Das nennt man dann umgekehrte Erwartungshaltung: Als nach dem für viele Fans unbefriedigenden Abschluss der ersten „X-Men Trilogie“ ein neuer Film angekündigt wurde, der mit komplett neuer Besetzung die Jugendjahre der ewigen Rivalen Professor X und Magneto erzählen sollte, versprachen sich die Meisten davon nicht allzu viel. Doch „X-Men: Erste Entscheidung“ erwies sich als positive, stimmige Überraschung und überzeugte sowohl Publikum als auch Kritiker. Wenn nun aber sogar ein (zuletzt nicht allzu erfolgsverwöhnter) Bryan Singer wieder zu der Reihe zurückkehrt mit der er einst das Genre der modernen Superheldenverfilmungen ins Rollen brachte und dabei noch ankündigt, sowohl die „neuen“ als auch die altbekannten Versionen der sich bekriegenden Mutanten in einem Film unterzubringen, dann verspricht man sich davon natürlich allerorten ziemlich viel. Und hat vielleicht nur im Hinterkopf die kleine Befürchtung, dass solche Geschichten mit verschiedenen Zeitlinien stets eine knifflige Sache sind, bei der man sich auch leicht verheben kann. Zwar gelingt es auch „X-Men: Zukunft ist Vergangenheit“ nicht, diese Klippen komplett ohne Schrammen zu umschiffen, doch ist der Film als Ganzes trotzdem so ausgezeichnet gelungen, das man geradezu gezwungen wird darüber einfach mal hinwegzusehen.
Einige Jahre in der Zukunft werden die letzten Mutanten von mächtigen Robotern, den „Sentinels“, erbarmungslos gejagt. Auch gemeinsam können die früheren Gegner Professor X (Patrick Stewart) und Magneto (Ian McKellen) nichts mehr ausrichten und greifen zu einem letzten, verzweifelten Plan: Sie schicken das Bewusstsein Wolverines (Hugh Jackman) in die Vergangenheit, um sein jüngeres Ich der siebziger Jahre dazu zu bringen, die unheilvollen Ereignisse abzuwenden, die später zur fatalen Entwicklung führen. Denn erst das Attentat der zornigen Gestaltwandlerin Mystique (Jennifer Lawrence) auf den einflussreichen Politiker Bolivar Trask (Peter Dinklage) führte zur endgültigen Umsetzung des „Sentinel“-Programms. Dies gilt es also nun zu verhindern, doch dafür benötigt Logan die Hilfe von Professor X und Magneto – welche in dieser Zeit allein in ihrer tiefen Abneigung zueinander verbunden sind.
Das Intro in der düsteren Zukunftswelt ist nett anzuschauen, bietet aber noch nichts Außergewöhnliches und gibt neu eingeführten Mutanten wie Bishop nur kurz Gelegenheit sich zu zeigen. Der richtige Spaß beginnt erst mit Wolverines Erwachen im Jahr 1973, wo das eingefangene Zeit- und Lokalkolorit für diverse komische Momente sorgt und auch dafür, dass der Film in dieser Phase immer wieder in einen sehr lockeren und heiteren Ton wechselt – trotz der „ernsthaften“ Mission und des beklagenswerten psychischen Zustands des hier nun wieder von James McAvoy gespielten und zu diesem Zeitpunkt ganz frisch an den Rollstuhl gefesselten Charles Xavier.
Der Professor, sein Widerpart Michael Fassbender und natürlich Hugh Jackman in der Dauerrolle seiner Karriere laufen dabei aber zu großer Form auf, werfen sich die trockenen Sprüche nur so um die Ohren und vor allem Wolverine ist dieses Mal ganz klar das Herzstück der Geschichte. Zwar kommt auch Jennifer Lawrences Mystique ein wichtiger Part zu, doch wirkt deren Leistung schon ein wenig wie eine zu absolvierende Pflichtübung – was der Realität durchaus nahe kommt, ist die zwischenzeitlich oscarprämierte Lawrence doch nur aufgrund eines frühzeitig geschlossenen Vertrages für mehrere Filme erneut dabei, während sie sonst mittlerweile nach anderen Projekten als Superheldenverfilmungen Ausschau hält. Stichwort „Verfilmung“: Der deutlich eleganter klingende Originaltitel „Days of Future Past“ ist die wörtliche Übernahme einer klassischen und unter Fans heißgeliebten „X-Men“-Story aus den siebziger Jahren (Originalhefte No. 141 & 142), der Film verwendet aus dieser Geschichte jedoch lediglich die Grundidee, weniger das Personal.
Obwohl hier die "jungen" Versionen deutlich mehr Leinwandzeit erhalten und bei der Menge an Figuren nicht alle gleichermaßen zu ihrem Recht kommen, erhalten auch ein paar Neulinge die Gelegenheit zu glänzen: Das gilt für die sehr effektvoll eingesetzten Teleportationen von „Blink“ und vor allem für „Quicksilver“. Dieser hier von Evan Peters gespielte schnellste Mutant von allen (der in den Comics sowohl bei den „X-Men“ als auch bei den „Avengers“ aktiv ist und das wohl auch in Marvels Filmuniversum sein wird), stiehlt in einer für sich allein stehenden Sequenz dermaßen dem Rest die Show, dass sich diese Szene dauerhaft einprägen wird.
Vor allem im höchst unterhaltsamen Mittelteil bereitet der Film immenses Vergnügen, denn er sprüht nur so vor cleveren Einfällen, es stimmen das Timing, der Humor und die Handhabung der Figuren, auch wenn diese sich dann schließlich in unterschiedlichen Versionen ihrer selbst gegenüberstehen. Die Geschichte wird kurzweilig vorangetrieben, der 3D-Effekt immer mal wieder sinnvoll genutzt und die mächtigen „Sentinels“ weisen hier darauf hin, wie weit sich die Darstellungsmöglichkeiten und Spezialeffekte seit den ersten „X-Men“-Abenteuern noch einmal voran entwickelt haben. Das wirkt alles unglaublich passend und rund, auch wenn das letzte Stück Weg zum unvermeidlichen Finale an einem bestimmten Ort und Tag dann vielleicht doch ein klein wenig zu sehr ausgewalzt und künstlich hinausgezögert wird.
Obwohl im Grunde klar ist, was dann passieren bzw. eben nicht passieren wird, schwebt im Hintergrund natürlich immer die Frage mit, welche Auswirkungen es letztendlich auf die aus den früheren Filmen bekannte Zeitlinie und die Geschehnisse darin haben wird. Und dies ist dann auch der Punkt, an dem „Zukunft ist Vergangenheit“ letztlich auf sehr hohem Niveau scheitert, denn komplett ohne „Hä?“-Momente geht es selbst für die Zuschauer nicht ab, die sich zur Sicherheit vorher nochmal sämtliche Vorgängerfilme zu Gemüte geführt haben (was angesichts der zahlreichen Anspielungen durchaus sinnvoll ist). Zumindest dann nicht, wenn man die finale „Erwachungssequenz“ gründlich auf Logik und Widersprüche hin versucht zu analysieren.
Da geht die übliche Nachklappszene, die bereits wieder den nächsten Film „X-Men: Apocalypse“ anteasert, fast ein wenig unter, während man noch über Jahreszahlen, ehemals tote und nun wieder muntere Mutanten sinniert.. Ein paar der „unschönen“ Entwicklungen aus dem nicht so populären „Der letzte Widerstand“ wollte er mit diesem Film wieder ausbügeln und korrigieren, hatte Meister Singer angekündigt, aber darüber wie er das dann am Ende getan hat darf man durchaus diskutieren. Doch auch das ist ja an sich nichts Schlechtes und daher bleibt der Daumen auch oben, für einen insgesamt beeindruckenden „X-Men“- Beitrag, der zudem über weite Strecken trotz eines finsteren Grundthemas vor allem mit seiner bemerkenswerten Leichtigkeit beeindruckt.
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