Oldboy

Originaltitel
Oldboy
Land
Jahr
2013
Laufzeit
104 min
Regie
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Simon Staake / 3. Dezember 2013

Joe Doucette (Josh Brolin) ist zwar ein ziemliches Arschloch mit ausgewachsenem Alkoholproblem, aber ein dennoch ziemlich erfolgreicher Sportagent. Bis er eines Abends einen wichtigen Klienten verliert, weil er dreist dessen Frau angräbt. Aber Joes Nacht wird noch schlimmer, viel schlimmer: Als er betrunken vor der Kneipe seines alten Kumpels Chucky (Michael Imperioli) auftaucht, wird er entführt und wacht in einem seltsamen Hotelzimmer auf, das sich als Gefängniszelle herausstellt. Und hier wird Joe 20 Jahre seines Lebens verbringen, während er als Mörder seiner Frau gesucht wird. Als Joe eben so plötzlich wie er eingesperrt wurde frei gelassen wird, muss sich der schwer Traumatisierte erst wieder an die Welt gewöhnen, wobei ihm die Sozialarbeiterin Marie (Elizabeth Olsen) hilft. Denn der mysteriöse Fremde, der für seine Gefangenschaft verantwortlich ist (Sharlto Copley) stellt ihm ein Datum: Joe hat fünf Tage, um heraus zu finden, wer der Fremde ist und warum dieser ihn eingesperrt hat. Ansonsten muss seine Tochter sterben...

 

Die erste Frage bei diesem Film: Ist das wirklich nötig? Brauchen wir wirklich eine Hollywoodversion von „Oldboy“? Schließlich ist das Original von Chan-Wook Park eine Art moderner Miniklassiker, dessen berühmt-berüchtigte set pieces (ich sag nur: Oktopus, Hammer, Zange, Zunge) auch heute noch jedem Zuschauer in Erinnerung sind, wenn er an diesen wilden Film zurückdenkt. Und dann die nächste Frage: Warum jetzt? Warum jetzt dieser Film, zehn Jahre nach dem Original? Dass „Oldboy“ so lange gebraucht hat, um den Weg in die und dann aus der Traumfabrik zu finden, hat dabei zum Einen mit den bewussten Tabubrüchen und Gewaltexzessen des Originals zu tun, zum Anderen mit der Tatsache, dass zwar jede Menge große Namen an einer Adaption des Stoffes interessiert waren, aber dann nicht so recht zu wissen schienen, wie man diesen wilden Stoff für ein Massenpublikum aufbereitet, ohne dabei alle Sachen zu verlieren, die das Original ausgemacht hat.

Und so verbrachte „Oldboy“ der Film fast wie Oldboy der Charakter Jahre in einem ausgewählten Gefängnis, nämlich der Vorproduktionshölle. Diverse Male schien es mit dem Film loszugehen, bevor das Projekt doch vorerst auf Eis gelegt wurde. Die interessanteste, nun leider nur hypothetische Kollaboration bei einer „Oldboy“-Adaption war zweifellos die über Jahre gerüchteweise kolpotierte zwischen Will Smith und Steven Spielberg. Ganz ehrlich: Das hätte man gerne gesehen, wie sich zwei der familienfreundlichsten und am Massengeschmack orientierten Hollywoodstars an einer Geschichte um Folter, Rache und diverse andere Tabubrüche versuchen. Andererseits wäre jener imaginäre „Oldboy“ nicht halb so kompromisslos geworden wie die jetzt vorliegende Variante. Für diese muss man nun quasi mit dem B-Team, nämlich Josh Brolin und Spike Lee Vorlieb nehmen, aber es hat ja niemand behauptet, dies wäre eine schlechte Sache.

Ist es nämlich nicht, ganz und gar nicht. Das mag für Puristen an Frevel grenzen, aber Spike Lee, Drehbuchautor Mark Protosevich und seinem Ensemble ist mit der Hollywoodvariante von „Oldboy“ eines der besten Remakes eines asiatischen Urspungsstoffes gelungen und darf sich somit in eine Reihe mit „The Ring“ oder „The Departed“ stellen. Hier ist nix mit „für Hollywood verwässert“ oder „fürs breite Publikum abgemildert“, denn der Hollywood-“Oldboy“ kennt da keine Kompromisse. Die „Hammer“-Szene etwa ist sogar noch deutlich brutaler als die Originalsequenz. Und auch in Sachen Story sind die üblichen Befürchtungen abzuwiegeln: ein zentraler Aspekt der Originalstoryline ist so kontrovers, aber gleichzeitig so wichtig für das Funktionieren der Geschichte, dass man nicht sicher war, wie dies Hollywood-gerecht umgesetzt würde. Und man bekommt als Antwort: nicht weniger schockierend als im Original. Mehr noch: Man kann sogar sagen, dass Protosevich in seinem ausgesprochen guten Drehbuch diesen Aspekt gar noch logischer und passender gestaltet hat als im Original. So werden hier einige der weniger glaubwürdigen Aspekte (Stichwort: posthypnotische Suggestion) zurückgefahren, auch mit dem Ziel den westlichen „Oldboy“ realistischer zu gestalten.

Positiv ist dabei zu vermerken, dass einige Handlungssprünge im Original, die dieses mittels seines Stils kaschierte, hier weniger zu spüren sind. Weniger positiv ist vielleicht, dass Spike Lees Verzichten auf psychedelische Spielchen (keine Ameisen!) und auf einen realistischeren Ton nun überdeutlich hervorhebt, wie unrealistisch und albern die Handlung und Charaktere von „Oldboy“ in vielerlei Hinsicht eigentlich sind. Von daher funktioniert „Oldboy“ eher als grimmig-versponnener Rachecartoon denn als die Tragödie, als die er sich vielleicht sieht. Aber auch hier gilt: Das war schon im leicht überbewerteten Original so. Dort konnte man das immer noch auf den westlichen skeptischen Blick in Richtung Asien abwälzen: Vielleicht gibt es so komische Geheimgefängnisse dort ja wirklich, wer weiß das schon? Natürlich wirkt dies im uns vertrauteren Umfeld von New York fast noch absurder (andererseits: es ist New York!), aber für bare Münze darf man die Absurditäten von „Oldboy“ – Original oder Kopie – eh nicht nehmen. Und wer vor zehn Jahren damit keine Probleme hatte, sollte sich tunlichst hier mit Kritik auch zurückhalten.

Protosevichs Drehbuch ist deswegen ein schöner Ausreißer nach oben, weil seine Abänderungen oder Hinzufügungen allesamt Sinn machen. Etwa die Szenen, in denen sich Joe mit einer Familie Mäuse anfreundet, um etwas Gesellschaft in seinem Gefängnis zu haben, und ihr brutaler Ausgang. Oder das Ultimatum an Joe, in fünf Tagen Identität und Motiv seines Gegners zu finden, welches im Original eher beiläufig und unmotiviert daher kam. Da kann man dem Drehbuch dann durchaus verzeihen, dass ein Aspekt der psychischen Folter in Joes Gefängnis dann etwas zu deutlich auf die mögliche Auflösung der zentralen Pointe hinweist. Aber auch wenn man die bitterböse Pointe entweder schon aus dem ersten Film kennt oder sie hier erahnen kann, so ist sie nicht weniger effektiv. Und auch das im Gegensatz zum Original abgeänderte Ende kann in sich überzeugen. Zudem eliminiert der Hollywood-„Oldboy“ den einzig wirklich unangenehmen Aspekt des Originals, nämlich die recht unverhohlene „sexuelle Gewalt gegen Frauen ist schon irgendwie so ein bisschen okay“-Attitüde.

Und wo Protosevich gute Arbeit leistet, da muss man auch Spike Lee ein wenig Anerkennung zukommen lassen. Der letzte wirklich gute Spike Lee-Film („25 Stunden“) liegt ja mittlerweile länger zurück als das Original von „Oldboy“ und in den letzten Jahren hat Lee sich eher als biederer Auftragsregisseur verdingt („Inside Man“, ironischerweise sein größter Kassenhit) oder seine persönlicheren Projekte waren zwischen Langeweile und Sentimentalität chargierende Flops („Das Wunder von St. Anna“) oder sexistischer Scheiß („She Hate Me“). Böse Zungen könnten jetzt meinen, auch dieser Film sei eine reine Auftragsarbeit, die Lee zwar korrekt, aber ohne große Inspiration runterkurbelt. Allerdings ist es denkbar, dass Lee eine deutlich persönlichere Motivation hat als zuerst angenommen. Seine diversen Dispute mit Quentin Tarantino über dessen Darstellung schwarzer Kultur und besonders eines sehr bösen Wortes derselben sind ja mittlerweile kaum noch zu zählen, erst im letzten Jahr zu „Django Unchained“ meldete sich Lee wenig schmeichelhaft zu Wort. Und nun adaptiert Lee einen von Tarantinos Lieblingsfilmen (letztlich war es ja auch die von Tarantino geführte Jury, die dem Film den großen Preis der Jury in Cannes einbrachte), mit mindestens genau so viel Gewalt wie im Tarantino'schen Werk sowie einem pöbelnden Samuel L. Jackson, wie ihn Tarantino gern einsetzt. „Oldboy“ ist vielleicht eine Art Privatherausforderung in Richtung Tarantino: Sieh her, gewalttätiges Rachekino kann ich auch, und zwar genau so gut wie du!

Und zumindest ein inszenatorisches Highlight muss man hier erwähnen, nämlich die Sequenz, in der Oldboy das Geheimgefängnis stürmt und nur mit einem Hammer bewaffnet etwa zwei Dutzend Gegner niederkämpft. Und hier nochmals des Filmkritikers Frevel: Diese Sequenz ist in der Hollywood-Variante sogar besser und aufregender als das Original. Lee inszeniert Oldboys brutalen Parcours über drei Ebenen und in langen Sequenzen mit sehr wenigen (und fast unsichtbaren) Schnitten. Diese Sequenz ist wirklich mitreißend und sehr gut choreografiert, eine ja mittlerweile in Hollywood aussterbende Tradition („Das regeln wir im Schnittraum“). Im Gegenzug verzichtet Lee auf die diversen stilistischen Schnörkel des Originals, aber das ist ebenfalls nichts Schlechtes. Nüchtern betrachtet kann sich Chan-Wook Parks Original der „Stil statt Substanz“-Anklage nicht ganz erwehren, was zumindest beim Wiederanschauen recht deutlich wird.

Was braucht man nun noch, um das Erfolgsteam zu vervollständigen? Ach ja, die passenden Schauspieler! Josh Brolins Oldboy unterscheidet sich schon rein äußerlich von Min-Sik Chois Originalfigur, statt dessen zerzausten, wirren Haaren trägt er eine fast militärische Kurzhaarfrisur. Beide Frisuren sind Statements zu dem seelischen Zustand ihrer Träger: Oh Dae-Sus angeschlagener Geisteszustand ist so wirr wie seine Haare, bei Joes muss man an posttraumatisches Stresssyndrom heimkommender Soldaten denken. Und dann der Name: Joe, G.I. Joe, vielleicht? Lee hält sich hier mit politischen Untertönen zurück, aber das heißt ja nicht, dass er sie ganz aus dem Spiel lässt. Joes mysteriöser Gegner wird von Sharlto Copley als distinguierter Engländer gespielt, eine merkwürdige, aber durchaus reizvolle Variante. Samuel L. Jacksons schon angesprochener Auftritt ist eher kurz, dafür darf Elizabeth Olsen als Joes rettender Engel das Potenzial bestätigen, dass sie in „Martha Marcy May Marlene“ gezeigt hat.

Potenzial hatte dieser Film auch, und zwar vor allem in eine Richtung: Riesenflop. Zumindest, was das Einspielergebnis betrifft, ist dies in den USA auch der Fall, „Oldboy“ hatte ein desaströses Startwochenende, wurde zudem von den meisten Kritikern verprügelt und von den üblichen Gestalten auf der IMDB-Seite mit bewusst schlechten Noten niedergewählt. Verdient hat dieser Film all das indes nicht. Denn dass Lee außerhalb seiner verbalen Scharmützel mit anderen Hollywoodstars durchaus noch Zähne hat, ist doch schon schön. Dass ein Hollywoodremake eines tabubrechenden Asienfilms dessen Inhalt so gut wie nicht abschwächt auch. Bleibt einzig das Argument, warum man denn überhaupt so ein Remake wie dieses braucht, wenn doch das Original selbst so gut gelungen ist. Aber dieses Argument ist ja keins, denn Hollywood macht eben, was es macht. Und in diesem Falle sehr viel besser als befürchtet und fast besser als erwartet. Dieser „Oldboy“ gehört also nicht zum alten Eisen.

Bilder: Copyright

8
8/10

Ich bin erstaunt wenigstens mal eine unvoreingenommene Kritik zu dem Remake gelesen zu haben und sie deckt sich mit meiner eigenen Erfahrung.
Alle anderen trommeln formelhaft negativ auf das Remake ein, was abzusehen war, ist auch auch schick und naheliegend das ein amerikanisches Remake eines asiatischen Films per se übel sein muss, außerdem schreibt man so einen Veriss mal eben in 5 min runter und schafft sich somit keine Terminplan Konflikte und kann sich sicher ein das man damit der Merheit nach dem Mund redet.
Einer meiner absoluten Lieblingsfilme ist Summer of Sam, ein Film der in den späten 90ern irgendwie unter dem Radar geflogen ist und nur wenig bis mittelmäßige Aufmerksamkeit bekommen hat , aber meiner Meinung nach einer der besten Spike Lee Filme ist und sich zudem in meiner Top 10 eingefunden hat.
Mit seinem Oldboy Remake verhält es sich ähnlich.
Das Original zu Oldboy ist halt auch immer recht überschätzt gewesen meiner Meinung nach, gute Elemente schwache Umsetzung, daher habe ich persönlich auch nicht das Gefühl hier wurde eine Sakrileg begangen oder eine heilige sau geschlachtet, so als wenn man den Paten Remaken würde:)
Asiatisches Kino hatte in den 00er Jahren für Fuore gesorgt und so manchem Filmgeek zum Asia-Cinema Experten mutieren lassen , aber mal so unter uns, vieles ist einfach Schrott den man toll finden muss und soll weil er die Antithese zu Hollywood darstellt.
Asiatischem Kino mangelte es oft trotz aller Originalität an einem der wichtigesten Elemente, atmosphärisch Dichtes Erzählen diesen speziellen Sog den gute Filme schaffen, Spike Lee kann das.

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