Human Nature - Die Krone der Schöpfung

Originaltitel
Human Nature
Land
Jahr
2001
Laufzeit
96 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Frank-Michael Helmke / 1. Juni 2010

Es passiert dem erfahrenen Filmfreund dieser Tage selten, dass er oder sie das Kino verlässt und denkt: So etwas habe ich in der Tat noch nie gesehen. Einer der ganz wenigen Filme der letzten Jahre, die dieses kleine bisschen anders und damit wirklich originell waren, war "Being John Malkovich", und das war zu einem großen Teil das Verdienst von Autor Charlie Kaufman. Dessen Drehbuch quoll dermaßen über vor abgedrehten Ideen, Figuren und Szenarien, dass es für das Werbefilm- und Videogenie Spike Jonze (inszenierte u.a. die legendären Fatboy Slim-Clips zu "Praise you" und "Weapon of choice") ein gefundenes Fressen war, um eben jene Publikumsreaktion zu bekommen: So etwas hatte man wirklich noch nicht gesehen.
Zwei Jahre nach diesem Meisterwerk kommt mit "Human Nature" nun das nächste Drehbuch von Kaufman auf die Leinwand, diesmal mit Jonze als Produzenten und Michel Gondry - wie Jonze bisher vor allem Videoclip-Virtuose und in dieser Funktion langer Wegbegleiter von Björk - erstmals auf dem Regiestuhl eines Kinofilms. Die Erwartungen liegen also hoch, doch sollte man nicht den Fehler begehen, von einem "Being John Malkovich" ebenbürtigen Werk auszugehen. Denn "Human Nature" dreht sich um den Zwiespalt zwischen menschlichem Sexual- und Zivilisationstrieb, und versteht sich gemäß seines Themas daher vor allem als ebenso hinter- wie vordergründig komisch. Und das ist er auch.

Voll von aberwitzigen Ideen ist selbstredend auch dieses Kaufman-Skript, das geht schon los bei der Protagonistin: Lila Jute (Patricia Arquette, "True Romance") leidet seit ihrer Pubertät unter extrem starker Körperbehaarung, also auch überall dort, wo normalerweise höchstens Männer einen Pelz entwickeln. Als Außenseiterin in der haarlosen menschlichen Zivilisation zieht sich Lila in die Natur zurück und lebt dort nackt und glücklich in Einklang mit der Tierwelt, verarbeitet ihre Erlebnisse in Naturromanen und Anti-Zivilisations-Manifesten ("Fuck Humanity") und wird so zur erfolgreichen Schriftstellerin. Nach Jahren des selbstgewählten Einsiedlertums treibt es Lila aber doch zurück unter Menschen, weil sie den überaus natürlichen Sexualtrieb verspürt ("I was getting extremely horny", bemerkt sie lapidar). Zurück im Großstadt-Dschungel und ganzkörper-rasiert wird sie passenderweise mit dem Verhaltensforscher Nathan Bronfman (Tim Robbins) verkuppelt, dessen extrem strenge und auf Etikette bedachte Erziehung ihn dazu verleitete, Labormäusen Tischmanieren beibringen zu wollen. Bei einem Spaziergang im Wald findet das Pärchen schließlich Puff (Rhys Ifans, der wichsende Waliser aus "Notting Hill"), der von seinem geistig gestörten Vater in freier Wildbahn aufgezogen wurde in dem Glauben, sie seien Affen. Weshalb sich Puff auch genauso benimmt. Nathan sieht seine große Chance gekommen: Er wird diesen Menschenaffen (im wahrsten Sinne des Wortes) zu einem zivilisierten Bürger umerziehen, um so endgültig zu beweisen, dass Zivilisation über Triebe siegen kann.

Was sich hieraus entwickelt ist eine sehr eigenwillige Ménage à trois (die sich dank Nathans französischer Laborassistentin alsbald zu einem flotten Vierer ausweitet), die in einem Wirrwarr von Triebsteuerungen und zivilisierter Zurückhaltung irgendwie zu klären versucht, wie viel Tier eigentlich im Menschen steckt und wie viel davon man rauslassen darf. Am einen Ende des Spektrums steht Nathan, der als Kind immer ohne Essen auf sein Zimmer geschickt wurde, wenn er den Salat mit der falschen Gabel essen wollte, und so die Triebunterdrückung als oberstes Verhaltensprinzip verstanden hat: "When in doubt, don't ever do what you really want to do", rät er Puff an einer Stelle. Der pädagogisch völlig unbeleckte und somit eigentlich absolut freie Affenmensch scheint das andere Ende des Spektrums zu bilden, doch in Wahrheit ist er auch nur das Produkt seiner elterlichen Erziehung - nur dass die halt von einem Geisteskranken kam, der sich für einen Affen hielt.
Eher im Hintergrund entspinnt "Human Nature" so seinen eigenen kleinen Diskurs darüber, was den Menschen zum Menschen macht und wie sehr wir eigentlich noch eine tatsächliche Verbindung zu unseren tierischen Wurzeln haben. Dass sich keiner der Charaktere in diesem Film wirklich an das halten kann, was er oder sie für das eigene Naturell hält, schlägt in seiner Anspielung auf die Suche nach dem eigenen Ich einen Bogen zurück zu "Being John Malkovich" und dessen intelligenter Abhandlung über die Suche nach und die Instabilität von Identität.
So hochtrabend hintergründig wird es bei "Human Nature" indes nicht, denn Regisseur Gondry entschied sich dafür, aus dem Grundgerüst der Story eine eindeutig komödiantische Eisenbahn zu bauen, die dann auch in sehr kurzweiligen eineinhalb Stunden über die Leinwand dampft und unterwegs jede Menge Lacher mitnimmt. Allein die Szenen, in denen Puff per Elektroschock-Halsband die Auslebung seines Paarungstriebes abgewöhnt werden soll, sind vom Spaßfaktor her fast schon allein das Eintrittsgeld wert, auch wenn die Gags in dieser Richtung schnell offensichtlich werden. Wenn Nathan seinen Affenmenschen zum finalen Test in eines jener amerikanischen Restaurants schleppt, in denen ausschließlich sehr vollbusige Kellnerinnen in sehr knappen T-Shirts arbeiten, lacht man schon laut los, bevor Puff überhaupt ins Bild kommt.

"Human Nature" lässt seine intelligenten Einsichten so ein wenig schleifen und macht sich lieber lustig über die verwirrten Probleme seiner Charaktere mit ihrer zu sehr oder eben zu wenig unterdrückten Geilheit. Das hat zwar immer noch weit mehr Klasse als der Balz-Humor in "American Pie", funktioniert aber auf einem ähnlichen Level, so dass man am Ende schon ein wenig das Interesse verloren hat, über das eigentliche Thema von "Human Nature" nachzudenken. Herausgekommen ist also so etwas wie "Being John Malkovich" light, ein Film, der einen nach dem Verlassen des Kinos nicht sonderlich weiter beschäftigt, aber immer noch so unorthodox und einfallsreich ist, das er schon allein für seinen aberwitzigen Ideenreichtum unbedingt zu empfehlen ist. Schließlich ist auch das Bedürfnis nach Spaß einer unserer ureigensten Triebe.

 


A must read in Anlehnung an diesen Film:

Ismael

by Daniel Quinn

Film ist wunderbar und hat eine Sprache die wenigstens das Lachen nicht unerlaubt lässt, trotz Botschaft des Films.

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9
9/10

es sei angemerkt, dass dieser film stark an kafkas, bericht an eine akademie erinnert. ich vermutet den drehbuchschreiber davon beeindruckt. lustiger film btw..

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10
10/10

Klasse Film!
Ich hatte ihn für kleines Geld auf einem Wühltisch entdeckt und freue mich "tierisch" darüber, denn sonst hätte ich ihn mir und nimmer überhaupt angesehen.
Danke für die "Erklärung" der letzten Szene (Mann braust davon mit Frau und vergisst Liebste, die für ihn im Gefängnis sitzt). Ich hatte nämlich überlegt, was mir das sagen soll. Und ich bin eine Frau... schlimm schlimm (dass ich da überhaupt überlegen musste).
Ein bis in alle Ewigkeit interessant bleibendes Thema ohne moralischen Zeigefinger umgesetzt - klasse!

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