In Deutschland ist der Star dieses Biopics so gut wie unbekannt, in den USA dagegen kennen die meisten älteren Semester Wladzio Vladimir Liberace, den Showpianisten, der von den 1950er bis 1970er Jahren – man höre und staune – der höchstbezahlte Entertainer der Welt war (und nebenbei als Reaktion auf Kritiken an seinem flamboyanten, nicht immer formellen Klavierspiel das schöne Sprichwort „laughing all the way to the bank“ erfand). Liberaces gesamtes bewegtes Leben bringt uns dieser Film allerdings nicht näher, sondern einen Fünf-Jahre-Ausschnitt Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre. Genauer: Die Jahre, die Liberace (Michael Douglas) mit seinem sehr viel jüngeren Liebhaber Scott Thorson (Matt Damon) verbrachte. Liberace war 1978 immer noch eine große Nummer im Showgeschäft, der seine Shows in Las Vegas restlos ausverkaufte. Erstaunlicherweise waren auch seine in Strass und Kitsch ersaufenden Shows für die breite Öffentlichkeit kein Grund, des Entertainers sexuelle Vorlieben zu hinterfragen. Als Scott Liberace („Lee“ für seine Freunde) zum ersten Mal sieht, fragt er seinen Begleiter Ray (Scott Bakula): „Wie kommt es, dass die Leute etwas so Schwules mögen?“, worauf Ray nur sagt „Sie wissen nicht, dass es schwul ist“. Erstaunlich, aber offenbar wahr. Und nachdem Ray die beiden bekannt gemacht hat, zieht Scot bald in Liberaces Privatpalast, der einem Neuschwanstein in Sachen kitschigem Prunk in nichts nachsteht. Zuerst sind Liberace und Scott ein Herz und eine Seele, aber bald zeigen sich erste Risse: Liberace schwankt zwischen großzügiger Güte und zickigen Anfällen und Scott muss sich bald fragen, wie weit er gehen will, um sich Lees Gunst langfristig zu sichern...
Lange hat Steven Soderbergh seinen (zumindest temporären, wie wir hoffen) Rücktritt vom Kinofilm angekündigt und mit „Side Effects“ legte er dann ja dieses Frühjahr auch ein ausgesprochen sehenswertes Abschlusswerk vor. Dass es nun, nur ein knappes halbes Jahr später, nun aber wirklich den letzten Film von Soderbergh auf den Leinwänden zu sehen gibt, hat mit der langen und nicht einfachen Geschichte der Produktion zu tun, die Soderbergh für fast anderthalb Jahrzehnte verfolgte. Denn wenn man Michael Douglas glaubt, so hatte Soderbergh ihn bereits bei den Dreharbeiten für „Traffic“ darauf angesprochen, gemeinsam eventuell eine Biographie des amerikanischen Showpianisten Liberace zu drehen.
Dreizehn Jahre später ist das vollbracht, aber mit einigen Schwierigkeiten. Denn als das Projekt vor zwei Jahren so gut wie drehbereit war, gab es einen Rückzieher seitens des Studios, angeblich weil der Film „zu schwul“ und damit zu wenig aussichtsreich für einen finanziellen Erfolg war. Als Retter in der Not präsentierte sich dann HBO, das Flagschiff des amerkanischen Pay-TV, das in den letzten 15 Jahren für viele der besten TV-Serien überhaupt verantwortlich zeichnete (u.a. „Die Sopranos“, „The Wire“, „Deadwood“ und „Game of Thrones“). HBO übernahm Produktion und Vertrieb von Soderberghs Film und bringt den Film außerhalb der USA eben auch ins Kino, und das mit Erfolg. In Cannes feierte der Film seine Weltpremiere, wurde mit Standing Ovations gefeiert und Michael Douglas wurde für seine mutige Darstellung als bester Darsteller ausgezeichnet. Und vor einigen Tagen räumte der Film dann bei den Emmys (den „Oscars“ für Fernsehproduktionen) groß ab, mit Auszeichnungen für Douglas, Soderbergh und den Film selbst. Kurzum: Rache ist süß für diesen fast nicht zustande gekommenen Film, der nun jede Menge Lobhymnen und Preise einheimst.
Aber ist er sie denn nun alle wert, diese Hymnen und Preise? Jein. Denn auch wenn die beiden Hauptdarsteller Douglas und Damon hier sehr feine und sehenswerte Arbeit abliefern, so krankt „Liberace“ an den für Biographien nicht unüblichen Problemen. Allen voran: eine Vorhersehbarkeit, die der Film zu keinem Zeitpunkt ablegen kann, was die Laufzeit von fast zwei Stunden dann zeitweilig doch etwas langatmig (wenn auch nie langweilig) macht. Denn da wir einen Blick auf ein halbes Jahrzehnt des Lebens Liberaces aus der Sicht seines Liebhabers Scott Thorson werfen, wird bald offensichtlich, dass es sich hier um eine Aufstieg-und-Fall-Story handelt, und so wartet man dann halt geduldig, bis Scotts Traumleben an der Seite von Liberace Risse bekommt und dann zusammenfällt.
So ist das Vorwärtsmomentum der Story so gut wie nicht vorhanden und ein Plot außerhalb dieses simplen Verlaufs auch nicht unbedingt auszumachen. Dass der Langeweile Einhalt geboten wird, liegt dann tatsächlich hauptsächlich an dem sehenswerten Darstellerduo im Zentrum des Films, auch wenn Könner wie ein kaum wiederzuerkennender Dan Aykroyd oder Scott Bakula wertvolle Unterstützung leisten. Einzig bei Rob Lowe als Schönheitschirurg Dr. Startz ist man sich nicht ganz sicher, was das nun soll. Lowe hat sichtlich Spaß mit seiner Rolle, die die ihm zugeschriebene Eitelkeit auf die Schippe nimmt, aber seine freakige Darstellung mit ständig zusammengekniffenen Augen schifft nur ganz knapp und auch nicht immer am Rande der überzogenen Parodie vorbei. Da hat man fast das Gefühl, er sei ein Mitglied des Schönheitschirurgenkults aus John Carpenters „Flucht aus L.A.“ und mal eben in den falschen Film gewandert.
Allerdings muss man hier doch anmerken, dass Matt Damon trotz überzeugender Arbeit der Maskenbildner und Friseure doch ein gutes Stück zu alt ist für die Rolle, die er spielt. Aber vielleicht hat man ja mutwillig im Film das Alter Thorsons nicht definiert, war der junge Mann doch erst 17, als er bei Liberace einzog. Andere Zeiten, damals. Michael Douglas als Liberace mag im ersten Moment absurd erscheinen, hat sich Douglas doch seine Karriere aufgebaut als ultraviriler Alphawolf. Aber die Jahre und vor allem seine Krebserkrankung sind nicht spurlos an Douglas vorbeigegangen und so kann er mit sanfter Stimme und thetralischen Gesten auch den schwulen Entertainer geben, mit beizeiten packender Verletzlichkeit. Wenn Douglas gegen Ende des Films als AIDS-kranker Todgeweihter Liberace auftritt muss man natürlich an seine eigene Leidensgeschichte der letzten Jahre denken und ein-, zweimal schlucken, hier imitiert die Kunst das Leben fast ein Stück zu gut.
„Liberace – Zuviel des Guten ist Wundervoll“ nimmt seinen Untertitel ernst: Das Ganze ist ein Ausstattungswunder, das den Exzess Liberaces perfekt einfängt. Und so tritt Soderbergh, der in den letzten Jahren ja desöfteren schnell geschossene Guerillaprojekte per Digitalkamera bevorzugte, vorerst mit einem klassischen Prestige-Ausstattungsdrama ab, dessen Stärken in den zuvor genannten Darstellerleistungen und dem Look des Films zu suchen ist. All zu sehr in die Tiefe geht der Blick hinter den Kronleuchter (so der Originaltitel, ein auf dem Klavier drapierter Kronleuchter war Liberaces Markenzeichen) dagegen eher nicht, aber das dynamische Duo Douglas und Damon machen es für Interessierte durchaus wertvoll, einen Blick hinter (und unter) die Prunkroben Liberaces zu werfen.
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