig sein können und es im Falle seines Drehbuchdebüts „The Counselor“ auch waren, so schafft „Hell or High Water“ den Drahtseilakt zwischen Dialog, der sowohl authentisch als auch wundervoll lokalverbunden und figurenspezifisch daherkommt.

Anders als bei einem Tarantino, wo alle Figuren nur in verschiedenen Stufen Quentin sprechen, hat auch hier noch die kleinste Rolle Charakter, Glaubwürdigkeit und Individualität. So etwa die in den Anfangsszenen überfallene Bankangestellte, gespielt con Charakterkopf Dale Dickey, die in weniger als fünf Minuten Leinwandzeit gleich zwei wunderbare Bonmots hat (während des Überfalls: „Das Einzige, dessen ihr momentan schuldig seid, ist Dummheit“, danach auf die Frage nach der Farbe der Täter: „Meinen Sie ihre Haut oder ihre Seelen?“), die nicht nur für Schmunzeln sorgen, sondern auch ihren Charakter widerspiegeln ohne große Umstände zu machen. Oder die winzigen Nebenrollen von zwei später auftretenden Kellnerinnen, über die man nicht viel erfährt, deren Leben und Lebensumstände man sich aber problemlos selbst erschließen kann. Drei kleine Frauenrollen, die in ihren nicht mal 15 Minuten zusammengezählter Leinwandzeit mehr Charakter zeigen als so manche Hauptfigur während eines Zweistundenfilms.

Und dabei haben wir eben noch nicht mal über die zwei Hauptdarstellerpaare gesprochen, die natürlich ebenfalls mit diesem lebensnahen, gelebten Flair in Auftreten und Dialog ausgestattet sind. Klar kann man es ein wenig zu sehr als Typecasting empfinden, dass Jeff Bridges wieder mal den bärbeißigen, schlitzohrigen Gesetzeshüter gibt, bisweilen an der Grenze zur Parodie schwankend. Aber mal ehrlich: Wer sonst macht das denn so gut und unterhaltsam wie er? Chris Pine mag als glückloser Farmer vielleicht ein Stückchen zu gut aussehen, macht diesen Umstand aber durch sein melancholisches Spiel wieder wett, und Ben Foster nimmt man den lebenslangen Kleinkriminellen jederzeit ab. Heimlicher Held des Films aber ist Gil Birmingham als Bridges‘ Partner, der sich mit mühevoller Selbstbeherrschung durch dessen ständige Beschimpfungen und Provokationen manövriert und einen herrlich trockenen Humor einbringt.

Auch bemerkenswert: Während die meisten im „Cowboy Country“ spielenden Filme diesem Umstand so gut wie keine Rechnung tragen, wird hier gezeigt, dass in Texas die Dinge noch anders laufen. Da wird ein Banküberfall dann auch mal statt von der Polizei von einer bis an die Zähne bewaffneten Posse besorgter Bürger beendet. Oder ein ganzes Restaurant voller Zeugen will die Verdächtigen nicht detailliert erkannt haben, weil sie ahnen, dass diese aus ihrer Mitte stammen und man für Banken sowieso keine Sympathien hat. Es hat sich alles geändert in den Kleinstädten des amerikanischen Südwestens seit der Epoche des Jesse James, und eben nichts so wirklich. Things work a little different here in Texas. Nur einige Beispiele von vielen, die zeigen, dass alle an „Hell or High Water“ Beteiligten genau verstanden haben, dass sie nicht nur die Geschichte einer Handvoll von Figuren, sondern auch einer ganzen Region erzählen.

Während man mit den Howard-Brüdern oder den sie verfolgenden Texas Rangern durch die öden strip malls der verstaubten texanischen Kleinstädte fährt oder sie an vor sich hin rauchenden Raffinerien vorbeikommen, vor denen große Werbeschilder Schuldnern vorschlagen, ihre Kredite aufzukaufen, braucht das Drehbuch keine gestelzten Dialoge oder Reden, um die Malaise einer ganzen Region und dessen wegbröckelnder Arbeiterschicht darzustellen. Erstaunlich auch, dass bei einem so lokal verwurzelten Film wie diesem der Blick ein Blick von außen ist: Regisseur David Mackenzie, bisher als eher anonymer journeyman nicht gesondert aufgefallen, zeigt, dass man diese Geschichte auch wundervoll erzählen kann, ohne wie Terrence Malick jeden Grashalm in Texas persönlich zu kennen. Mit viel Gespür für das gesunde Mittelmaß zwischen Postkartenmotiv und Realismus setzt Mackenzie die Geschichte in einer entspannten, aber unaufhaltsam auf die letztlich unausweichliche Konfrontation der beiden ungleichen Paare zutreibenden Inszenierung um. Und als kleines Sahnestückchen obendrauf gibt es dann noch einen Epilog, der mit seinem unverhohlenen Versprechen von mehr Gewalt so richtig schön McCarthy-mäßig daher kommt und zeigt, dass eine Geschichte nicht immer mit dem Abspann endet.

„Hell or High Water“ ist ein Genrefilm, aber selbst das damit verbundene Problem der genretypischen Szenen umgeht der Film immer wieder geschickt und mit Einfallsreichtum. Sogar der Titel ist eine intelligente wie originelle Anspielung an das Genre und die Geschichte der hier fast als Hauptdarsteller auftretenden Region. So lernt man hier etwa noch etwas, wenn man Nachwuchsbankräuber ist oder werden möchte, zum Beispiel wie man Tatwagen spurlos verschwinden lässt oder auch als Otto Normalbürger völlig legal Geld waschen kann.

Wenn man „Hell or High Water“ überhaupt etwas vorwerfen kann, dann dass seine Geschichte eben bei aller Liebe zu diesen Details oder Lokalkolorit letztlich doch nur eine fantastisch erzählte Räuberpistole bleibt. Aber das muss man eben erstmal so fesselnd, abwechslungsreich, humorvoll und vor allem unterhaltsam hinbekommen. Und natürlich geht es dann eben doch um andere, größere, ältere Dinge: um den amerikanischen Traum und was von ihm bleibt, um die Dinge, die wir unseren Kindern hinterlassen, in unserem Blut wie unseren Testamenten. Und daher empfiehlt es sich nachhaltig, den öden Geschmack des enttäuschenden Kinojahrs 2016 gleich mal mit dieser wunderschön abgefilmten, stimmungsvollen, modernen Cowboyballade wegzuwaschen. Aber nicht mit einem Schluck Mr. Pibb. Echte Texaner trinken nur Dr. Pepper. Und Mr. Pibb ist für Weicheier.

PS: Es gilt eigentlich als unausgesprochene Regel, aber in diesem Falle muss man noch einmal gesondert darauf hinweisen: Die in dieser Rezension so viel besprochenen Dialog-Highlights und der Lokalkolorit lassen sich eigentlich nur in der Originalfassung nachvollziehen, die daher wenn irgend möglich einer Synchronfassung vorzuziehen ist.

Bilder: Copyright

9
9/10

Ein dickes Dankeschön für die tolle Rezension. Ich hätte von dem Film wahrscheinlich niemals gehört, wenn ich es nicht gelesen hätte. Es war so klasse, wie ihr es beschrieben habt. Das war ein richtiges Juwel.

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