3D-Technik eingesetzt zur Effekthascherei sehen wir mittlerweile fast wöchentlich – mal besser, mal schlechter. Aber wie oft tauchen wir durch unsere 3D-Brille wirklich voll in eine Welt ein und fühlen uns noch lange später, als ob wir das Gesehene selbst mit all unseren Sinnen erlebt hätten? Dieses Jahr wohl nur zwei Mal und beide Male bei Dokumentationen deutscher Filmemacher. Zuerst bestaunten wir Wim Wenders' mittlerweile als deutscher Kandidat für den Fremdsprachen-Oscar eingereichte Doku „Pina“ und nun Werner Herzogs („Fitzcarraldo“, „Bad Lieutenant“) Werk „Die Höhle der vergessenen Träume“. War „Pina“ schon beeindruckend, so ist „Die Höhle der vergessenen Träume“ vielleicht das Atemberaubendste, was bisher mit 3D angestellt wurde.
Und dabei ist dieser Film eigentlich unter den widrigsten Umständen entstanden. Gefilmt wurde in der Chauvet-Höhle im Süden Frankreichs, in der sich die ältesten Zeichnungen der Menschheit befinden (ca. 32.000 Jahre alt). Seit der Verschüttung des Höhleneingangs vor gut 20.000 Jahren lagen die Zeichnungen in einem Dornröschenschlaf, bis die Höhle 1994 zufällig wiederentdeckt wurde. Da die seit 1940 bekannte Höhle von Lascaux mit ihren nur halb so alten Zeichnungen durch die Atemluft-Feuchtigkeit der täglichen 1200 Besucher von Schimmel befallen wurde, griff die französische Regierung diesmal sofort hart durch und riegelte die Höhle von Chauvet fast vollständig ab.
Werner Herzog war der erste Filmemacher, der es schaffte, eine Drehgenehmigung zu bekommen und diese auch nur unter fast unmöglichen Auflagen: Er durfte mit seiner Crew von höchstens drei Personen nur sechs Tage lang und nur vier Stunden täglich in die Höhle hinein. Dort durfte er auch nur mit Handkameras und Licht, das keine Wärme abstrahlt, von einem schmalen Metallgang aus drehen. Musste einer mal auf die Toilette, so durfte das Team danach nicht mehr zurück und der Dreh konnte erst am nächsten Tag weitergeführt werden. Somit sieht man meistens auch Männer, Kameras oder Lichter irgendwo im Bild, weil zu wenig Zeit für einwandfreie Setups blieb, und es werden im fertigen Film aufgrund des begrenzten Materials auch Bilder wiederholt. Dies tut dem Werk jedoch keinen Abbruch.
Herzog ist, wie er mehrfach betonte, eigentlich kein Fan der 3D-Technik, hielt sie aber für die einzig richtige Wahl, um den Eindruck dieser zeichnerisch sehr ausgefeilten und überlappenden Bilder auf den kurvigen Felsvorsprüngen möglichst genau wiederzugeben. Es ist wahrhaftig ergreifend, diese Bilder so dargestellt zu sehen wie sie im Raum angeordnet sind, die Beschaffenheit der kristallglitzernden Böden voll zehntausende an Jahren alter Knochen und Fußabdrücke zu sehen und sich dadurch Menschen nahe zu fühlen, die durch Europa streiften, als es noch Neandertaler, Eiszeitlöwen und Mammuts gab. Die Zeichnungen der Tiere unter Einbeziehung von Felsformation und Relief sowie das Versehen der Tiere mit bis zu acht Beinen lassen sie erscheinen, als würden sie sich bewegen. Für Herzog macht sie das fast schon zu einer Vorstufe des Kinos.
Typisch für Werner Herzogs Dokumentationen ist die Einbeziehung amüsanter Käuze wie schon in seiner poetischen und doch witzigen Antarktis-Reise „Begegnungen am Ende der Welt“. So spielt ein Mann in Rentierklamotte auf seiner Knochenflöte die amerikanische Nationalhymne, spricht ein Forscher, der früher Zirkusartist war, und versucht ein weltberühmter Parfümeur, weitere Höhlen in der Umgebung zu erschnüffeln. Diesen Film über prähistorische Höhlenzeichnungen interessant und sogar manchmal lustig zu gestalten, das vermag der deutsche Autorenfilmer auch über seinen subjektiven Stil. Herzog versucht nicht, möglichst unauffällig zu sein, sondern bringt bewusst und durchgängig den ungewöhnlichen Blick des Machers auf sein Subjekt ein. Seine eigenwilligen Fragen („Wie würden diese Albino-Krokodile [in einem Zoo in der Nähe] die Höhlenzeichnungen finden?“) und die etwas wilden, Schwindel erregenden 3D-Kamerafahrten kreuz und quer und auch mal über Kopf außerhalb der Höhle seien dem Exzentriker Herzog zugestanden.
Werner Herzogs Auffassung bezüglich dessen, was der Dokumentarfilm sein solle, äußerte der Filmemacher übrigens 1999 in seiner “Minnesota Declaration”, in der er befand, dass der dokumentarische Ansatz des „Cinema Verité“ im Dokumentarischen ohne Wahrheit sei und nur „die Wahrheit der Buchhalter“ ans Licht bringe. Er hingegen glaube an eine tiefere Art von Wahrheit im Kino und dass es eine poetische, ekstatische Wahrheit gebe. Diese sei rätselhaft, schwer zu fassen und nur zugänglich über Fabrikation, Imagination und Stilisierung.
Das Einzige, was in „Die Höhle der vergessenen Träume“ zu viel des Guten ist, das ist die Beschallung mit New-Age-Choralgesang und Musik des niederländischen Cellisten Ernst Reijseger, welche die Höhlenbilder noch dramatischer gestalten soll. Mag diese an manchen Stellen passen, so ist sie an anderen kontraproduktiv, besonders in einer Szene, in der alle ganz still werden, um in der Höhle nur auf ihren eigenen Herzschlag zu lauschen. Im Film schweigt alles, das Publikum atmet gebannt kaum, da setzt die Musik wieder ein und die gerade noch so gelungene Immersion ins Geschehen wird jäh zunichte gemacht.
Da die Höhle sogar den an ihr forschenden Wissenschaftlern nur an zwei Perioden im Jahr zugänglich ist und ansonsten keine Besucher zugelassen sind, wird Werner Herzogs Blick der einzige sein, der der breiten Öffentlichkeit auf dieses einzigartige Dokument der Urzeit gewährt wird – abgesehen von einer künstlichen Replik der Höhle, die zukünftig den Touristen vor Ort als Ersatz dienen soll. Über 5.000 Jahre hinweg kamen Menschen in die Chauvet-Höhle und fügten weitere Zeichnungen von Tieren hinzu, die immer im gleichen Stil gehalten waren. Herzog sagt dazu, wir seien heutzutage in der Geschichte gefangen, die damaligen Menschen wären es nicht gewesen. Wir verdanken Herzog mit „Die Höhle der vergessenen Träume“ nicht nur einen künstlerisch beeindruckenden Blick auf außergewöhnliche Zeichnungen, sondern auch einen Blick auf das, was uns Menschen seit 32.000 Jahren ausmacht: Das Bedürfnis, die uns umgebende Welt in der Kunst darzustellen. Ob auf einer Höhlenwand oder auf der Kinoleinwand.
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